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1940: Das Jahr der Illusionen

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Fritz Maria Rebhann, dessen kulturhistorisches Buch „Finale in Wien” schon vor zwei Jahren manches zum Verständnis der noch unbekannten Vorgänge zwischen 1943 und 1945 beigetragen hat, vollendete eine umfangreiche Publikation über den Zeitraum von 1940 bis 1943. Rebhann zeigt hierin Zusammenhänge auf, die damals zwischen der Wiener Lokalpolitik und dem Südosten bestanden. Das Ineinandergreifen von Reichsführung und brauner Kulturmaschinerie war Rebhann zufolge ein wesentlicher Faktor für das Funktionieren Wiens im europäischen Konzept Hitlers.

Wir entnehmen” dem noch nicht ausgedruckten Werk einen Abschnitt,” derüteht nur iient gelernten Historiker Interesse abnötigt, sondern einen weiten Leserkreis zu Vergleichen mit der Gegenwart anregen wird. Rebhann beschäftigt sich eingehend mit dem Jahr 1940, das er „das Jahr der niusionen” nennt. Dies gilt bei ihm nicht nur für die Politik Hitlers, sondern auch für die Entwicklung der Reichs- und Gaustadt Wien, wo Schirach den Bürckel ablöst und Jung dem Neubacher die Bürgermeisterkette abnimmt.

Im Spätsommer 1940 begann sich die wirtschaftliche Lage Wiens etwas zu bessern. Bei einigen Bauvorhaben, aber auch bei der Fülle gesellschaftlicher Veranstaltungen in Wien waren „Rohstoffe” schon eher zu haben als im vergangenen Frühling. Vielleicht zeitigte die ökonomische Orientierung nahezu aller europäischen Staaten auf Hitlerdeutschland ihre ersten Früchte, vielleicht verschoben die Hungerwochen, die dem Vernehmen nach nunmehr in den besetzten Westgebieten Einzug hielten, den Schwerpunkt im Darben von Österreich fort. Allerdings, die Kohlenknappheit wuchs sich hier wie dort zu einer Dauererscheinung aus, der künftig nur durch Kälteferien in Schulen und Ämtern einigermaßen gesteuert werden konnte.

Am Freitag, dem 31. August 1940, war um 3 Uhr nachmittags im Belvedere der deutsch-italienische Schiedsspruch über Gebietsabtretungen Rumäniens an Ungarn von Rib- bentrop und Ciano unterzeichnet worden. Beide Staaten mußten bei dieser Gelegenheit den deutschen Volksgruppen Sonderrechte zugestehen, die sich auf die Entwicklung im Donauraum entscheidend auswirkten. Nach der Unterzeichnung gab es im Belvedere noch einen Empfang des Reichsaußen-minisers, bei dem auch der neue Reichsstatthalter Wiens erscheinen durfte. Baldur v. Schirach fuhr anschließend mit den Außenministern Rumäniens und Ungarns zum Ostbahnhof hinüber, denn beide Herren hatten es mit der Abreise überaus eilig. Ribbentrop und Ciano aber, die schon am Vortag im „Wiener Stadtkrug” den braunen Gesängen von Leo Hans Mayrhofer samt Klavierbegleitung gelauscht hatten, quartierten sich noch für eine Nacht im „Imperial” ein und dankten vom Hotelbalkon aus für für die Ovationen, die ihnen eine stundenlang wartende Menge darbrachte.

Zur selben Zeit begaben sich der rumänische Handelsminister, der italienische Korporationsminister sowie der slowakische Ministerpräsident samt seinem Innen- und Wirtschaftsminister nach Wien, um der Eröffnung der hiesigen Herbstmesse beizuwohnen. Der höhere SS- und Polizeiführer, Gruppenführer Kaltenbrunner, Generalleutnant Stümpfl und Schirach selbst kamen daher aus dem Händeschütteln nicht mehr heraus.

Am 29. September 1940, also in einer Zeit voll deutschen Triumphes, hatte das „Neue Wiener Tagblatt” in seiner Sanntagsausgabe den berüchtigten Artikel „Vom wachen und vom weisen Blut” publiziert. Ungeachtet der siegesgeschwellten Aufpasser ringsum war dem offiziellen Propagandafunktionär Dr. Aurel Wolfram vieles aus der Feder geflossen, was ihn und die anderen Wiener Großdeutschen enttäuschte und bedrückte. Freilich schien sein Unmut streng in den braunen Rahmen gepaßt und voller Loyalität zu sein, aber immerhin, der Unmut an sich war unverkennbar. Und dies ausgerechnet im Tagblatt! Gleich in die nächste Zeile nach der blutvollen Überschrift setzte Wolfram den Untertitel: „Wien, Refugium der deutschen Seele.” Dann bedeckte er eine ganze Seite mit seinen versteckten Anspielungen und ließ nur Raum für ein kurzes Gedicht in der Mitte, wo ein gewisser Menzel im Geiste „Vor dem

Bild des Führers” kniet und diesen anbetet. Aber ringsum attackiert der Wolfram mit zugeklapptem Visier die Reichshauptstadt Berlin und damit auch die dortigen Regierungsstellen. Er vergleicht Berlin mit einem Athleten, der him- und gefühlsarm der weisen Mutter Wien gegenübersteht. Wolfram wird nicht müde, diesem Wien alle Eigenschaften zu unterschieben, die er für liebenswert hält. Also konservative Grundhaltung, Biedermeiersinn, Unemst im Revolutionären sowie den besseren, deutschen Charakter. Laut Wolfram wäre der Anschluß den Wienern eine tiefe Herzensangelegenheit gewesen, und es fehlte gerade noch, daß er erklärte, die Berliner hätten diese Gefühle zugunsten imperialistischer Winkelzüge ausgenützt.

Alles in allem hatte Dr. Aurel Wolfram, ob er nun einen Alleingang wagte oder dazu innerhalb der Wiener NSDAP angefeuert worden war, am 29. September 1940 zuviel gesagt. Er mußte als Publizist verschwinden, die Gestapo untersuchte ihn, Strafen wurden angeordnet und teilweise wahr gemacht. Aber der Beigeordnete Blaschke war zur Stelle, als es galt, den Wolfram vorm endgültigen Sturz zu bewahren. Der Unglücksrabe durfte ins Kulturamt flüchten und dort wenigstens so lange arbeiten, bis ihn der Offiziersrock der Deutschen Wehrmacht wärmte, und damit, wie manchen anderen, vor dem unmittelbaren Zugriff der Fanatiker schützte.

Am 21. Oktober 1940 verließ Schirach mit seinem rheinländischen Generalreferenten für kulturelle Angelegenheiten Wiens, W. Thomas, die neue Heimat, um an den Veranstaltungen der ersten Kulturwoche in den Niederlanden bzw. in Den Haag teilzunehmen. Die Wiener Staatsoper und die Philharmoniker waren ihm bereits etwas früher vorausgereist. Der eifrige Schirach hatte dort insofern Pech, als er von Seyß-In- quart mit einem sehr dubiosen Bild Vermeers beglückt wurde. Nach Wien zurückgekehrt, versammelte Baldur im Kaisersaal der Oper die Wehr- kreispropagandäof ftziere aus dem gesamten Reichsgebiet zu einer glanzvollen Begegnung, während die Kontroverse über den Wert des Vermeer- Bildes erst Mitte des nächsten Jahres losging.

Im November 1940 war auch Hermann Göring da und bildete mit Frau Sonnemann des Mittelpunkt eines überaus festlichen Staatsopernabends. Die Hirschbrunft in der Unteren Lobau, die sich der Reichsmarschall als Reservat für seine Jagdgelüste auserkoren hatte, befriedigte ihn und andere prominente Begleiter, zumal die Verkehrsverbindung mit Großenzersdorf rechtzeitig fer- tiggestellt werden konnte. Am 17. November 1940 besichtigte der massige Gast als erster Besucher die neueröffnete Wahrmachtsausstellung „Der Sieg im Westen” in provisori schen Hallen auf dem Wiener Heldenplatz.

Der Sohn Napoleons aber mußte Wien verlassen. Bis zur hundertsten Wiederkehr jenes Tages, an dem der französische Bürgerkönig den Kaiser von St. Helena nach Paris bringen ließ, war er unbehelligt in der Kapuzinergruft gelegen. Da aber ließ ihn der Führer abholen. Alte Pompes funėbres mit gespenstischen Zweispitzen führten den jungen Herzog von Reichstadt zum Wiener Westbahnhof hinaus. An der Seine warteten schon die Gendarmen auf den Leichnam und brachten ihn zum Invalidendom, wo er noch heute unweit seines Vaters ruht. Dieses Geschenk an den französischen Faschismus auf Kosten der verhaßten Habsburger lohnte sich, wie die Folgejahre bewiesen, nicht oder nur in geringem Maße.

Schön am 12.’ November 1940 war Molotow’in Berlin erschienen und hatte hinsichtlich des Balkans russische Wünsche kunidgetan. Peinlicherweise mußte er in der Reichshaiupt- stadt eine Stunde im Luftschutzkeller verbringen und’ schien nachher nicht an die bevorstehende Kapitulation Großbritanniens zu glauben. Deswegen hatten Hitler, Göring und Ribbentrop mit dem Besucher aus der UdSSR am Konferenztisch ebensowenig Erfolg wie mit den französischen und spanischen Freunden ein paar Wochen früher.

Am 9. Dezember 1940 aber wurde offenbar, daß hinter dem Schleier der Wüstenstürme rund um Sidi el Ba- rani von General Wavell, Sir Maitland Wilson und General O’Connor mehr vorbereitet worden war, als man dem todwunden England zugetraut hätte. Die Griechen säuberten ihr Land vor Jahresende von den Italienern, die erst einige Täler hinter der albanischen Grenze bei heftigem Schneefall Deckung fanden. Was besagte es schon, wenn sich London am 28., 30. und 31. Dezember 1940 nördlich der Themse in Flammen hüllte? Der Krieg ging weiter.

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