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Wozu Amerika ?

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Es gibt ein französisches Lustspiel, da sieht man Christoph Co-lumbus an Land steigen mit dem lauten Ruf: „Ich habe Amerika entdeckt!“ Da legt ihm ein weiser alter Seemann die Hand auf die Schulter mit der vertraulichen Warnung: „Dann sagen Sie's nicht laut!“ Und so gibt es denn wirklich die Frage: Wozu hat Herr Christoph Amerika entdeckt? Damit hängt aber die weitere Frage zusammen: Wer war er denn? Don Cristoforo oder Don Cristobal oder —?

Seit Jahr und Tag vermutet man, daß er jüdischen Stammes war. Der naheliegende Grund zu dieser Vermutung ist leicht zu finden. Der Entdecker selbst hat ganz offenbar mit seiner Herkunft Verstecken gespielt — daher die Behauptungen spanischer oder genuesischer Herkunft, die Hinweise auf Portugal. Nun aber: Wer mußte wünschen, seine Herkunft zu verbergen? In züchtigen deutschen Landen allenfalls ein Bastard; den wollte keine ehrsame Zunft haben. Aber in Spanien, wo Bastarde oder ihre Kinder zu höchsten, ja zu allerhöchsten Würden aufstiegen? Dort hatte seit den judenfeindlichen Maßnahmen von 1391 vor allem ein Judenstämm-ling Interesse daran, seinen Ursprung zu verheimlichen. Dazu kommt noch etwas. Wer konnte zu hoher Bildung kommen, ohne Klo-s'terschüler oder Fürstensohn zu sein? Ein Judenknabe. Wer konnte zumal von fernen Landen Kunde haben? Ein Judenknabe, dessen Großväter oder Onkel Geschäftsreisen — oder auch Pilgerfahrten — von unvorstellbarer Weite gemacht hatten. Diese Argumente machen die jüdische Herkunft des Entdek-kers wahrscheinlich, und sind der Überprüfung wert.

Es herrscht aber in Israel die bewundernswerte Sitte, daß Generäle, Offiziere und nun gar zivile Würdenträger sich mit geschichtlicher Forschung abmühen. Simon Wiesenthal — dessen Name bekannt wurde, als ein Mörder unserer Zeit dingfest gemacht war — geht jenen Argumenten — neben einigen schwächeren — nach. Er weist nach, daß die spanischen Juden, die vor der Austreibung standen, dringend wünschten, einen Zufluchtsort zu finden; daß es Judenstämmlinge waren, welche die königliche Bewilligung und Unterstützung der Entdeckungsfahrt besorgten — und wahrscheinlich auch für die auffallende Einzelheit sorgten, daß der Austreibungsstichtag und die Abreise zur Entdek-kungsfahrt auf den Jahrestag fielen, da Titus den Tempel zerstört hatte —; daß der Entdecker die Hoffnung und die Absicht hatte, an Gestaden ferner Judenvölker zu landen; daß er auch gleich Leute jüdischen Blutes auf seine Schiffe mitnahm. ..

Der Autor hat dazu längere Ausführungen über die Verhältnisse der spanischen Juden, und über jüdische Suche nach entfernten Brüdern hinzugefügt. Nun wissen wir allzugut, daß auch unter Christenvölkern sine durchgeführte — oder geplante! — Heimatverteibung tiefe Narben hinterläßt. Kein Wunder also, daß er das spanische Regime jener Zeiten schwarz sieht. Es wäre aber der Tatsache genauer nachzugehen, die Wie-senthal ausdrücklich erwähnt — daß nämlich die Inquisition weitgehend ein Politikum war, eine Behörde, dem König weit mehr als dem Papst gehorsam. Es wäre dabei Folgendes zu beachten: In anderen Ländern der Christenheit wurde der getaufte Jude mit Freuden aufgenommen, was sich allerdings — anders herum — auch als zweckwidrig erwies. Der getaufte Jude war Christ vor dem Gesetz; das Recht des Mittelalters kannte den Begriff des Judenchristen nicht — den Menschen jüdischer Nationalität und christlichen Glaubens. Folglich sind die Kinder getaufter Juden im christlichen Volk aufgegangen; sie gingen dem jüdischen Volk verloren. Folglich sahen die Juden die Taufe als Aufgeben ihres Volkstums, und dies festigte erst recht ihren „Starrsinn“ gegen die Taufe. Anders in Spanien. Dort kannte man sehr wohl den Begriff des Judenchristen; nur war die Rechtsstellung dieser „neuen Christen“ ein reines „Privilegium odio-sum“. Es hatte die natürliche Folge, daß die Nachkommen der Getauften noch generationenlang ihr jüdisches Volkstum bewahrten — wie eben, nach Wiesenthals Meinung, Colum-bus —. Warum nun dieser Gegensatz? Warum wurde der neue Christ in Polen gerne gesehen, wohl gar geadelt, in Spanien mißhandelt? Weil die Spanier überzeugt waren, daß sich die Juden nach den Zeiten des Kalifats zurücksehnten. Gewiß — unter islamischem Regime hatten die Juden auch Demütigung und zei-weiligen Pogrom zu erwarten; aber die Spanier sahen in ihnen eben die möglichen Mitarbeiter der Mauren, die politische Drohung. Daher die Unterdrückung, daher die Heimatvertreibung. Wie die Romanschriftsteller sagen: „Jede Ähnlichkeit mit Zeitgenossen ist rein zufällig.“

Wiesenthals Einstellung läßt ihn dabei manchmal Wendungen finden, die nicht unbemerkt gelassen werden können. S. 231: „Mit der Austreibung der Juden zog nicht das Goldene Zeitalter herauf.“ Immerhin nennt die spanische Geschichtsschreibung das Jahrhundert nach 1492 — nach der Einigung Spaniens — eben „Siglo de Oro!“ Freilich sagt Wiesenthal: „Mit der Flucht der Marranen“ — der Judenchristen — „aus Spanien begann der wirtschaftliche Niedergang“ doch — erläutert er selbst S. 211 in hochinteressanter Weise, wie das zuging: „Die spanische Wirtschaft wurde jahrhundertelang durch Juden ... boykottiert“; das ist ihnen nicht übelzunehmen, es zeigt nur wieder einmal, daß geschichtliche Ereignisse niemals „kommen“: es tut sie jemand. Endlich heißt es S. 226: „Als der Nationalsozialismus ... aufbrach, schwieg die Kirche.“ Nun, dessen sind wir selbst Zeugen; das wissen wir besser! Aber lassen wir das. Hoffen wir statt dessen, daß das spannende Buch viele Leser, und seine These fachmännische Bearbeitung finden möge. Hoffen wir vor allem, daß die Hofnung des Entdeck-kers sich bewähre und die Neue Welt in dieser Zeit auf Israels Seite stehe. Das ist lebenswichtig, auch für uns. Denn nach christlicher Tradition wird die Menschheit nicht länger leben als das jüdische Volk: „es wird dieses Geschlecht nicht vergehen, bis das Alles geschieht.“

SEGEL DER HOFFNUNG. Die geheime Mission des Christoph Co-lumbus. Von Simon Wiesenthal. Walter-Verlag, Ölten, 1972, 244 Seiten.

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