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Schicksal zwischen Kollaborateuren und Rebellen

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HERODIER, RÖMER UND JUDEN. Das Schicksal Palästinas zur Zeit Christi und der Apostel. Von St. Perowne. Aus dem Englischen übersetzt von H. Schmökel. Verlag Gustav Klipper, Stuttgart. 261 Seiten. Preis 15.80 DM

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HERODIER, RÖMER UND JUDEN. Das Schicksal Palästinas zur Zeit Christi und der Apostel. Von St. Perowne. Aus dem Englischen übersetzt von H. Schmökel. Verlag Gustav Klipper, Stuttgart. 261 Seiten. Preis 15.80 DM

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Der durch seine Monographie über Herodes den Großen bereits bekannte englische Historiker beschenkt uns hier mit einem neuen Werk über diese Epoche: es behandelt die Zeit vom Tode des Königs bis zum Untergang des jüdischen Staates, den er vierzig Jahre lang ebenso klug und geschickt wie grausam regiert hatte. Die erste und ergiebigste Quelle für jeden Bearbeiter dieses Themas ist natürlich Flavius Josephus, der ehemalige Amateurfeldherr im jüdischen Krieg und Verteidiger der Festung Jota- pata, dem Rom aber später trotzdem das Bürgerrecht verlieh, eine Staatspension auszahlte und zwei steuerfreie Güter schenkte (vgl. S. 144). Die Glaubwürdigkeit seines Berichtes wird von P. sehr hoch eingeschätzt. „Wo nicht sein eigenes Verhalten in Frage steht, haben wir in ihm in der Tat einen umfassenden, wohlunterrichteten, genauen und gewissenhaften Berichterstatter" (S. 149). R. Laqueur, U. Holzmeister und andere urteilen im Hinblick auf die vielen Ueber- treibungen und Irrtümer bei Josephus bekanntlich etwas ungünstiger.

Als zentrale Frage des ganzen Werkes drängt sich dem Leser immer wieder folgende auf; Wie kam es zur Katastrophe des Jahres 70? War sie wirklich „unvermeidlich“, wie auf S. 8 festgestellt wird? Als Hauptgrund dafür nennt P. die Schwierigkeit für den gläubigen Juden, „die Forderungen Roms und des Gottes Israels im Gleichgewicht zu halten“ (S. 8). Dem Antipater und seinem Sohn Herodes dem Großen sei diese Synthese gelungen, aber die späteren Herodier „versagten" in diesem Punkt und fanden den modus vivendi zwischen Rom und Judäa nicht mehr (vgl. S. 9). Daher wandten sich die Juden „von ihrem Glauben und von ihrer Untertanenpflicht ab und warfen sich dem Götzen des Nationalismus in die Arme“ (S. 8).

An dieser Diagnose ist zweifellos vieles richtig, aber wir. wissen .doch, daß die Herodier auf ...die römischen Provinzen Judäa und Samaria praktisch nur sehr wenig Einfluß hatten. Entscheidend versagt haben vor allem die römischen Statthalter, besonders Albinus und Gessius Florus, deren Ungerechtigkeit, Bestechlichkeit und Grausamkeit wirklich ein blutiger Hohn auf das vielgerühmte jus Romanum war, so daß sich nicht nur Sicarier und Zeloten, sondern auch viele gemäßigte und loyal gesinnte Juden sagen mußten: „Wir haben nichts mehr zu verlieren.“ gelbst Tacitus, wahrlich kein Freund dieses Volkes, schrieb den Satz nieder: „Die Geduld der Juden dauerte trotzdem bis zur Zeit des Gessius Florus, unter ihm aber kam es zum Krieg (Histor. V, 10:, Duravit tarnen patientia Judaeis usque ad Gessium Florüm.. . sub eo bellum ortum). Leider war der einzige, der im letzten Augenblick noch das Aergste hätte verhindern können, der römische Legat von Syrien Cestius Gallus, von sträflicher Schwachheit und Unentschlossenheit. Noch zu Ostern 66 n. Chr. baten ihn die Juden bei seinem Besuch in Jerusalem, sie gegen die offenkundige Raubgier des Gessius Florus, die auch vor dem Tempelschatz nicht haltmachte, zu schützen. Dieser aber stand neben dem Legaten und lachte den Bittstellern ins Gesicht. Als Freund und Günstling Neros wußte er. daß ihm auch sein Vorgesetzter Legat nichts tun wird. Zum Unglück gingen am Beginn des Aufstandes einige militärische Einzelaktionen gegen die römische Besatzungsmacht zugunsten der Juden aus, die Burg Antonia wurde der überraschten Garnison entrissen usw., so daß viele Freiheitskämpfer überzeugt waren, der kommende Messias werde ihnen zum Sieg verhelfen. So nahm das Unheil, das Christus klar vorausgesagt (Matth. 24,1—14, und Par.) und der Hohe Rat schon immer gefürchtet hatte (vgl. Joh. 11, 48), seinen Lauf bis zum bitteren, fürchterlichen Ende.

Man legt das blendend geschriebene Buch, das auch die Qumranfunde berücksichtigt, nur tieferschüttert aus der Hand. 23 Photos, 2 Pläne, eine Zeittafel und ein ausführliches Sachregister erleichtern die Benützbarkeit des Werkes, das uns die „Schlußtragödie" des einst auserwählten Volkes nacherleben läßt, die letztlich allerdings doch kein Schluß war. Denn nach langer, langer Nacht ist nun auch diesem Volk ein neuer Tag geschenkt worden, und ein „neues Lied“ kann wieder angestimmt werden auf Sion. Wer das heutige Israel und sein wirklich gigantisches Aufbauwerk in den letzten Jahren gesehen hat, wird gerne bestätigen, daß seine Bewohner diesen neuen Tag wahrlich nicht ungenützt vorübergehen ließen, sondern trotz aller — sehr begreiflicher — Trauer über die Vergangenheit, trotz enormer Schwierigkeiten in der Gegenwart mutig an der Zukunft jenes Landes bauen, das ihre Vorfahren schon vor zweitausend Jahren mit dem eigenen Blute so überreich getränkt haben.

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