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Schon bei der Geburt Jesu wurde über Steuern gestritten

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Wenn sich Christen auf die Ebene des Geldes, der Wirtschaft und der Politik einlassen, dann müssen sie auch die Konsequenzen tragen und die, die dieses System repräsentieren, „gebührend" anerkennen.

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Wenn sich Christen auf die Ebene des Geldes, der Wirtschaft und der Politik einlassen, dann müssen sie auch die Konsequenzen tragen und die, die dieses System repräsentieren, „gebührend" anerkennen.

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Im Weihnachtsevangelium heißt es: „In jenen Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Beiches in Steuerlisten einzutragen..." (Lk2,l). Die kürzlich beendete Wahl ist uns Österreicher(inne)n wohl noch in mehr oder weniger guter Erinnerung - auch dabei ging es um „Steuern". Das ist aber auch schon die einzige Gemeinsamkeit dieser beiden Ereignisse. Die Gesellschaftsform zur Zeit Jesu, das sogenannte „Prinzipat" mit dem Kaiser an der Spitze des römischen Imperiums, erlaubte den Menschen keine Wahlen und ließ ihnen keine Wahl!

Wie haben die Menschen damals ihren „Staat" erlebt? Besser gefragt: Wie haben die Menschen, die uns im Neuen Testament begegnen, den Staat und die Gesellschaft, in der sie lebten, also das Römische Reich, erlebt und bewertet? Die Antwort ist so verschieden, wie es die Verfasser der einzelnen neutestamentlichen Schriften als Menschen ihrer Zeit auch sind. Jesus stammte aus Galiäa. Seine Heimat stand nicht unter direkter römischer Verwaltung; hier und in Peräa herrschte Herodes Antipas, ein Sohn Herodes des Großen, als von Rom abhängiger Vasallenfürst. Judäa bildete zusammen mit Samaria und Idumäa eine römische Prokuratur. Dort, in Jerusalem, verband sich das Schicksal Jesu aufs engste mit dem Imperium Romanum, indem er durch seinen gewaltsamen Tod dessen Opfer wurde.

In der Überlieferung der Worte und Taten Jesu finden sich nur wenige direkte Bezugnahmen zum „Staat". Zunächst gilt es festzuhalten, daß der eigentliche Inhalt der Botschaft Jesu, das Beich Gottes, eine einzige Infragestellung des Bömischen Beiches ist: Wer um das Kommen des Beiches Gottes betet („Vaterunser"!), der betet eben darum, daß ein Machtwechsel stattfinden soll, eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse inmitten einer scheinbar aussichtslosen Lage. Jesus knüpft damit an die alttestamentlich-jüdische Vorstellung an, daß Israel eine alternative Kontrastgesellschaft sein/werden soll, die so attraktiv ist, daß alle Völker staunend zum Berg Zion kommen und sich ebenfalls verwandeln.

Das Bömische Beich kommt unter seinem zentralen Aspekt der Herrschaftsausübung in ebenso nüchterner wie kritischer Weise in den Blick, wenn Jesus (Mk 10,42) sagt: „Ihr wißt: die als Herrscher über die Völker gelten, unterjochen sie, und ihre Großen unterdrücken sie mit Gewalt." Hier wird nichts beschönigt; hier wird mit klarem Blick ausgesprochen, daß die bestehende „Friedensordnung" („Pax Bomana") auf unterdrückerischer Gewaltherrschaft beruht. So haben Jesus und - das zeigt das „ihr wißt" - seine Jünger(innen) die Wirklichkeit des Bömischen Imperiums erfahren. Eine knappe Stellungnahme - eine Wahrnehmung „von unten", bei der die Konkretisierung der Situation nicht wichtig ist; die Notiz dient ja dann als Folie für die Feststellung, daß es „bei euch nicht so ist"!

Diese kritische Distanz, der negative Grundton in der Beurteilung des Staates durch Jesus findet sich auch in der berühmten Episode Mk 12,13 bis 17: „Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen?" Das die Erzählung abschließende Wort Jesu muß aus der damaligen Situation heraus verstanden werden: Als Judäa im Jahre sechs nach Christus römische Prokuratur geworden war, ordnete Coponius (unter der Aufsicht des Legaten der Provinz Syria) als erstes einen „Census" an: die „Eintragung in die Steuerlisten" („kat' oikian apographe"), von der oben im Einleitungszitat Lk 2,1 die Bede war. Neueste papyrologische Untersuchungen haben übrigens die Ubereinstimmung des von Lukas beschriebenen Verfahrens beim Zensus in Judäa mit den erhaltenen ägyptischen Zensusdeklarationen erkennen lassen (B. Palme; B. Bagnall).

In der Steuer dokumentiert sich der römische Herrschaftsanspruch auf Land und Leute - Israel aber gehört Gott! Hört man also bei der Antwort Jesu: „Was des Kaisers, gebt dem Kaiser!" dieses ganze Problem mit, dann heißt die Antwort: Wenn ihr euch schon auf die Ebene des Geldes, der Wirtschaft und der Politik einläßt, dann müßt ihr auch die Konsequenzen tragen und den, der dieses System repräsentiert, „gebührend" anerkennen! Die Antwort Jesu ist damit aber bekanntlich noch nicht zu Ende: „Was aber Gottes ist, Gott"! Hier wird den Fragenden doch klar gesagt, daß sie selbst Gott gehören und sich ihm deshalb zu geben haben! So verstanden, bietet dieses berühmte Jesuswort nicht eine Problemlösung, sondern ' eine Problemanzeige - für damals wie für heute!

Paulus hat diesen Grundansatz Jesu festgehalten und theologisch weitergeführt. Im Römerbrief faßt er die von ihm erfahrene Realität des Imperium Romanum in dem Satz zusammen: „Der Zorn Gottes wird vom Himmel herab offenbar wider jede Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit nie derhalten" (Rom 1,18). Die folgende Situationsanaly se (Rom 1, 19ff) orientiert sich an dem alten biblischen Grundsatz, die Kritik am Götzendienst mit Sozialkritik zu verbinden:

Sie beten das Machen an, statt den Schöpfer, darum hat Gott sie ihren Begierden (epithymiai) preisgegeben - das gleiche Wort, mit dem Piaton und Aristoteles in ihrer politischen Analyse die gemeinschaftszerstörerischen Verhaltensweisen gekennzeichnet hatten - Aristoteles vor allem die Geldvermehrungswirtschaft (Zins-System)! Nicht ohne Grund steht deshalb in dem folgenden Lasterkatalog die „Habgier" ganz oben. Und in der Zusammenfassung am Schluß heißt es: „Sie sind ohne Solidarität („Liebe" im Sinn von Deuteronomium) und Erbarmen". Paulus zeigt, daß die gesamte gesellschaftliche Bealität des römischen Beiches von Ungerechtigkeit gekennzeichnet ist und in dieser alles pervertierenden Bealität der Struktur der Sünde auch die gute, von Gott gegebene Tora faktisch nicht praktiziert wird.

Daraus folgt: Alle sind vor Gott ungerecht. Um reale (!) Gerechtigkeit zu schaffen, muß Gott eingreifen - und eben dies ist das Christusereignis. Was dieses Tun der Gerechtigkeit, die Freiheit der Kinder Gottes, ganz konkret heißt, führt Paulus in Böm 12 bis 16 aus. Hier findet sich auch der durch seine Wirkungsgeschichte belastete Text Böm 13,1 bis 17, eine geschickt unter das Stichwort „Liebe/Feindesliebe" gestellte Loyalitätserklärung gegenüber den römischen Behörden, beschränkt auf das gerade noch Vertretbare (Strafgerichtsbarkeit und Steuern).

Spätere Schriften des Neuen Testaments zeigen teilweise eine stärkere Anpassung an die römische Gesellschaft (vor allem die Tritopaulinen), teilweise aber auch das Erleben einer starken Spannung zum Römischen Staat. Am stärksten ausgedrückt wird dieser Gegensatz im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes. Geschrieben gegen Ende der Verfolgungen Domitians (um 95 nach Christus), wird hier noch einmal das große Thema vom Gottesreich und Weltreich aufgegriffen. In einer vielfach symbolischen und bilderreichen Sprache sagt Johannes, daß die ganze Sklavenhalter- und Gewaltherrschaft des Imperium Bomanum vom Gericht Gottes getroffen wird (Kap. 6). Im weiteren Drama des Gerichts lesen wir in Kapitel 13 von dem Tier aus dem Meer, dem Bömischen Beich und seiner ideologischen Spitze^ dem Kaiser und den anderen „hohen Tieren" der Gesellschaft, die in Wirklichkeit satanischen Wesens sind. Wie scharf der Seher dieses teuflische Gesellschaftssystem analysiert, zeigt seine Darstellung der wirtschaftlichen Zusammenhänge (Kap. 18): Außerhalb dieses Systems kann niemand kaufen und verkaufen!

Um analoge Analysen müßte es auch heute gehen: Ein ökonomischer Denkansatz, der sich als wertneutral versteht, hat gleichwohl eine Wertentscheidung getroffen: den Vorrang des Marktes vor dem Menschen, dem eine Unterordnung des Menschen unter den Markt entspricht. Der österreichische Nobelpreisträger F. A. Hayek spricht von einer „Demut gegenüber den Vorgängen des Marktes"; mit dem „Heiligen" bekommt man es zu tun, wenn es um die Prozesse des Marktes geht; auch von „Glaube" und „Wunder" ist bei Hayek mehrfach die Bede. Die religiösen Begriffe dienen dazu, die Ökonomie aus der humanen Gestaltungsverantwortung zu entlassen. Die Rede von der Selbsttätigkeit des Marktes will den Marktals „naturgemäß" begründen:

Hier ist die Rede von einem „natürlichen Arbeitslohn", von „natürlichem Zins", „natürlicher Arbeitslosenrate" und so weiter. Indem der Aufbau einer Marktwirtschaft so auf die Stufe einer biologischen Evolution gestellt wird, wird ihr wahres Wesen verschleiert. Solche Rede von der Selbsttätigkeit des Marktes hat aber eine „theologische" Basis: so wie der Deismus sagt, daß Gott in die Abläufe dieser Welt nicht eingreife, so wenig soll der Staat in den Markt eingreifen. Nicht mehr das Vertrauen auf Gott, sondern nur die eigene Ökonomie könne der Menschheit Heil bringen. Die Idee des Marktes beerbt also die religiöse Hoffnung. Sie ist demnach ein moderner „Mythos": Der Markt, der sich selber reguliert und sich getragen weiß von einer „unsichtbaren Hand" (A. Smith), ist Beligion. Die geforderte Demut ist die Frömmigkeit des religiösen Menschen in der Beligion des Marktes. Wo aber - wie dies die Marktwirtschaft in Anlehnung an F. A. Hayek behauptet - anderes als der lebendige Gott selbst als Gott verehrt wird, geht es theologisch um die Fragestellung: Götzen oder Gott? Tod oder Leben? Genau dies ist die Fragestellung der Offenbarung des Johannes! Somit ist das Thema des ersten und des letzten Buches der Bibel das Leben, ein Thema, dessen wir uns gerade in diesen Tagen der Weihnachtszeit intensiv besinnen sollten.

Der Autor ist Dozent am Institut für Neutestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Salzburg

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