Gegen "Theologie der Verachtung"

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Die Verwurzelung des christlichen Glaubens im Judentum soll am "Tag des Judentums" bewußt gefeiert werden: Kirchen machen sich auf den Weg, den spirituellen Reichtum Israels als Fundament des eigenen Bekenntnisses neu zu entdecken.

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Die Verwurzelung des christlichen Glaubens im Judentum soll am "Tag des Judentums" bewußt gefeiert werden: Kirchen machen sich auf den Weg, den spirituellen Reichtum Israels als Fundament des eigenen Bekenntnisses neu zu entdecken.

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Die Gebetswoche für die Einheit der Christen wird jedes Jahr Ende Jänner von allen Kirchen der Welt begangen. Der Tag davor, der 17. Jänner, wird heuer in Österreich erstmals als "Tag des Judentums" gefeiert. Auf Initiative des Ökumenischen Rates der Kirchen soll mit diesem Anlaß deutlich gemacht werden, daß vor aller Verschiedenheit der Kirchen das gemeinsame Fundament im Judentum steht. "Die jahrhundertelange Verfolgung der Juden durch Christen macht es notwendig, daß auf dem Weg der Buße und der Neubesinnung eine Haltung gegenüber den Juden heranreift, die dem Evangelium entspricht", schreibt der Ökumenische Rat in seinem Grußwort.

Ein Besinnungstag für Christen Der Tag des Judentums ist ein Besinnungstag für Christen. Es geht hier nicht darum, einen Gottesdienst mit jüdischen Elementen zu gestalten, auch nicht um ein Kennenlernen des Judentums. Auf dem Boden der eigenen Traditionen soll eine positive Stellungnahme zur Heilsbedeutung Israels für die Kirchen abgegeben werden. "Ein Licht, das die Heiden erleuchtet und Herrlichkeit für dein Volk Israel": So besingt - nach den Worten des Evangelisten Lukas - der fromme Simeon das Auftreten des Jesus aus Nazaret (Lk 2,32).

Als Kirche der Heiden hineingenommen sein in den Bund Gottes mit seinem Volk, das ist es, was die Christinnen und Christen feiern, und nicht, sich an die Stelle Israels gesetzt zu haben. Auch der Apostel Paulus ruft auf: "Ihr Heiden, freut euch mit seinem Volk!" (Röm 15,10) Kein traditioneller Antijudaismus ...

Nicht judenfeindliche Hetzpredigten sind heute das Problem des christlich-jüdischen Gesprächs. Eine Umfrage unter katholischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern in Wien, Oberösterreich und Salzburg, die in einer Diplomarbeit am Institut für alttestamentliche Bibelwissenschaft und Judaistik der Universität Salzburg durchgeführt wurde, zeigte, daß traditionell antisemitische Stereotype, etwa die Schuld der Juden am Tod Jesu oder ein "typisch jüdischer" Umgang mit Geld heute praktisch nicht mehr bestehen.

Die Probleme liegen dort, wo immer wieder traditionelle Phrasen weitergetragen werden, in denen Jesus und der christliche Glaube als Vollendung oder Überwindung jüdischer Tradition bezeichnet werden. Mehr als zwei Drittel der Befragten der Salzburger Studie sehen einen Gegensatz zwischen dem "Liebesgebot Jesu" und dem "Gesetzesgehorsam" des Alten Testaments, fast die Hälfte meint, die Kirche des Neuen Testaments hätte Israel als Gottesvolk abgelöst.

Ein Viertel glaubt, der Bund Gottes mit Israel wäre aufgehoben und versteht das Alte Testament nur als Vorstufe des Neuen. Dieser Befund ist aber uneinheitlich: eine nicht unbedeutende Gruppe zeigt besondere Sensibilität bei Liedtexten: Rund ein Drittel der Befragten gab an, eine Abwertung Israels zu erkennen, wenn Christen unreflektiert die Worte "Volk Gottes" und "Neuer Bund" gebrauchen.

... aber "Theologie der Verachtung" Es ist nicht schwer, auch heute noch im christlichen Blätterwald Blüten dieser "Theologie der Verachtung" jüdischer Traditionen zu finden: Der Gott Jesu ist der bedingungslos Liebende im Gegensatz zum gespaltenen jüdischen (so ein Beitrag in den Kirchenzeitungen der Diözesen Linz, Innsbruck und Feldkirch im Dezember 1999); die "kaltherzige Pharisäer-Gerechtigkeit" deren "Paragraphenreiterei Jesus so sehr verabscheute" wird weiterhin überliefert als wäre sie historisches Protokoll (Editorial in "Kirche Intern", November 1999) und der Sonntag wird als achter Tag der Woche bezeichnet, "um anzudeuten, daß der jüdische Sabbat durch den Sonntag überwunden ist" (Singende Kirche 4/99). Und auch in einer Neuerscheinung biblischer Meditationen unter bischöflicher Autorschaft wird heute noch die Mär selbstverständlich verbreitet, Jesu Anrede Gottes mit "Abba" stehe im strengsten Gegensatz zum Judentum seiner Zeit. War Jesus nicht Jude? Was ist die Anrede, wenn Jüdinnen und Juden zu Gott als ihren Vater auf Hebräisch oder Aramäisch beten? Eben!

Ergebnisse theologischer Forschung, die versuchen, christliche Glaubensüberlieferung mit Bezug auf seine jüdische Wurzel neu zu formulieren, werden von kirchlicher Lehre und in den Gemeinden nur langsam aufgenommen. Ein Glücksfall ist die geänderte Karfreitagsbitte: Hier wurden neue Einsichten im christlich-jüdischen Verhältnis konsequent auch in der Liturgie umgesetzt. Mit dem Tag des Judentums verpflichten sich die Kirchen, weitere Schritte auf diesem Weg der Erneuerung des christlich-jüdischen Verhältnisses zu gehen.

Alte Vorurteile kommen hervor Christlich-jüdischer Dialog scheint auf den ersten Blick kein Problem zu sein, es hat ja niemand etwas gegen Juden. In der Salzburger Umfrage wurde fast einhellig der Aussage zugestimmt, das Christentum sei ohne seine jüdische Wurzel undenkbar, mit überwältigender Mehrheit wurde auch die Bedeutung des christlich-jüdischen Dialogs für einen persönlich und für die Kirche unterstrichen. In dieser Allgemeinheit, solange Israel nicht konkret angesprochen wird - und das ist der Normalfall - provozieren diese Aussagen nur wenig Widerspruch. Doch dort, wo man sich bemüht, ausdrücklich auf das jüdische Fundament christlichen Glaubens hinzuweisen und es selbstverständlich mit einzubeziehen, brechen alte Vorurteile und Widerstände hervor.

Immerhin gab ein Viertel der befragten Seelsorger an, Gott setze seine Heilsgeschichte im heutigen Judentum nicht fort. Dagegen haben die Kirchen Österreichs in der Botschaft des Ende November 1999 erstmals veranstalteten Christentages programmatisch Stellung bezogen: "Wir beten, daß alle Kirchen erkennen, daß der Heilsweg des Ersten Testaments weiterhin gültig ist". Die Kirchen wollen so mit allen Formen des jahrhundertealten Judenhasses brechen.

Es gilt, die "heilsgeschichtliche Zeitgenossenschaft" mit dem Judentum zu erkennen: Das heute lebendige Judentum in seinen Richtungen ist eine konkrete und authentische Lebensform biblischer Spiritualität, die Christinnen und Christen mit ihm teilen.

Der Autor ist katholischer Theologe und leitet das christlich-jüdische Informationszentrum in Wien.

Hinweis Ökumenischer Gottesdienst der Kirchen Österreichs am "Tag des Judentums" mit Bischof Helmut Krätzl (kath.), Superintendent Werner Horn (evang. A.B.), Bischof Bernhard Heitz (altkath.), Oberin Christine Gleixner (Vorsitzende des Ökumen. Rates der Kirchen in Österreich) u.a.

Predigt: Superintendent Helmut Nausner (evang.-method.)

Zeit: Montag, 17. Jänner, 19.00 Uhr Ort: Ruprechtskirche, 1010 Wien Ein Vorschlag für einen christlichen Gottesdienst zum Tag des Judentums ist erhältlich bei: Christl.-jüdisches Informationszentrum, 1180 Wien, Gentzgasse 14/4/1, Tel. & Fax: 01/ 4797376, E-Mail: c-j.koo@t0.or.at Der Vorschlag kann auch aus dem Internet heruntergeladen werden: www.jcrelations.com/cjoesterreich

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