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Monologe kommen aus der Mode

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„B’nai-B’rith“ heißt „Söhne des Bundes“ und ist der Name der älte­sten jüdischen Organisation in Nord­amerika (gegründet 1843), die heute rund eine halbe Million Mitglieder in Hunderten von Logen umfaßt.

Der Einladung ihrer Zentrale in New York Folge leistend, verbrachte ich unlängst drei Wochen in „God’s own country“, um in Seminaren, Vor­trägen und öffentlichen Podiumsge­sprächen mit Christen der verschie­densten Konfessionen die jüdische Seite zu vertreten.

Das Kernstück war ein fünftägiger Marathondialog, den B’nai-B’rith zu­sammen mit der Universität von In­diana initiiert hafte und an dem Ver­treter von zwölf christlichen Denomi­nationen sowie Rabbiner aller vier Hauptströmun^en (Orthodoxe, Kon­servative, Reformisten und Rekon- struktionisten) teilnahmen.

Unter dem Hauptthema: „Juden und Christen - sind wir im Dialog oder in Konfrontation?“ oblag es meinem katholischen Kollegen und mir, die Gründe, Motivationen und Begleiterscheinungen des Auseinan­dergehens der Glaubenswege unserer beiden Bibelreligiqnen im ersten Jahr­hundert so weit wie möglich zu eruie­ren, um dann in Gruppengesprächen sich an solche metahistorische Fragen heranzuwagen, wie: Was lief am An­fang schief? Hätte es auch anders ver­laufen können? Was können wir aus der damaligen Divergenz für eine morgige Konvergenz lernen?

Auf Buber-Deutsch könnte man die Etappen der jüdisch-christlichen Dia­stase in vier Stichworten zusammen­fassen: Von der Ent-gegnung führte der Weg über die Ver-gegnung zur ka­tastrophalen Zer-gegnung, um erst in unseren Tagen in eine konstruktive Be-gegnung zu münden.

Der christlich-jüdische Dialog in Amerika ist einerseits leichter als in

Mitteleuropa, da er weder von mittel­alterlichen Reminiszenzen an Pogro­me und Vertreibungen, noch vom Auschwitz-Trauma gehemmt wird. Anderseits erschwert die Vielfalt der religiösen Strömungen innerhalb der verschiedenen Konfessionen - sowohl bei Juden als auch bei Christen - die Kristallisation eines allgemeinen Konsenses, während die enorme Aus­dehnung der USA so gut wie jede Ausstrahlung errungener Annäherun­gen auf regionale Ausmaße be­schränkt.

In den USA gibt es beute über 200 naziähnliche Gruppen und Grüpp­chen, die militanten Antisemitismus auf ihre Fahnen geschrieben haben, während die „christliche Rechte“, wie man die Evangelikalen zu nennen pflegt, zwar den Staat Israel lautstark unterstützt - als Vorzeichen der er­hofften Parusie -, aber nur um im offe­nen Widerspruch zur sakrosankten Trennung von Staat und Kirche, die zu den Grundlagen des öffentlichen Lebens gehört, Judenmission zu trei­ben und für ein „christliches Ameri­ka“ einzutreten.

Neben diesen beiden Lagern, deren gemeinsame Einstellung zum Juden­tum wohl als Konfrontation gelten kann, liegt die große Mitte der US- Christen, in der sich in den letzten Jahrzehnten ein Glaubensdialog mit Juden angebahnt hat, der schrittweise dem Anfangsstadium der ökumeni­schen Höflichkeiten entwächst.

Doppelmonologe sowie „gegensei­tiges Schulterklopfen“ kommen lang­sam aus der Mode, während Rabbi­ner, die das Neue Testament zitieren, und Jesuiten, die den Talmud kennen, nicht mehr als Einzelgänger ange­staunt werden.

Während die chassidischen Ge­meinden ihrem Fundamentalismus in ghettoähnlicher Isolation in Williams­burg, in der Bronx, in Los Angeles frönen, ohne Kontaktfreudigkeit mit Andersgläubigen zu bekunden, wächst der Einfluß des christlichen Fundamentalismus mittels der „elek­tronischen Kirche“, die in den Mas­senmedien zu allen Tages- und Nacht­zeiten „billige Gnade“ und „Sofort- heil“ mit einer Aggressivität verkauft, die den Europäer verwirrt.

Die Judenheit reagiert auf diese Herausforderung vor allem mit einer Intensivierung ihrer Erziehung und ei­ner wachsenden Weltoffenheit. Das gilt sowohl für die Orthodoxie, die rund eine Million Seelen umfaßt, als auch für die konservative Bewegung und das Reformjudentum mit je an­derthalb Millionen Mitgliedern. Reli­giös ungebunden sind jedoch rund zwei Millionen Juden, die bislang von keiner der Strömungen erreicht wor­den sind.

Nachdenklich stimmen den Juden aus Europa die Spuren hebräischen Glaubensgutes, denen er auf Schritt und Tritt begegnet. Schon bei der Ein­fahrt in den Hafen von New York be­grüßt ihn die Freiheitsstatue, auf der das Gedicht einer Jüdin (Emma Laza­rus) steht: „Gebt mir eure Verstoße­nen ...“, das wie ein Auszug aus Je- saia 43 anmutet.

Nicht zuletzt bezeugen über 600 Städtenamen, die allesamt der Geo­graphie des Landes Israel entliehen wurden, wie Zion, Jerusalem, Ka­naan, Karmel, Shiloh, Jordan, Betle- hem usw., daß die Gründergeneratio­nen dieses großen Landes - in ihrer Mehrheit Angehörige verfolgter Sek­ten und Dissidenten - in der Neuen Welt nicht nur Sicherheit und Freiheit suchten, sondern vor allem ein Gelob­tes Land, das sie nach biblischen Vor­bildern aufzubauen hofften:

Kein schlechtes Omen für künftige Dialoge zwischen Juden und Chri­sten.

Der Beitrag ist in gekürzter Form dem Juli-Heft „Das neue Israel“ entnommen.

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