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Wesen des Judentums

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Auf Anregung zweier westdeutscher Rabbiner unternahm der Verfasser 1924 eine Auseinandersetzung mit der modernen jüdischen Religionsphilosophie, wie sie damals (und bis heute) durch Hermann Cohen, Martin Buber, Leo Baeck, Max Brod, Franz Rosenzweig repräsentiert ist. Als die Arbeit November 1925 in den „Stimmen der Zeit“ erschienen war, wurde der Verfasser nach Frankfurt zu einer Aussprache mit den führenden Köpfen des internationalen Judentums geladen. Die These, die der Verfasser in der obigen Abhandlung und in der Aussprache “ertrat, war: wie im Gottesbild der Reformation Gott negativ an den Menschen gebunden erscheint, nämlich der absolut Barmherzige an den Menschen als radikalen Sünder, so zeigt Er sich im Gottesbild des nachchristlichen Judentums positiv an den Menschen gebunden, nämlich darin, daß (mit den Worte Martin Bubers) Gott und (jüdischer) Mensch sich gegenseitig „verwirklichen“, von einer „Verwirklichung Gottes durch Nachahmung“ zu einer „Steigerung Seiner (Gottes) Wirklichkeit“ (durch den Menschen), hin zu einer „Wirkung der Menschentat auf Gottes Schicksal“ (Wesen des Judentums 57—61; —' vgl. hierzu des Verf. Gesamtdarstellung einer Religionsphilosophie des Judentums in seiner „Typologi-schen Anthropologie“, Nürnberg 1959. S. 335—350).

Hinter der heutigen jüdischen Religionsphilosophie aber steht eine uralte Tradition, wie erst Gershom Scholem, der geniale Professor von Jerusalem, sie unerbittlich aufgedeckt hat — und wie Botschaft und Leben Nahum Goldmanns, des großen Geistes des Zionismus, Wiederbelebung dieser Tradition sind. Erst von dieser Tradition her versteht sich die Tragödie Israels in der Verstreuung unter die „Wirtsvölker“ mit dem Phänomen eines unausbleiblichen Antagonismus zwischen „Kirche“ und „Synagoge“ und dem Phänomen des „Judenhasses“ (wie Wilhelm Maurer und Walter Sulzbach beide neuerdings sichten) — versteht sich aber auch eine geheime Tragödie im neuen Staat Israel selbst (wie der Engländer Stephen Spender sie zuerst in seinem Buch „Aliyah“ 1953 offenlegte und wie nun Burghard Freudenfeld sie vom jüdischen Gesichtspunkt aus zu zeichnen sucht). *

DIE JÜDISCHE MYSTIK IN IHREN HAUPTSTRÖMUNGEN. Von Gershom Scholem. Verlag Alfred Metzner, Frankfurt/Main. 490 Seiten.

Die „jüdische Mystik“, die der Jerusalemer Professor mit großer Sachkunde in ihrer Entwicklung darstellt, ist nicht Mystik eigentlich personaler Erfahrung (wie die christliche und islamische), sondern ist die „Kabbala“, das heißt die objektive Theosophie in einer Kosmosophie, wie sie jüdische Geheim-Aus-deutung vor allem der „Tora“, der fünf Bücher Moses', und in ihr des mosaischen Gesetzes (von Exodus bis Deuteronomium) ist. Hierin wird sie aber immer mehr, wenn man das Wort bilden darf, eine „Israelo-sophie“ als „Messiano-sophie“, das heißt eine Gnosis Israels als des theoformen Volkes. Gott und Israel sind ein Ineinander in der zentralen Sche-china-Gnosis, da die Schechina (die „Glorie Gottes“) einmal der „Urgrund des Weiblichen in Gott selbst“ ist (41), dann aber ebenso „die mystische Idee Israels“ (251), bis dazu, daß Israel (als das Gesamt und Ur der Schechina) „ins Exil zerstreut (sei), um die Funken heiliger Seelen und göttlichen Lichtes, die in alle Teile der Materie gefallen sind, überall einzusammeln“ (340). Israel als solche Ruck-Erlösung der „Funken“ (der Schechina) wird damit zum Träger des „tikkun“, als der jüdisch gedachten „apokata-!stasis“ aller Dinge: als „Restitution der ursprünglichen Harmonie durch das irdische Medium eines mystisch gedeuteten Judentums“, in der Kabbala des Isaak Luria (313). Zu solcher Rück-Erlösung aber muß Israel in seinem Messias und seiner Gefolgschaft „in das Reich des Bösen und der Unreinheit herabsteigen, um die Funken .. . herauszuholen“ (341) — und so mündet die Kabbala in den Sabbatianismus des Sabbatai Zwis, der in Smyrna im 17. Jahrhundert sich als Messias kündete, dann vor der Todesdrohung des Sultans zum Islam samt seinen Anhängern abfiel, der aber dann gerade um dieses Schicksals willen als der echte Messias des „tikkun“ verehrt ward, der ins Böse des Verrats und einer Gesetzlosigkeit überhaupt hinuntersteigen mußte, um das „tikkun“. die Wiederherstellung zu vollziehen (328 ff.). So mündet, wie Scholem selber betont, diese ganze Theosophie als Kosmosophie, als Israelo-sophie im Sabbatianismus als ihrer Radikalisierung in einen manichäisch-mystischen antinomistischen „Nihilismus“ (346 ff.), der sein „Ritual“ auf dem „sakramentalen Charakter antinomistischer Handlungen“ aufbaut (322), unter der „blasphemischen Benediktion: Gepriesen seist Du, Gott, der das Verbotene erlaubt“ (351). Indem aber Scholem den Sabbatianismus als Extremisierung des isaianischen „Knecht Gottes“ nimmt (336 ff.), knüpft er diese äußerste Richtung der Kabbala zu jenem Theologumenon hin, das Steinheim (der letzte große jüdische Theolog, den aber Scholem nicht erwähnt) im Mittelpunkt des Judentums sieht: Israel in sich selbst als der „erstgeborene Sohn Gottes“ und als der wahre ;,Schmerzensmana“, der-die Sünden der Welt auf sich nimmt („Offenbarung nach dem Lehrbegriff der Synagoge“, Frankfurt 1835 f, II 358, 365). „Ge-heim-Tradition“ (was Kabbala heißt) des Judentums in ihrem Höhepunkt im östlichen Sabbatianismus und westlich philosophisch fundiertes Judentum binden sich hierin zueinander: im Theologumenon und Gno-seumenon eines Israel als „Sohn Gottes“ und ..Erlösers der Welt“, der das Böse in sich selbst austrägt.

NAHUM GOLDMANN / EIN LEBEN FÜR ISRAEL I-H. Von Jacob Dränger (pg. 278 u. 277). Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1959. Preis pro Band 28 DM.

Das biographische Werk Drängers über das jetzige Haupt der Weltjudenschaft, das zugleich der anerkannte Führer des Zionismus und entscheidender Mitbegründer des „Staates Israel“ ist (während Ben Gurion das Politische in dieser Gründung bis heute leitet), stellt nicht nur zum erstenmal die Kämpfe zwischen (westlichem, vor allem französisch-amerikanischem) „Assimilationsjudentum“ (eines weltbürgerlich gewendeten Judentums des „galuth“, das heißt der Verstreuung unter die Völker) und vorwiegend polnisch-rassischem (aber auch österreichischem) „Zionjudentum“ des „erez Israel“, das heißt der palästinensischen „Erde Israel“ als eines eigenstaatlichen Volksganzen, überaus farbig dar. Sondern das Werk (das auf drei Bände geplant ist) ist auch das notwendige Gegenstück zu Gersham Scholems „Jüdischer Mystik“. Die Grundlinien der jüdischen Kabbala, wie Scholem sie aufdeckt, sind das, wenigstens unbewußte, theologische Fundament jenes politisch-sozialen Programms, das Goldmann, der polnisch-russische Ostjude, von frühester Jugend an zielklar aufgebaut hat (angefangen von dem ersten Vortrag des Dreizehnjährigen in einer der Synagogen Frankfurts). Wie gemäß der alt-jüdischen Tradition (von Juda Hallevi bis Steinheim) Israel der „erstgeborene Sohn Gottes“ ist und Träger der „Schechina“ als der offenbaren Glorie Gottes, ja geradezu der bräutliche Mutterschoß der Entfaltung Gottes in die Welt (gemäß Scholems Darstellung der kabbalistischen Theosophie), und wie eine Wiederherstellung (tikkun) der Welt an Israel als den eigentlichen Erlöser gebunden ist (gemäß der Lurianischen Kabbala) — ganz entsprechend zu diesem geheimen jüdischen Theosopumenon verläuft das staatlich-völkische Programm, wie es die Grundidee Nahum Goldmanns als des „Advokaten des jüdischen Volkes“ (I, 86) ist: daß „stets und überall (die Juden) Teile des jüdischen Volkes . . ., Glieder seines Landes Palästina (sind) und doch überall Teile der Staatsgemeinschaft, in deren Mitte 6ie leben, vollwertige, vollverpflichtete und vollberechtigte Glieder ihrer einzelnen Vaterländer“ (I. 206). Auf diesem Weg sucht Goldmann die unversöhnten Gegensätze zwischen einem Judentum des „galuth“ (der Verstreuung unter den Völkern) und einem Judentum des „erez Israel“ (eines eigenen, souveränen Judenstaates zu vereinen —'in einer sonst unerhörten Sonderstellung Israels unter den Weltvölkern (bei denen es eine solche grundsätzliche doppelte volle Staatszugehörigkeit nicht gibt). Israel usurpiert damit geradezu die Stellung Gottes selbst: über allem zu sein und doch jeweils in allem. Das letzte Charakteristikum des Zionismus Goldmanns ist dann aber, daß der „Staat Israel“ wesentlich sozialistisch sein müsse: „Hüter und Wahrer der sittlichen Grundlagen der künftigen Weltkultur“ (I, 185), und dies nicht im Sinn eines „ökonomischen Zionismus“, das heißt einer kapitalistischen Ordnung (I, 137), sondern einer „gemein-wirtschaftlichen Ordnung“ (I, 147), gegründet auf die „Arbeiter“ (I, 58 usw.), ihre „Arbeitergewerkschaft“ (histadruth: II, 152) und die „Arbeit“ als „höchsten Wert“ (II, 152), mit den „Cha-luzim“, den kolchosähnlichen Gemeinsiedlungen als Kern des „Staates Israel“. Sosehr Goldmann in seiner kühnen Umerziehung des jüdischen Menschen, aus dem „Krämer-Leben des Galuth“ (II, 36) in einen absoluten objektiven „Dienst am Ganzen“ (in auffallender Verwandtschaft zum „absoluten Dienst“ in Faschismus und Bolschewismus), Kant, Pestalozzi (I, 146) wie Piaton und Humboldt (I, 152) zu seinen Vorbildern nimmt (also in etwa westlich orientiert sich gibt), so sieht er doch als letztes Ziel seiner zionistischen Arbeit eine „Anteilnahme am Werk der Wiederbelebung Vorder-Asiens“ (I, 184), also in einer östlichen Orientierung, die den „Staat Israel“ notwendig nicht nur in einen Wettbewerb 'mit den asiatischen Plänen Sowjetrußlands, sondern noch mehr Chinas bringen muß. So steht das Werk Goldmanns, auf der Grundlage jenes kabbalistischen Judentums, wie Scholem es als Wurzel alles Jüdischen aufhüllt, eigentlich im Brennpunkt heutiger und künftiger Weltpolitik (wie im Mittelalter die Juden im Hintergrund der Fragen des Geistes und der Politik standen). Für all dies ist dann die „Bibel“ nur „Ein... nationaler Mythos“, dessen „Held das ganze Volk (Israel)“ ist (1,179).

Nahum Goldmann, in seinem Führertum für ein Judentum der „Verstreuung und der Assimilation“ (galuth) wie für das neue Judentum des „Staates Israel“ (erez Israel) erscheint aber zuletzt wie als eint Wiederkehr der wohl größten Gestalt des nachchristlichen Judentums: jenes Josel von Rosheim, der unter drei Kaisern des „Heiligen Reiches“, Maximilian I., Karl V., Ferdinand L, als von der gesamten Judenschaft frei gewählter und von den Kaisern anerkannter „Befehlshaber der Juden-sebaft m Heiligen Römischen Reich“, die Geschicke einer von den Fürsten unter den freien Städten immer neu angefeindeten und bedrückten Judenschaft des Reiches lenkte. Selma Stern enthüllt in ihrer Biographie Joseis von Rosheim (Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1959) die Größe und Weite dieses Lebens: Wie Josel, fast vergleichbar dem großen Vermittler zwischen allen Gegensätzen, dem Kardinal Nikolaus von Kues, in grundsätzlicher Unparteilichkeit sowohl den Schutz der Juden durchzufechten verstand, wie aber auch die Juden selbst unerbittlich zu erziehen wußte — und dazu noch, bis in die Reichstage hin-, ein, ein kluger Anwalt des Reiches selber war, so daß Karl V., als der wohl letzte wahre „Kaiser des Heiligen Römischen Reichs“, und Josel von Rosheim, der „Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich“, immer mehr eine Partnerschaft bildeten für dieses Reich. An der Schwelle des Untergang dieses Reiches stehen, im Angesicht radikaler Zerrissenheit einer Welt zwischen Staat und. Kirche, Judentum und Christentum, Reformation und Alter Kirche — stehen im Zueinander zwischen Karl V. und Josel von Rosheim für eine kurze Spanne Alter Bund und Neuer Bund in ihrem echten Gegenüber, bis beide, Karl V. wie Josel von Rosheim, als Scheiternde scheiden, Karl V. in der Verzichtseinsamkeit von San Yuste, Josel von Rosheim an unbekanntem Tag hinein in ein unbekanntes Grab.

KIRCHE UND SYNAGOGE. Von Wilhelm Maurer. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart. 135 Seiten. - DIE ZWEI WURZELN DES JUDENHASSES. Von Walter Sulzbach. Ebd. 1959, 55 Seiten. - ISRAEL, EXPERIMENT EINER NATIONALEN WIEDERGEBURT. Von Burghard Freudenfeld. Verlag Kösel, München 1959. 154 Seiten.

Walter S u 1 z b a c h untersucht das Problem des „Judenhasses“ ethnologisch und heilsgeschichtlich von der frühen Antike her. Seine erste Wurzel sei „Fremdenhaß“ (49), aber schon unter dieser weltlichen Rücksicht wegen einer rätselhaften „Macht“ der Juden, so daß es schon sehr früh zu einem „Glauben an die jüdische Weltverschwörung“ kommt (17), wozu die „freiwillige Absonderung der Juden von anderen Völkern“ kommt, wenngleich im religiösen Zeichen eines „eifersüchtigen Jahve“ (19), während aber auch die römischen , Behörden den Juden (die zehn Prozent der Bevölkerung des Römischen Reiches ausmachten) (21) bestimmte „Sonderrechte“ einräumten. Aber die entscheidende Wurzel des Antagonismus zwischen Jude und NichtJude ist das Mysterium der Heilsgeschichte, wie es auch Sulzbach vom Römerbrief (Kap. 9—11) her sieht. Einerseits sind für Heide und Heidenchrist die Juden Glieder eines Gottesvolkes, das gemäß den Propheten „steif- ' nackig“ immer neu „ausschlug“ gegen Gott bis zum Bundesbruch und zum Gottesmord. Anderseits aber sind sie der „Stachel der Heilsgeschichte“, da ihre Bekehrung am Ende der Welt „Fülle der Welt“ werden soll. So sind die Juden gerade für den Christen zugleich „verworfen“ und doch tiefer, mitten hierin, „Werkzeug des Heils“ (wie Bloy in seinem „Salus ex Judaeis“, Newtnan in seinem „Grammar of assent“ und Karl Barth, beiden folgend, es sehen). Und umgekehrt sichten die Juden das Christentum als „jüdische Irrlehre“ und zeihen die Kirche eines

Raubes der jüdischen Heiligen Schriften, das heißt des Alten Testaments (27). Symbol einer unentwirrbaren Verschlingung zwischen Juden und NichtJuden ist sodann die Tatsache, daß „die heutigen Juden . . wahrscheinlich zum Teil Abkömmlinge nicht der Juden ,Esras und Nehemias', sondern der ,metuentes Deum' (das heißt der Heidem-Proselyten) des Römischen Reiches“ sind, während, umgekehrt, die heutigen palästinensischen Araber möglicherweise die Nachkommen von in Palästina von jeher ansässigen'Juden sind, dit nachher Mohammedaner wurden“ (53); — Wilhelm Maurer teilt in seiner Schrift in der Hauptsache die Sicht Sulzbachs, aber unterstreicht vor allem den Konflikt zwischen einer christlichen Kirche, für die das Judentum Vollendung der Bundeshrüohe gegen Gott ist, die Moses (in seinem Sterbesang) und alle Propheten in ihren Visionen (vor allem Osee, Isaias und Ezechiel) anprangern, und einem Judentum, für das, in der Verurteilung und Hinrichtung des Messias, immer mehr ein „Ewiges Gesetz“ (im Talmud wie in den großen jüdischen Theologen) allein das Eine Heilige ist. — Zu diesem jüdischen Urkonflikt kommt nun aber endlich jener innerjüdisohe Konflikt dazu, wie er sich 6eit Beginn des Zionismus zwischen Judentum der „Verstreuung und Assimilation“ (galuth) und Judentum eines „Staates Israel“ (erez Israel) spannt. Wie schon Spender im Staat Israel heobachten mußte, daß in ihm alle Spannungen der ehemaligen „Wirtsvölker“ weiterleben und nur die ehemaligen Verfolgungen die Israelis zueinander binden — so deckt Burghard Freudenfeld das noch Schlimmere auf, daß die Mehrheit im Staat Israel zu einer „prinzipiell laizistischen Staatsverfassung“ neigt, bis zu wachsendem Unglauben überhaupt, während das Rabbinat einen verzweifelten Kampf dagegen führt (137, 143). Und trotzdem Weiht für Freuden feld (wie aber auch für alle heutigen jüdischen Religionsphilosophen) Israel das zentrale „Heil der Welt“: „Europa lebt mehr aus Israel als je aus Hellas oder Rom“ (153).

Aber all diese Versuche vergessen das eine, was Scholem aufgedeckt hat und was spürbar durch das Werk Nahum Goldmanns wirkt: den durch alle Jahrhunderte (von Juda Hallevi bis Steinheim) festgehaltenen Anspruch des Judentums, nicht nur der „eingeborene Sohn Gottes“ und hierin (säkularisiert) „die Elite der Menschheit“ zu sein, sondern der isaianische „Leidensknecht Gottes“, der in seinem Leiden für die ganze Menschheit leidet und sie so erlöst. Die Tragödie zwischen Jude und NichtJude steht eigentlichst in dem Anspruch des Judentums, in sich selbst „Leidensmessiäs“ zu sein zur „Erlösung der Welt“ (mit den Theognostizismen der luriani-schen Kabbala als unheimlicher letzter Folge). — Wie stark diese Tradition ist, gegen die eine nichtjüdische Welt sich auflehnt, zeigt ein kleines humanistisches Buch, das die jüdische Tierliebe, in ihrem Gegensatz zur allgemeinen Rückstellung des Tieres, behandelt: Michael Landmann, „Das Tier in der jüdischen Weisung“ (Lambert Schneider, Heidelberg 1959). Der Jude hat, so deutet es Landmann, darum eine ganz besondere Liebe nicht nur zum Tier als solchem (was sich in Wahrheit durch die Einbettung des Alten Bundes ins Kosmische erklärt), sondern es ist eine besondere Liebe zum „leidenden Tier“: jüdische Tierethik ist nur die „Oberfläche eines Mysteriums“, nämlich der „innerlichst erlebten Identifikation“ der „Juden mit dem leidenden Tier“ (107), weil „Israel... ist das Schlachtopfer der Menschheit“ (106), während das isaianische Wort vom „Lamm, zur Schlachtbank geführt“ „fälschlich auf Christus als Lamm Gottes bezogen“ wird (106). — Aus dieser Identifikation eines „gekreuzigten Israel“ mit einem „gekreuzigten Gottmessias“ entspringt das eigentlichste „Jüdische“, wie es gerade in den Judenverfolgungen seit je und bis heute heraustritt, in unheimlicher Verwechselbarkeit zum eigentlichst „Christlichen“: das Verfolgtsein als Kriterium des Auserwähltseins, der Martertod im Jubel.

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