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Minorität unter Druck

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Was ist seit der Katastrophe t' Y .der Shoa, seit 1945, vom europäischen Judentum übriggeblieben? Ein anachronistischer Rest, jüdischer Spiritualität entfremdet, knapp vor der Assimilation? Ist es ric????tig, angesichts besorgniserregender Symptome au$ jüngster Zeit, vori einem · „Antisemitismus ohne Juden" zu sprechen?

Eine Studientagung des Österreichischen Jüdischen Museums in Eisenstadt bot eine umfassende Retrospektive- und überraschende Einsichten: N????h irnmer (oder -

durch Zuwanderung - schon wieder), sind manche jüdische Gemeinden, etwa in Frankreich, in Holland und in Ungarn, erstaunlich · groß. In ihrem Dunstkreis ist ohne großes Aufseheμ abermals reges Leben entstanden, für das es eine reale Motivation, einen kulturellen Bezugspunkt gibt: Die Existenz des Staates Israel.

Im Kreis so vieler Augenzeugen der Vernichtung beginnt man, das Wesen und die Notwendigkeit des Zionismus erst wirklich zu begreifen: Wo ein solches Vakuum entstanden ist, wo alte Lebensformen bis auf den „harten Kern" einer erstarrten Orthodoxie abbröckeln, braucht es eine Hoffnung, ein konkretes Identifikationsobjekt.

Vehemente Gegner des Zionismus gibt es auch in den eigenen Reihen, aber sie sind unbeliebt. Der Frankfurterin Cilly Kugelmann wurde „Kälte" vorgeworfen, weil sie von „ bürgerkriegsähnlichen Mitteln" zionistischer Fraktionen nach dem Krieg berichtete. Cilly Kugelmann gehört zu einer der

„jüdischen Gruppen" linksorientierter oder liberaler Intellektueller in Deutschland, die hier seit dem Libanon-Krieg bestehen. Anders als in den USA, wo solcher ·Pluralismus eine Selbstverständlichkeit ist, werden sie von den BRD-Kultusgemeinden als „illegale" Konkurrenz empfunden. Dies sei bedauerlich - bringe es doch schon genug Probleme mit sich, heute als Jude in Deutschland zu leben, der „antisemitischen Kontinuität" zum Trotz (so die Kölnerin Monika Richarz). Zum Trotz auch dem strafenden Blick internationaler zionistischer Organisationen, in deren Sicht es keine moralische Berechtigung gibt, sich nach allem, was geschehen ist, hier niederzulassen.

Das vergleichsweise assimilierte, spezifisch deutsche Judentum der Vorkriegszeit ist fast ausgestorben. Die jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik bestehen in erster Linie aus ehemaligen DP's (displaced persons) und einer nie versiegenden Flut von Zuwanderern. Ethnisch und in der religiösen Praxis stellen sie so unterschiedliche Gruppierungen dar, daß es schwer???? fällt, sie zu integrieren.

Apropos integrieren: Paul Grosz, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs, erzählte, im Bedenkjahr 1 988 hätten die Politiker 5.000 Staatsbürgerschaften für russische Juden versprochen . . „Das war damals Zeitungs

Schlagzeile, aber bis jetzt ist nichts geschehen." Der Historiker Norbert Darabos charakterisierte im Zusammenhang mit den Burgenlä ????dischen Kroaten Österreichs Minderheitenpolitik sehr treffend als „apwartend, passiv, reaktiv" .

Auch Leon Zelman vom Jewish Welcome Seryice beklagte manche Entwicklungen der letzten Jahre. Die Kultusgemeinde selbs.t habe Mitte der fünfziger Jahre eine Chance vertan, weil sie vom allzu parteiabhängigen „Bund Werktätiger Juden" . dominiert gewesen sei. Deshalb sei versäumt worden, von der damaligen Regierung Mittel für eine echte Infrastruktur jüdischen Lebens in Wien, vor allem aber ein Einbekenntnis zur Mitverantwortung zu verlangen: „Darum leben wir bis heute in einem Vakuum." Belastend sei, daß ein moralisches Gleichgewicht nie hergestellt worden sei: „Das erlösende Wort ist noch nicht gesprochen." Einen symbolischen Akt, ein „Shake hands" auf hoher Ebene könnte sich Zelman vorstellen, um die Verkrampfung an allen Fronten zu lösen.

Diese Verkrampfung schürt den latenten Antisemitismus zweifellos. Allerdings sei es ärgerlich, „daß wir immer als das Musterland des Antisemitismus hingestellt werden - in kaum einem Staat ist nach dem Krieg so viel dagegen getan worden ! " , beklagte Kurt Schubert, der um den christlich-jüdischen Di????log sehr bemühte Ordinarius für

Judaistik in Wien. „Alle Maßnahmen gleichen einem Topf mit Wasser auf kleiner Flamme, der nie zu kochen beginnt. Der niemals auf- · gearbeitete ideologische Bodensatz, der jetzt im Osten an die Oberflä- •che kommt, wird vor unseren Grenzen kaum haltmachen", stellte Paul Grosz fest.

Man' ist sich darüber im klaren, sämtliche Appelle an die Vernunft würden nur vernunftgemäß Handelnde erreichen, also eine Minderheit. Vom christlich-jüdischen Dialog würden nur jene angesprochen, die noch am kirchlichen Leben teilnähmen, also ebenfalls eine Minderheit. Deshalb will Schubert „die. jüdischen Museen einbeziehen". Wie diese das Klima bessern können, darüber soll auf der nächsten europäischen Tagung dieser Institutionen beratschlagt werden. Das katholische Bibelwerk - es hat sich Aktionen gegen Judenfeindlichkeit zur Hauptaufgabe gemacht - wird verstärkt in Ländern. des Ostens tätig werden, wo die Kirche traditionell großen Einfluß hat, also in der Slowakei, in Ungarn, Slowenien, Kroatien und Polen.

Was die Propaganda der Gegenseite betrifft, die der Neonazis, „müssen Konsequenzen gezogen werden. Die Leute führen einen Krieg gegen das Judentum, und Krieg ist kein Witz ! " Es ist zu hoffen, daß dieser zornentbrannte Aufruf eines Diskutanten nicht ungehört verhallt.

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