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Nur Widerstand wider Willen?

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Das Verhalten der Kirchen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist bis heute eine nicht ausdiskutierte Frage der Kirchengeschichte. Dies bewies ein Round-table-Gespräch der Osterreichischen Subkommission für Kirchengeschichte in Wien. Thema: „Die Kirchen im Widerstand - neueste Forschungsergebnisse”.

„Widerstand oder nicht?” war die Kernfrage aller Vorträge. Zweifellos muß hier zwischen Österreich und Deutschland, zwischen Katholischer und Evangelischer Kirche differenziert werden. Wie Univ.-Prof. Klaus Schol-der aus Tübingen ausführte, stellte die Deutsche Bischofskonferenz im Anschluß an die TV-Serie „Holocaust” fest, daß die Kirchen im Widerstand nicht versagt hätten. Dies blieb nicht unwidersprochen: Zumal die Entwicklung der Evangelischen Kirche seit 1945 stelle eindeutig eine Selbstanklage dar, man sei nicht für die Menschenrechte eingetreten. Für die Katholische Kirche faßte Prof. Scholder das Problem in der harten Formel „Widerstand wider Willen” zusammen.

Dieses Schlagwort trifft auch zum Großteil auf das damalige Osterreich zu: Es gab bestenfalls einen individuellen Widerstand - etwa die Eidesverweigerung von Franz Jägerstätter und Pater Reinisch -, dieser wurde aber von der Kirchenleitung nicht gestärkt. Von Widerstand könne man erst dann sprechen, wo er Reaktion auf Verfolgungen bedeutete. Soweit die Wiener Zeitge-schichtlerin Univ.-Prof. Erika Wein-zierl.

Univ.-Prof. Maximilian Liebmann aus Graz stellte die Frage, ob die Erklärung der österreichischen Bischöfe vom März 1938 Widerstand oder Verrat bedeutete. In einem Entwurf dazu hatte es sogar geheißen, es sei „die Pflicht der Kirche dafür zu beten, wofür die Partei arbeitet”.

Der Widerstand im katholischen Lager war gespalten: aut der einen Seite die „Brückenbauer” zum Nationalsozialismus, auf der anderen der politische

Katholizismus des christlichen Ständestaates, der so weit ging, daß er die Tötung der NS-Machthaber verlangte.

Daneben gab es noch eine dritte Richtung, die pastorale, deren Aktivitäten der Trennung von Politik und Kirche galten. JSie konnte sich freilich im zu 90 Prozent katholischen Österreich mit einer engen Verbindung von Staat und Kirche noch aus der Zeit der Monarchie nicht durchsetzen. Eben diese Verknüpfung bedeutete inner-kirchlich eine große Beeinträchtigung, es gab viele Übertritte zur Evangelischen Kirche. Überdies fühlten sich die Nationalsozialisten in Österreich an kein Konkordat gebunden, was sie zu einer wesentlich schärferen Kirchenpolitik als in Deutschland veranlaßte.

Ob die katholischen Bischöfe die Taktik Hitlers bis 1938 schon zur Gänze durchschaut haben, bleibt zweifelhaft. Ein Anhaltspunkt ist der Hirtenbrief des Linzer Bischofs Gföllner vom Jänner 1933, der das Wesen des Nationalsozialismus als materialistischen Massenwahn charakterisierte und das Scheinchristentum schärfstens anprangerte. Damit wird eine andere Form des Widerstands deutlich - die Auseinandersetzung mit der Ideologie des Dritten Reiches.

In Österreich kam es zu keinem generellen Schuldbekenntnis auf katholischer Seite. Eine Wende trat vielleicht 1943 ein, als die Kirche nicht nur die eigenen Rechte, sondern die Rechte aller schützen wollte. Zweifellos ist viel geholfen worden, aber die Hilfsstelle im Erzbischöflichen Palais („Der Stall”) war eben nur für nichtarische Christen.

Prof. Weinzierl schloß ihren Vortrag mit einer nachdenklich stimmenden Anmerkung: „Wie schaut es in einem katholischen Land wie Österreich heute aus, wo nach neuesten Ergebnissen (1977) rund 70 Prozent der Bevölkerung als wenigstens latente Antisemiten bezeichnet werden können!” In diesem Sinn wird es noch mehrerer „Holocausts” und Diskussionen bedürfen ...

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