An einer Zukunft für das Judentum bauen

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Vor 60 Jahren wurde in Österreich der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit gegründet. Damals nahmen sich katholische und evangelische Kirchen vor, den christlichen Antijudaismus zu bekämpfen. Heute ist hier aber weiterhin noch viel zu tun.

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Vor 60 Jahren wurde in Österreich der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit gegründet. Damals nahmen sich katholische und evangelische Kirchen vor, den christlichen Antijudaismus zu bekämpfen. Heute ist hier aber weiterhin noch viel zu tun.

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Der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit feiert sein 60-jähriges Bestehen. Dank seiner Initiative wurden religionspädagogische Materialien erneuert, das Bewusstsein für antijüdische Tendenzen in den liturgischen Feiern der Karwoche geschärft und im Kalender der kirchlichen Ökumene wird seit 2000 der 17. Jänner als "Tag des Judentums" gefeiert. Der Koordinierungsausschuss setzt sich für Respekt und Unterstützung gegenüber den konkreten jüdischen Gemeinden ein.

Hat der Koordinierungsausschuss damit sein Pensum bereits abgearbeitet? Wohl kaum. Erst jüngst hat Paul Weß (FUR-CHE 41/2016) das biblische Judentum als dunkle Hintergrund-Folie für das Christentum benutzt: "Gewalt" und "Auserwählung" bilden die Gegenbegriffe zur "zwischenmenschlichen Liebe", die Jesus Christus "lehrt und vorlebt". Das hat Tradition: Die Gegensatzpaare "Schattenbilder" und "Gnade", "altes Gesetz" und "Liebe" beschwört auch der Verduner Altar aus dem 12. Jahrhundert. Antijüdische Muster wie diese finden sich nach wie vor in Pastoral und Theologie. Demgegenüber sehen die vatikanischen "Richtlinien und Hinweise für die Durchführung der Konzilserklärung Nostra Aetate, Art. 4" der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum (1974) vor, "dass die Christen ( ) lernen, welche Grundzüge für die gelebte religiöse Wirklichkeit der Juden nach ihrem eigenen Verständnis wesentlich sind". Im Glaubensleben der Mehrheit der Christen spielt die Tatsache, dass Jesus Jude und Tora-Lehrer war, eine marginale Rolle. So gut wie folgenlos blieb, dass dieselbe Kommission 1985 gefordert hat: Juden und Judentum dürfen "in Predigt und Katechese nicht einen gelegentlichen Platz am Rande bekommen; vielmehr muss ihre unverzichtbare Gegenwart in die Unterweisung eingearbeitet werden." Nicht nur aus historischen und archäologischen, sondern aus theologischen Gründen.

Kirchliche Selbsterneuerung

Der Koordinierungsausschuss strebt in seinen Statuten zuallererst "die Erneuerung der Kirchen aus dem Geist christlich-jüdischer Zusammenarbeit" an. Auch in "Nostra Aetate" spricht das Konzil über das Judentum im Rahmen der "Besinnung auf das Geheimnis der Kirche". Ohne die lebendige Beziehung zum Judentum verliert die Kirche ihr Fundament. Die Messlatte dieser Aufgabe wird sein, wie weit die am Dialog Beteiligten willens sind, das Judentum dankbar als Lehrer anzuerkennen. So könnte wahr werden, dass die Kirchen Jesus aus dem Judentum empfangen haben und ihn daher auch nur im Licht jüdischer Gegenwart suchen können.

Auch die Bekämpfung von Judenfeindschaft und Rassismus gehört zu den Aufgaben des Koordinierungsausschusses. Dies ist global-und europapolitisch höchst aktuell. - Zunächst um der Lebenssituation von Juden und Jüdinnen willen: Laut der Anti-Defamation-League (2009) haben 26 Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung antisemitische Einstellungen; in Deutschland 27 Prozent, in Österreich 28 Prozent, Tendenz steigend. Christen kommt in der Bekämpfung des Antisemitismus eine besondere Verpflichtung zu. Die fast 2000-jährige Geschichte der "Theologie der Verachtung" (Jules Isaac) gegenüber dem Judentum hat den Boden für den rassistischen Antisemitismus bereitet - und damit auch für die Schoa.

Sodann um der Humanität der Gesellschaft willen: Die Zunahme des Antisemitismus ist stets ein zentraler Indikator, dass Wert und Würde auch anderer verwundbarer sozialer Gruppen bedroht sind und die Anerkennung des Anderen in seiner Andersheit zur Disposition steht. Ablehnung und Hass gegenüber sogenannten "Fremden" im Kontext der sogenannten "Flüchtlingskrise" belegen diesen Zusammenhang.

Jesus -"Tor des Bundes"

Schließlich können Christen ohne das Judentum ihren Glauben nicht verstehen -allem voran die Person Jesu Christi. Die jüdische Überlieferung kennt keinen Gottmenschen wie das Christentum. Was also wird es heißen, Jesus auf der Basis des christlich-jüdischen Dialogs empfangen und verstehen zu wollen?

Was sich hier abzeichnet, wird christlich kaum noch bedacht - weil es eingefahrene Gewohnheiten verändern würde: Jesus wäre dann nicht mehr die Vollendung Israels und die Kirche nicht mehr das neue Volk Gottes, sondern das Tor des Bundes, durch das die Christen zum Bund Gottes mit Israel hinzukommen dürfen; er wäre nicht mehr das (Mahn-)Mal der Unterscheidung oder Abgrenzung, sondern das Wort, in dem Gott die Christen einlädt in seinen ewigen Bund mit Israel.

Und worin besteht der Beitrag von Jüdinnen und Juden zur Erneuerung der Kirche(n)?

Das Konzil thematisiert das Judentum nur als Teil der christlichen Identität. Eine Wertschätzung des eigenen jüdischen Wegs mit Gott kennt es nicht. Die Kirchen brauchen das Judentum für ihre Identität, aber sie dürfen dafür die jüdischen Gemeinden nicht vereinnahmen. Da braucht es ein ständiges Austarieren von Distanz und Nähe. Und bisweilen klare Worte unter Freunden.

Dialog mit Orthodoxen

2015: Jüdische Persönlichkeiten in Frankreich unterzeichnen eine "Erklärung für das kommende Jubeljahr der Brüderlichkeit". Sie erwähnen darin voller Hochachtung die Erneuerung der Kirchen in ihrer Haltung gegenüber dem Judentum: "Dadurch wird der Name des Ewigen geheiligt, diesem Vorgang gebührt für immer unser Respekt und es ist ein beispielhafter Präzedenzfall für alle Religionen und spirituellen Überzeugungen auf dem Planeten." Orthodoxe Rabbiner sprechen in einer Erklärung von Christen ausdrücklich als Brüder und Schwestern. Diese Worte sind nicht selbstverständlich. Aber die Beziehung miteinander wächst. Für Österreich hat der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit seinen bedeutenden Anteil daran.

Regina Polak ist Pastoraltheologin, Wolfgang Treitler ist Fundamentaltheologe an der Uni Wien. Markus Himmelbauer war bis 2015 Geschäftsführer des Koordinierungsausschusses für christlichjüdische Verständigung.

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