Behutsam. Vorsichtig.
Aussöhnung nicht Vereinnahmung - lautet die Devise. Ein Ziel für den christlich-jüdischen Dialog ist noch nicht in Sicht.
Aussöhnung nicht Vereinnahmung - lautet die Devise. Ein Ziel für den christlich-jüdischen Dialog ist noch nicht in Sicht.
Aussöhnung mit den Juden gehört ... zu den Grundpflichten gerade für die Christen in Europa." Das sagte am 20. Juni 1998 Papst Johannes Paul II. bei seiner "Europarede" in der Wiener Hofburg. Nur, wie sieht dies konkret aus?
Die "Gemeinschaft der Seligpreisungen" ist eine Erneuerungsbewegung in der römisch-katholischen Kirche. Für sie ist Aussöhnung mit dem Judentum der "Ruf ..., die Juden zu lieben, wie und weil Gott sie liebt." Als Ausdruck der Liebe zu den Juden wird etwa regelmäßig der Schabbat gefeiert. Die "Königin Schabbat", wie sie im Judentum begrüßt wird, wird in diesen Kreisen gedeutet als Maria, Braut des Heiligen Geistes. Mit umgehängtem Kreuz und der Kippa, der jüdischen Kopfbedeckung, werden die Riten des Freitagabends vollzogen. Man betet "um die Erleuchtung Israels hinsichtlich des Erlösungsgeheimnisses". Den Tisch ziert ein siebenarmiger Leuchter. Im Judentum hat er keinerlei liturgische Bedeutung, aber Christen verwenden ihn gerne: Er schafft ein so schönes jüdisches Ambiente.
Ebenfalls große Liebe zu Israel zeigen evangelische freikirchliche Gemeinschaften. Auch sie freuen sich über alle Jüdinnen und Juden, die Jesus Christus als Messias erkannt und angenommen haben. Eine "jüdisch-messianische Gemeinde" soll demnächst in Wien entstehen. Aus jüdischer Sicht jedoch haben diese Menschen das Judentum verlassen.
Joel Berger, Landesrabbiner von Baden-Württemberg, ist bekannt für seine scharfen Formulierungen: "Juden und Christen sind keineswegs miteinander verbunden", sagt er. "Christen können aufgrund der Bibel, die sie als Altes Testament zu bezeichnen pflegen, mit uns, mit unserer Vergangenheit, mit dem jüdischen Jesus verbunden sein. Wir Juden dagegen sind mit den Christen und mit der christlichen Kirche überhaupt nicht verbunden. Wir sind uns selbst genug." Besonders hart geht Berger mit jenen ins Gericht, die "christliches Zeugnis" als Hauptaufgabe des christlich-jüdischen Dialogs betrachten: "Das jüdische Volk hat alle Verheißungen, die es zum Heil benötigt, und wenn der Wille Gottes es ermöglicht, wird es auch zum Heil und zur Erlösung gelangen. Mögen es die Christen ein für alle Mal dabei bewenden lassen."
Die Argumentation Bergers scheint durch einen anderen jüdischen Gelehrten, den Apostel Paulus, in seinem Brief an die Gemeinde in Rom Unterstützung zu finden: Gottes Bund und Gnade mit Israel sind unwiderruflich, sie sind nicht aufgekündigt, schreibt er (Röm 9,4f; 11,28f). Jüdischer Glaube hat und behält also seinen eigenständigen Wert, christliches Bekenntnis bringt keine Zuwaage. Lange hatten Christen darauf vergessen; heute sollte die Rede von Überwindung und Vollendung des Judentums endgültig der Vergangenheit angehören.
Dementsprechend vorsichtig war das Statement der Altkatholikin Monika Heitz als Vertreterin des österreichischen "Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit" bei der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung im Vorjahr in Graz. Von der Liebe zu den Juden ist hier nicht die Rede. "Ein Nein zu Versöhnung kann ein Schritt zur Versöhnung sein", titelte sie programmatisch. Heitz warnte vor einer zu schnellen Annäherung der Christen ans Judentum. Noch gebe es im eigenen Bereich genügend Hausaufgaben zu machen, etwa die unheilvolle Geschichte aufzuarbeiten. Doch vor allem sei die "theologische Dimension ... des christlichen Verhältnisses zum Judentum" ernsthaft anzugehen. Ohne diese "zentrale, mitten ins Herz der Theologie führende Herausforderung" wäre Harmonisierung ein So-Tun-als-ob, das den jüdischen Partner nicht ernst nehme.
Nicht Annäherung, Erneuerung wäre also gefordert. Folklore hat bei diesem Ansatz keinen Platz. Die Lobeshymnen über das Judentum der eingangs vorgestellten Gruppen bleiben in ihren Konsequenzen stets erstaunlich unkonkret. Die eigene Theologie steht dort klar außer Diskussion. Aus dem Beschwören der "jüdischen Wurzel des Christentums" und einem unheimlichen historischen Faktenwissen folgen kaum theologische Konsequenzen.
Von der Ökumenischen Versammlung in Graz griff der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich den Impuls auf, erstmals im Jahr 2000 den 17. Jänner als den "Tag des Judentums" zu begehen. Dieser "Lehr- und Lerntag" vor der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen wird bereits in Polen und Italien in diesem Sinn begangen. Das Datum ist mit Bedacht gewählt: Vor allen Bemühungen der Kirchen um die Einheit untereinander muß das gemeinsame Zeugnis für die Verbundenheit mit Israel stehen. Dies ist ein Weg der Aussöhnung - nicht allein mit dem Judentum, sondern mit den eigenen, christlichen Traditionen. Sie müssen mit Bedacht auf die bleibende Erwählung Israels und im Gedenken an die Katastrophe der Schoa neu formuliert werden.
Der traditionsreichste Ort für den christlich-jüdischen Dialog in Österreich - und der einzige, der sich ausschließlich diesem Bereich widmet - ist der "Koordinierungsausschuß für christlich-jüdische Zusammenarbeit". 1956 wurde er auf Initiative von Kardinal König durch den Judaisten Kurt Schubert ins Leben gerufen. Lokale Komitees arbeiten in Graz, Salzburg und Innsbruck. Der Koordinierungsausschuss führt heute das "Christlich-jüdische Informationszentrum" in Wien-Währing. Die Gründung dieser Einrichtung geht auf die Kongregation der Sionsschwestern zurück. Viele erinnern sich noch an die unermüdliche Arbeit von Sr. Hedwig Wahle.
Die Leserbriefseiten der Zeitschrift "Dialog-Du Siach" - sie wird vom Koordinierungsausschuss herausgegeben - zeugen von der Auseinandersetzung um die Richtung, die christlich-jüdische Verständigung einschlagen soll: "Dürfen Christen das jüdische Sedermahl zum Pessachfest feiern?", ist eine Frage aus der Praxis, die engagiert diskutiert wird. Die einen betrachten es als Vereinnahmung und Enteignung jüdischer Traditionen und lehnen dies ab. Für andere ist es eine wertvolle pädagogische Hilfe um zu verstehen, was beide Religionen miteinander verbindet.
Eine wichtige Drehscheibe für das christlich-jüdische Gespräch ist ein Arbeitskreis der Katholischen Aktion Österreichs. Von hier gehen Impulse für Bewußtseinsbildung innerhalb kirchlicher Strukturen aus und es wird zu aktuellen Diskussionen Stellung bezogen. Auch stammt eine wertvolle Arbeitshilfe für Religionsunterricht und Erwachsenenbildung aus diesem Gremium: Die Sammelmappe "Was Christen vom Judentum wissen sollten" stellt grundlegende Themen jüdischen Selbstverständnisses vor. Für dieselbe Zielgruppe liefert die "Linzer Bibelsaat" des dortigen Katholischen Bibelwerks praktische Anleitungen, biblische Texte auf dem Hintergrund der lebendigen jüdischen Tradition, aus der sie kommen, zu verstehen.
Keine Aufzählung der vielfältigen Aktivitäten in Österreich könnte komplett sein: die jeden Sommer stattfindende christlich-jüdische Bibelwoche im Bildungshaus Graz-Mariatrost, die rege Veranstaltungstätigkeit im Salzburger Bildungshaus St. Virgil und in der evangelischen Akademie Wien, der Arbeitskreis Kirche und Judentum im Jüdischen Institut für Erwachsenenbildung in Wien, die Erforschung und Bewahrung jüdischer Geschichte von Rechnitz bis Steyr, die jährliche Begegnung in der Linzer Synagoge ...
In Schulen, Pfarrgemeinden, Pädagogischen Akademien und Theologischen Fakultäten wächst das Bewußtsein für die Bedeutung der Neubesinnung auf das Judentum. Doch insgesamt gesehen bleibt dieses Anliegen bislang ein Minderheitenprogramm. Nicht Judenfeindschaft ist heute das Problem, eher die Israel-Vergessenheit der Christen. Sie ist genauso eine Sackgasse wie übergroße Israel-Liebe. Das Österreichische Katholische Bibelwerk in Klosterneuburg stellt in dieser Situation mit seiner Zeitschrift "Perikopen" einen kontinuierlichen Bezug auf die jüdischen Quellen christlicher Spiritualität her.
Es ist erst 33 Jahre her, als im Oktober 1965 das Zweite Vatikanische Konzil im Dekret "Nostra Aetate" erstmals für die katholische Kirche die Lehre von Kollektivschuld aller Juden am Tod Jesu lehramtlich verwarf. Ohne vorausgehende Erfahrungswerte sind alle Initiativen auf dem Gebiet christlich-jüdischer Verständigung immer noch eine Gratwanderung im Versuchsstadium. Der Anfang ist gemacht. Doch ein bleibendes allgemein akzeptiertes Ziel hat dieser Weg noch nicht gefunden.
Der Autor ist römisch-katholischer Theologe und Geschäftsführer des Christlich-Jüdischen Informationszentrums in Wien.