Prozeß der Reinigung

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Die Judenvernichtung in diesem Jahrhundertveränderte auch die Kirchen nachhaltig: Deren Selbstreinigung ist aber längst nicht abgeschlossen.

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Die Judenvernichtung in diesem Jahrhundertveränderte auch die Kirchen nachhaltig: Deren Selbstreinigung ist aber längst nicht abgeschlossen.

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Das Entsetzen über Auschwitz hat zweifellos die Kirchen nachhaltig verändert. Hans Hermann Henrix spricht zurecht davon, daß der jüdisch-christliche Dialog "als epochal neue Anstrengung ,nach Auschwitz' im Schatten der Schoa" steht. Die kirchlichen Erklärungen nach 1945 zeigen, daß Auschwitz der Kirche einen Selbstreinigungsprozeß aufzwang, in dem die ethische Frage nach dem Umgang von Christen gegenüber Juden thematisiert wurde und man als Konsequenz theologische Herausforderungen an das christliche Glaubensverständnis stellte.

Von Luther bis ins Dritte Reich Von den antijüdischen Äußerungen Luthers bis zur Beteiligung namhafter kirchlicher Kreise am Nationalsozialismus spannte sich ein Bogen, der die protestantischen Kirchen zu kritischer Aufarbeitung nötigte. Immerhin waren Antijudaismus und Judenhaß mindestens so verbreitet wie in der katholischen Kirche. Und es zeigte sich, daß nicht nur die Vertreter der sogenannten "Deutschen Christen" offen antisemitisch waren, sondern dieser auch "Vorzeigefiguren" der Bekennenden Kirche und berühmte Theologen wie Karl Barth betraf.

Nach 1945 dauerte der Selbstreinigungsprozeß an. Noch die "Stuttgarter Erklärung" vom 19. Oktober 1945 erwähnt die Juden nicht. Von Schuld gegenüber den Juden sprechen allerdings schon die Landeskirchen in Sachsen (17. April 1948), Bayern (1949) und Baden (5. August 1949) sowie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 1950. Erst mit der Studie "Christen und Juden" der EKD von 1975 leitet sich ein wirkliches theologisches Neubesinnen ein.

Und umso deutlicher fallen die weiteren Stellungnahmen aus. Neben der allseits gerühmten evangelischen Rheinischen Landessynode von 1980 nenne ich nur die "Erklärung zum Verhältnis von Christen und Juden vom 3. Juni 1983" der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche, die "Erklärung zum Verhältnis von Christen und Juden vom 3. Mai 1984" der Landeskirche in Baden oder den "Beschluß zum Verhältnis von Kirche und Israel vom 11. Mai 1984" des Evangelisch-Reformierten Landeskirchentags in Nordwestdeutschland. In allen Erklärungen ist von Schuld der Christen und von (Mit-)Verantwortung für die Schoa die Rede.

Und man thematisiert - im Unterschied zu den katholischen Dokumenten - auch die Haltung zum Staat Israel positiv und bezieht gegen den Antizionismus Stellung. Hier muß man auch die Vielzahl der ökumenischen und interreligiösen Stellungnahmen erwähnen, hervorragende Texte, in denen die Rolle der Kirchen kritisch und klar zur Sprache kommen.

In Österreich gab die Evangelische Generalsynode am 28. Oktober 1998 eine Stellungnahme zum christlich-jüdischen Verhältnis heraus, das ebenfalls von klarer Sprache gekennzeichnet ist (siehe Kasten unten).

Erst seit dem Konzil ...

Die katholische Kirche brachte vor dem II. Vatikanum nur wenig für eine Aufarbeitung der Schoa zustande. Die Entschließung zur "Judenfrage" des deutschen Katholikentags vom September 1948 spricht von Wiedergutmachung, ohne aber über die Schuld der Christen zu handeln. Das Gebet für die ermordeten Juden und ihre Verfolger vom 31. Mai 1961 redet immerhin von "Einsicht und Umkehr für die Christen, die durch Tun Unterlassen und Schweigen" schuldig wurden. In Deutschland ist vor allem die "Erklärung über das Verhältnis der Kirche zum Judentum" von 1980 zu nennen, in der auch Weichen für eine Theologie des Dialogs mit dem Judentum gestellt werden.

In Österreich und Deutschland äußern die Bischöfe 1988 aus Anlaß des 50. Jahrestages der Novemberpogrome die Bereitschaft, "die Last der Geschichte" anzunehmen. 1995 wird darauf anläßlich des 50. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz erneut verwiesen. Man bedauert das Ausbleiben von Protesten angesichts der Novemberpogrome 1938 und zieht daraus den Schluß, daß die Kirche auch eine "sündige und der Umkehr bedürftige Kirche ist".

Vatikanisches Gedenken Am 12. März 1998 veröffentlichte der Vatikan nun ein Papier mit dem bemerkenswerten Titel: "Wir gedenken: Eine Reflexion über die Schoa." In ihm wird nach immerhin elf Jahren Vorbereitung zum ersten Mal in der Geschichte der katholischen Kirche der Versuch gemacht, mit einem Dokument auf höchster Ebene zum Verbrechen der Schoa Stellung zu beziehen und dabei die eigene Rolle zu reflektieren. Jüdische Organisationen und christlich-jüdische Komitees hatten sich eine entschiedene Abrechnung mit der Rolle der Kirche während der Schoa erwartet und waren mehrheitlich enttäuscht worden. Der Historiker und Vatikanspezialist Hansjakob Stehle nannte es wohl zurecht ein "sanft verkrampftes Dokument".

Obwohl man begrüßenswert offen von "antijüdischen Empfindungen" und von "Gewalt, Plünderungen und Massakern" gegen Juden in der "christlichen Welt" spricht, fällt das Bestreben auf, die Kirche als Organisation von Schuld freizuhalten und statt dessen von "einigen christlichen Kreisen" zu sprechen. Man unterscheidet hartnäckig zwischen christlichem Antijudaismus und dem auf rassistischen Ideen fußenden Antisemitismus, der im Nationalsozialismus seine extremste Form erreichte. Die Ausrottung der Juden wird als "Werk eines typischen neuheidnischen Regimes" bezeichnet. Auch wenn das Versagen einzelner Christen, ja sogar die Kollaboration mit dem Regime eingestanden wird, fehlt erneut ein Schuldbekenntnis der Kirche.

Gerade von jener Kirche, die allenthalben auf ihre hierarchische Struktur verweist, hatte man sich erwartet, daß sie sich nicht auf einzelne "schwarze Schafe" ausredet, sondern die Verantwortung übernimmt für das geistige Umfeld, das den Nährboden bereitete für den Judenhaß. Auch die Querverbindungen zwischen christlicher Judenfeindschaft und rassistischem Antisemitismus hätten nuancierter betrachtet werden können.

So konnten die Wortmeldungen auch führender christlicher Denker nicht ungehört geblieben sein, die lange vor Hitler auf der Klaviatur des Rassismus spielten. Hat man die spanischen Inquisitoren vergessen, die schon jahrhundertelang mit dem Argument der "Reinheit des Blutes" sogar getaufte Juden für minderwertig erachteten? Und warum wurde der päpstliche Nuntius beim Katholikentag in Grunewald 1933 von SA-Leuten mit Hakenkreuzfahnen zum Altar geleitet, wenn es keine geistige Verbindung gab?

Diskussionen erregte die Nennung des Münchner Kardinals Faulhaber und von Pius XII. als Beispiele für ein entschlossenes Eintreten zugunsten der Juden. Über Pius XII. braucht hier nicht gesprochen zu werden. Kardinal Faulhaber war gewiß kein Judenfreund, wenn er die "ehrliche Rassenforschung und Rassenpflege" begrüßte. Und er meinte, man müsse zwischen dem Volk Israel vor und nach Christi unterscheiden, weshalb man das Alte Testament beibehalten könne, ohne die Juden zu verteidigen.

Das Dokument läßt also einiges vermissen und enttäuscht viele. Umso positiver kann deshalb vermerkt werden, daß schon 1997 die französische Bischofskonferenz eine weitergehende Erklärung zu Kirche und Schoa abzugeben bereit war. Und am 25. März 1998 erschien die vorbildliche Erklärung der Slowakischen Bischofskonferenz (siehe Kasten oben).

Schuldbekenntnis 2000?

Dennoch ist nicht alles "in Butter". Gerade die unzureichenden Formulierungen des Vatikandokumentes haben die Forderung nach einer deutlicheren unmißverständlicheren Schulderklärung wach werden lassen, die man nun für das große Mea Culpa des Papstes im Jahr 2000 erwartet.

Die Vorgänge um die Aufstellung der Kreuze in Auschwitz und die Seligsprechung des Kardinals Stepinac beunruhigen zudem viele engagierte Juden und Christen: Hatte Kardinal Stepinac als Militärvikar der kroatischen faschistischen Verbrecherorganisation Ustascha nicht 1941 davon gesprochen, daß im Werk der Ustascha-Regierung "die Hand Gottes ... zu erkennen" sei?

Viele Fragen bleiben und mit ihnen der dauerhafte Auftrag an alle Organisationen im Dienste des jüdisch-christlichen Dialogs, weiterzuarbeiten an dem Auftrag, den die (katholische) Pastoralkommission Österreichs schon 1982 äußerte, daß nämlich die "schrecklichen Ereignisse ... wenigstens jetzt zum Umdenken und zur Umkehr führen".

Der Autor ist Professor für Judaistik an der Kath.-theol. Fakultät der Universität Salzburg und Präsident des Koordinierungsausschusses für christl.-jüd. Verständigung.

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