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Gestaltwandel des Antisemitismus

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Die „ökunnenische Sonntagsfeier" im Hörfunk widmet sich mehrere Wochen der Begegnung von Juden und Christen. Auf Hoch-schulboden findet dieser Tage eine wissenschaftliche Durchleuchtung des Antisemitismus statt. Er ist ein dumpfes,- resistentes Übel. Mehr Menschen als je zuvor bekämpfen es. Doch sind es ihrer genug?

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Die „ökunnenische Sonntagsfeier" im Hörfunk widmet sich mehrere Wochen der Begegnung von Juden und Christen. Auf Hoch-schulboden findet dieser Tage eine wissenschaftliche Durchleuchtung des Antisemitismus statt. Er ist ein dumpfes,- resistentes Übel. Mehr Menschen als je zuvor bekämpfen es. Doch sind es ihrer genug?

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Wer mit offenen Ohren Österreich erlebt, muß davon betroffen sein, daß trotz deutlicher kirchlicher Erklärungen und Verurteilungen des Antisemitismus selbst im kirchlichen Raum noch antisemitische Äußerungen möglich sind und der Antisemitismus am Stammtisch schamlos wie einst geblieben ist; Alle für Büdung und Volksbildung verantwortlichen Stelle» wurden aber viel hellhöriger, als sie bisher waren, und Veranstaltungen verschiedenster Art gegen den Antisemitismus gehören fast \ sdfeiQiizum ĄUtagiKoiipteisinbe ; kanotPE österreichischer s Poüti-I kęr, selbst Opfer nätionalspziali-’ stischer Verfolgung, unmittelbar nach der Befreiung im Frühjahr

1945 noch sagen, daß er Antisemit war und es auch zu bleiben gedenke, ist heute jeder Politiker sehr darauf bedacht, das Odium des Antisemitismus von sich zu weisen, selbst wenn andere den Eindruck haben, daß er wahlwerbend den Antisemitismus-Bonus für sich zum Einsatz brachte.

Es ist daher nach einer richtigen Diagnose zu fragen, denn ohne eine solche kann es nie zu einer erfolgversprechenden Therapie kommen. Das Fehlverhalten des AntiJudaismus — den Terminus Antisemitismus gibt es erst seit etwas mehr als hundert Jahren -geht zunächst auf eine Reaktion des antiken Heidentums zurück, da das Diasporavolk der Juden seit dem sechsten Jahrhundert vor Christus seinen Gott als den einzig wahren innerhalb einer Welt verkündete, in der es von Göttern und Heroen wimmelte. Sorme, Mond und Sterne sollten nicht mehr Götter sein, sondern Geschöpfe des einen und einzig wahren Gottes, der sich nur seinem Volk Israel geoffenbart hatte. Dieser Kritik an der heidnischen Frömmigkeit begegnete das antike Heidentum häufig mit Unverständnis und deutlicher Abineigung. Bereits in der Bibel gibt es dafür unumstößliche Beweise.

Nach dem Buche Esther verlangte der persische Wesir Ha-man, daß alle Beamten des persischen Hofes vor ihm das Knie zu beugen hätten^ Nur der Jude Mor-dechai tat es nicht, mit dem Hinweis, daß eine derartige Ehrenbe-zeugimg nicht einem Menschen sondern nur Gott allein zukomme. „Da sprach Haman zu König Achaschwerosch: Es gibt ein Volk, das zerstreut und abgesondert unter den Völkern in allen Provinzen deines Reiches lebt. Ihre Gesetze imterscheiden sich von jedem Volk, und die königlichen VerOTHänungen beachten sie nicht. Deshalb ist es nicht angemessen für den König, sie in Rühe zU las^ sort. Weriii es derri König gefällt, soll man ein Schriftstück abfassen, sie ausrotten".

Selbst ein Historiker vom Rang des Tacitus meinte, daß die Juden nur deswegen als Geburtenkontrolle Neugeborene nicht aussetzten, weil sie letzthin die nicht jüdische Menschheit beherrschen wollten. Die Juden wurden also bereits in einer Welt verteufelt, die selbst noch keine Vorstellung vom Teufel hatte. Das Judentum wählte dem Verschmelzungsprozeß der heidnischen Antike gegenüber die Isolation, was von ihr als religiöser Hochmut verstanden und abgetan wurde. Noch bevor von einer jüdischen Mutter der Jude Jesus hätte geboren werden können, wäre somit das Judentum untergegangen, hätte es einen anderen Weg gewählt!

In eine Welt, die das Judentum gnmdsätzlich nicht verstehen kormte, kam nun das Christentum, das der vorhandenen Animosität die ideologische Basis bot. Aus den „Feinden der Götter" wurden die „Feinde Gottes" (1 Thess 2,15). Dem geschichtlichen irdischen Jesus ging es in seiner Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Judentum um ein sinnvolles Verständnis des biblischen Gesetzes, nach dem nicht das den Menschen unrein macht, was in seinen Mimd hineinkommt, sondern nur das, was aus diesem herauskommt (Mt 15,11). Auch die Forderungen der Bergpredigt liegen auf dieser Ebene. Diese Auseinandersetzung Jesu selbst wurde erheblich verschärft, als sie von Judenchristen als Argument gegen ihre nicht an Jesus als Messias glaubenden jüdischen Zeitgenossen verwendet wurde, siehe die sieberunaligen Wehrufe über die Pharisäer als Heuchler in Mt 23,13-38. Diese Polemik wiederum diente den Heidenchristen als Rechtfertigung für ihren eigenen Antijudaismus, bis zu dem Argument, daß nach Joh 8,44 die Juden den Teufel zum Vater haben, also im für das Johannesevangelium prägenden dualistischen Denken auf der Seite der Finsternis, des Todes und somit auch des Teufels stehen. Der Anfang der Verteufelung des Judentums im christlichen Raum reicht also bis ins Neue Testament zurück.

Andererseits findet aber auch eine Ablehnung des Antijudaismus im selben Johannesevangelium Begründung, da es bei Joh 4,22

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