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Als Christ-Sein ein Risiko war

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Die allein vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes bisher veröffentlichten Dokumente, Tau sende an der Zahl, würden es jetzt schon ermöglichen, eine Reihe von Büchern allein über den katholischen Widerstand in der NS-Zeit zu schreiben... Dennoch kann man nicht von einer katholischen Widerstandsbewegung sprechen, denn Priester und Laien, Männer und Frauen, sind als einzelne dem Ruf ihres Gewissens gefolgt. Die kirchliche Obrigkeit hat sie nicht zum Widerstand aufgerufen, manchmal hat sie sogar dazu Entschlossene zurückzuhalten versucht.

An den Opfern des österreichischen Widerstandes haben dennoch der Klerus und die Eisenbahner — gemessen an ihrer Gesamtzahl — den prozentuell höchsten Anteil. Von 1938 bis 1945 waren 724 Priester im Gefängnis, davon sind sieben gestorben, HO kamen in das KZ, von ihnen sind 20 zugrunde gegangen. 15 wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. 208 Priester - die Tiroler nicht miteingeschlossen — waren gau- oder landesverwiesen, über mehr als 1.500 Priester war Predigt- und Schulverbot verhängt worden.

Die meisten verhafteten Priester stammten aus den Diözesen Linz, Seckau und Salzburg. Viele von ihnen verbrachten Jahre im Kerker oder KZ: der Kronstorfer Pfarrer Leopold Arthofer vier Jahre, der Pfarrer von Nenzing in Vorarlberg, Georg Schelling, sieben Jahre, der Pfarradministrator von Dorfgastein Andreas Rieser, „der Heiland von Dachau“, ebenfalls sieben Jahre. Daß sie dort nicht — wie ein Drittel aller deutschen und die Hälfte aller polnischen Priester — starben, grenzt an ein Wunder.

Die Gründe für die Verhaftungen und Verurteilungen waren: staatsgefährliehe Äußerungen in Predigt, Schule und Privatgesprächen, Abhören ausländischer Radiosender, Übertretung staatlicher Verordnungen betreffend Gottesdienst, kirchliche Feiertage und Glockenläuten, Verweigerung des Hitler-Grußes, Verteilung von Zigaretten an Kriegsgefangene, Beherbergung von Flüchtlingen und so weiter. Eine Reihe von Priestern wurde ohne Angabe von Gründen verhaftet und mußte jahrelang auf ihren Prozeß warten...

Der Anteü der Laien am Widerstand und an der Verfolgung ist trotz des Buches von Otto Molden und anderer Veröffentlichungen noch nicht so genau erforscht, daß sichere Zahlenangaben gemacht werden könnten. Daß von den 70 bis 76.000 Verhaftungen in Österreich in den Märztagen 1938 mindestens ein Drittel Katholiken trafen, kann wohl mit Sicherheit angenommen werden, wofür auch die englische Intervention „wegen der Behandlung von Katholiken, Juden und Sozialisten in Österreich“ spricht. Wie viele österreichische Katholiken den 26.000 zivilen und militärischen Hinrichtungen im Dritten Reich zum Opfer fielen, ist noch nicht geklärt, wie auch die Gesamtzahl von ungefähr 17.000 politischen Verfolgungsfällen bei ehemals österreichischen Gerichten noch nicht näher spezifiziert werden kann.

Auf jeden Fall waren die Laien der Gefahr, denunziert und verhaftet zu werden, ebenso ausgesetzt wie die Priester, was aus den bisher bekannten Partei- und Gestapo-Berichten sowie aus den Prozeßakten hervorgeht. Ihre Tätigkeit in katholischen Organisationen war immer ein schwer belastendes Moment. So erwähnte Reichsstatthalter Baidur von Schirach in seiner ablehnenden Stellungnahme zum Gnadengesuch für Jakob Kastelic, den Führer der „Großösterreichischen Freiheitsbewegung“, am 14. April 1944 ausdrücklich die Tätigkeit Kastelics in der Katholischen Aktion. Kastelic, der zwei mutterlose kleine Kinder hinterließ, wurde am 2. August 1944 hingerichtet ...

Was die „Delikte“ von Laien be-

„Angeklagte waren früher selbst Nationalisten oder Antisemiten gewesen“ trifft, so waren es meist die gleichen, die schon für die Priester angeführt wurden. Am stärksten war zumindest die Resistenz in bäuerlichem Bereich, vor allem in Oberösterreich und Tirol. Proteste erregten vor allem Behinderungen der Fronleichnamsprozession, die durchaus zu Recht als letzte öffentliche Machtdemonstration der Kirche verstanden wurde. In Tirol streikten Musikkapellen. Sie weigerten sich, bei Parteiveranstaltungen zu spielen, wenn sie nicht an Prozessionen teilnehmen dürften...

Ein vom steirischen Historiker Oskar Veselsky aufgezeigter Indikator für die Wirkung beziehungsweise Wirkungslosigkeit antiklerikaler NS-Propaganda ist die Abmeldung vom Religionsunterricht in den Volksschulen. Dabei führten Kärnten mit 44,7 Prozent und Wien mit 43,28 Prozent der Abmeldungen. Am niedrigsten waren die Zahlen in Niederösterreich (6,25 Prozent), Vorarlberg (5,21 Prozent) und in Oberösterreich (0,57 Prozent).

Im bisher vorhegenden Material fällt auf, daß sich unter den Verhafteten und Angeklagten eine gar nicht geringe Zahl von Katholiken befand, die früher selbst Nationalisten oder Antisemiten gewesen waren und mit dem Nationalsozialismus zumindest zeitweise sympathisiert hatten. Das gut für alle Altersstufen. Studenten, die in der illegalen Zeit begeisterte Hitler-Jungen gewesen waren, haben noch vor dem Volksgericht leidenschaftlich die Sünden des Nationalsozialismus angeklagt und auch das damit zwangsläufig verbundene Todesurteil nicht gefürchtet.

Das alles darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß das NS-Re-gime nicht vom Widerstand der Katholiken oder Kommunisten besiegt Worden ist, sondern von den Truppen der alliierten Mächte. Dennoch soll dieser Abschnitt mit einem Zitat aus einem Brief enden, den Ferdinand Klostermann am 19. August 1942 aus dem Gefängnis an seine Mutter geschrieben hat:

„Das Geschehen, in dem wir stehen, ist voll Sinn, so schwer es dem einzelnen mitunter auch sein mag, den Sinnzusammenhängen nachzuspüren. Aber die Brunnen der Tiefe rauschen, auch wenn wir sie nicht hören, und die besten und ergiebigsten von ihnen hört man deshalb nicht, gerade weü sie so tief sind.“

Vorabdruck aus: PRUFSTAND. Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus. Von Erika Weinzier 1. Verlag St. Gabriel, Mödling 1988. Ca. 350 Seiten, ca. öS 320,-.

Die Autorin ist Professorin für Zeitgeschichte an der Universität Wien.

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