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Ein Hirtenwort zur Judenfrage
P. Ludger Born, der Autor dieses Artikels, war von 1940 bis 1946 Leiter der Erzbischöflichen Hilfsstelle für nichtarische Katholiken in Wien. Er arbeitet derzeit an einem Dokumentationsbericht über die Tätigkeit dieser Hilfsstelle. Vor kurzem wurde er vom Bundespräsidenten für seine Arbeit durch die Verleihung des Großen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet.
Am 19. September 1941 trat im ganzen damaligen Reichsgebiet eine Polizeiverordnung vom 1. September 1941 über Kennzeichnung der Juden in Kraft. Allen Juden, die das sechste Lebensjahr vollendet hatten, war es verboten, sich in der Öffentlichkeit ohne Judenstern zu zeigen. Der handtellergroße schwarz aus gezogene Sechsstern (Davidstem) aus gelbem Stoff mit der scharzen Aufschrift „Jude“ mußte deutlich sichtbar und stets unverdeckt fest angenäht getragen werden. Übertretung der Verordnung wurde mit schweren Strafen geahndet. Diese Maßnahme traf die jüdische Bevölkerung besonders hart. Viele trauten sich nicht mehr ihre Wohnung zu verlassen aus Furcht vor Belästigungen und Schikanen. Tausende Katholiken jüdischer Abstammung waren betroffen. Viele blieben daraufhin Gottesdienst und Sakramen- tenempfang fern, um Unannehmlichkeiten aus dem Wege zu gehen.
Das Erzbischöfliche Ordinariat Wien ließ am Sonntag, den 21. September 1941, folgende Mitteilung, die am 18. September 1941 ausgestellt und von Generalvikar Weihbischof Kamprath und Kanzlei direktor Prälat Wagner unterzeichnet war, von allen Kanzeln der Diözese verkünden:
„Am 19. September 1941 ist eine Polizeiverordnung in Kraft getreten, wonach es allen Juden, die das sechste Lebensjahr vollendet haben, verboten ist, sich in der Öffentlichkeit ohne Judenstern zu zeigen. Auf viele Anfragen, die an kirchliche Stellen ergangen sind, wird den Gläubigen mitgeteilt, daß alle katholisch getauften Christen, auch die nichtarischen Christen, nach wie vor am religiös-kirchlichen Leben teilnehmen können.“
Aus dem gleichen Anlaß verfaßte Kardinal Innitzer am 17. September 1941 ein eigenes Hirtenwort, für dessen Inhalt und Vervielfältigung er persönlich verantwortlich zeichnete. Er ließ es durch die Dechanten den Pfarrern übermitteln. Nach einer Anweisung des Erzbischöflichen Ordinariates Wien vom 18. September 1941 an alle Pfarrer war dieses Hirtenwort des Kardinals über die Behandlung nicht- arischer Katholiken zu vernichten.
Alle Bemühungen, ein Exemplar dieses Hirtenwortes in den kirchlichen Archiven ausfindig zu machen, schienen umsonst. Da entschloß sich Weihbischof Dr. Weinbacher, im „Wiener Diözesamblatt“ vom 1. Juni 1966 unter „Mitteilungen“ eine Suchanzeige zu veröffentlichen. Bereits am 7. Juni schickte Monsignore Josef Engelbert Enzmann, Pfarrer von St. Josef in Breitenfurt bei Wien, das gesuchte Dokument mit einigen Begleitzeilen dem Ordinariat zu.
Dies Hirtenwort von Kardinal Innitzer ist ein wahrhaft leuchtendes Zeugnis seiner Hirtensorge und Hirtenliebe in schwerster Zeit. Die eindringlichen Worte, mit denen er seinen Diözesanen „die Liebe, wie sie Christus der Herr versteht“, ans Herz legt „vor allem denen gegenüber, die durch ihre größere Not und Hilfebedürftigkeit uns Nächste geworden sind“, offenbaren uns den tiefsten Zug seines Herzens, der sich in seinem Wahlspruch „In oaritate servire“ ausspricht, den er vorbildlich gelebt hat gerade in den schweren Jahren der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus. Schon im Jahre 1938 bemühte er sich um alle rassisch Verfolgten, gründete 1940 die Erzbischöfliche Hilfsstelle für nichtarische Katholiken und nahm sie in sein Palaiis auf. Von Ende 1940 bis Ende des Krieges blieb sie im zweiten Hof des erzbischöflichen Palais trotz des großen Parteienverkehrs, den sie mit sich brachte. Sie blieb auch in seinem Hause, als die Juden den gelben Stern tragen mußten. Alle rassisch Verfolgten, ob Träger des gelben Sternes oder nicht, konnten zu jeder Zeit in sein Palais zu seiner Hilfsstelle kommen, ja selbst ohne Anmeldung zu ihm selbst. Keiner ging unge- tröstet davon.
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