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Juden nicht nur am Rand

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„Versöhnung": Mit Blick auf das besondere Verhältnis des Christentums zum Volk Israel und auf die Judenvernichtung wäre zu erwarten, daß dieser Bereich für Graz '97 ganz oben steht. Tatsächlich aber bedurfte es einiger Anstrengung, daß er überhaupt seinen eigenen Platz fand.

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„Versöhnung": Mit Blick auf das besondere Verhältnis des Christentums zum Volk Israel und auf die Judenvernichtung wäre zu erwarten, daß dieser Bereich für Graz '97 ganz oben steht. Tatsächlich aber bedurfte es einiger Anstrengung, daß er überhaupt seinen eigenen Platz fand.

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Der „Dialog der Religionen und Kulturen" war bei der Planung der Versammlung als alleiniger Rahmen gedacht, in dem auch das Thema „Christen und Juden" seinen Platz finden sollte. In diesen Diskussionsforen mit Christen, Muslimen, Juden, Hindus und Buddhisten geht es um Lehren aus der Geschichte, um interkonfessionelles Zusammenleben und um die Werte, welche die Religionen einer säkularen Welt anzubieten hätten.

Schon im Herbst 1995 regte sich Widerstand gegen dieses Bestreben, das Verhältnis der Kirchen zum Judentum der multikulturellen Diskussion zuzuordnen. Der „Koordinie-•rungsausschuß für christlich-jüdische Zusammenarbeit" (Wien) wies darauf hin, daß Versöhnung undenkbar sei, die nicht auf eine Versöhnung zwischen Israels Glauben und dem christlichen Glauben gerichtet wäre, „als zentrale, mitten ins Herz der Theologie gehende Herausforderung". Der Ökumenische Bat der Kirchen in Osterreich machte sich diese

Stellungnahme zu eigen. Er bekräftigte, daß konfessionelle Gegensätze der Kirchen in ihrer Wichtigkeit der Beziehung zum Judentum nachzuordnen seien.

Ähnliche Bedenken wurden aus ganz Europa vorgebracht. Trotzdem war im ersten Entwurf eines Arbeitsdokuments für Graz im theologischen Teil unter der Überschrift „Die Suche nach der sichtbaren Einheit der Kirchen" kein einziges Wort über das Verhältnis zu Israel zu finden. In anderen Abschnitten wurde jedoch von der „anderen Kultur unserer Nachbarn" gesprochen, der gegenüber sich die „Integrationsfähigkeit der Bevölkerungsmehrheit erschöpft". Daß es Juden als „Nachbarn" vie-lerorten heute nicht mehr gibt und daß jüdische Kultur- und Geisteswelt immer auch eine europäi1

sehe - und keine „andere" - war, wurde an diesen Stellen nicht beachtet, die kritiklos die Diktion der Neuen Bechten übernehmen. Auch der Vorschlag eines Schuldbekenntnisses zwischen den Religionen in diesem Arbeitsdokument zeugte für wenig Gespür. Die Einsicht „Was du getan hast, könnte auch ich getan haben", läßt sich im christlich-jüdischen Dialog wohl kaum anwenden!

In der neuen Version des Basistexts, die nun vorliegt, steht ein eindeutiges Schuldbekenntnis an prominenter Stelle, wo verschiedene Bereiche der

Unversöhntheit angesprochen werden. Doch geht es nicht so weit, daß daraus auch eine Anwaltsfunktion für das Judentum im Sinne Bonhoeffers folgt: „Nur wer mit den Juden schreit, darf gregorianisch singen." Genauere Behandlung findet das Thema weiterhin im „Dialog der Religionen und Kulturen". Die dortigen Worte „Unser gemeinsamer Herr Jesus Christus" sind in diesem Zusammenhang sicherlich fehl am Platz. Über die theologische Bedeutung der Auseinandersetzung mit dem Judentum für die Christen, über konkrete Themen und Konsequenzen, darüber macht auch diese Fassung des Dokuments keine Angaben.

Impulse dafür sind von einem Dialogforum zu erwarten, das nun doch von der Konferenzleitung eigens zu diesem Bereich eingerichtet wurde; Es macht sich auf die Suche nach einer christlichen Identität, die ihre jüdischen Wurzeln ernst nimmt, ohne jedoch dabei das Judentum zu vereinnahmen. Die ökumeni-' sehe Gruppe „Teshuvä" (Umkehr) in Mailand, in der die Vorbereitung zu diesem Forum geschieht, nennt grundlegende Schritte zu einem erneuerten Verhältnis: „Von einer wirklichen Überwindung des Antiju-daismus können wir so lange nicht sprechen, bis nicht in Predigt, Katechese und christlicher Erziehung die Theorie der .Ablöse' des Judentums durch die Kirche ausgelöscht wird;

auch nicht, so lange eine ,typologi-sche' Lektüre der hebräischen Bibel nicht ins Umfeld historischer Exegese zurückgeführt wird. Diese verzerrte Lektüre war die Wiege jener vernichtenden Lehre, durch die der ganze Antisemitismus genährt wurde."

Schon jetzt ist absehbar, daß - trotz aller Einigkeit in offiziellen Äußerungen der Kirchen - es manche dennoch als Provokation empfinden werden, wenn der Informationsstand des „Internationalen Rats der Christen und Juden" auf der Agora der Versöhnungsinitiativen nicht im Rahmen des Dialogs der Religionen präsentiert wird, sondern im Bereich 1 „Theologie". In Graz lädt der christlich-jüdische Koordinierungsausschuß täglich zu einer morgendlichen

Dialog-Bibelarbeit ein. Die Israelitische Kultusgemeinde hat dafür ihre Bäumlichkeiten geöffnet.

Neben einer Begegnung mit Moskauer Juden wird im Bahmen der Ökumenischen Versammlung auch eine Fahrt zu den ausgelöschten Gemeinden des Südburgenlands angeboten. In der Ganggalerie des Rathauses wird die Ausstellung „Ecclesia und Synagoga" zu sehen sein. Diese beiden Gestalten stehen in der christlichen Kunst typologisch für die Kirche und das Judentum. Sie geben Zeugnis von der jahrhundertealten Tradition der Abwertung und Vernichtung des Judentums.

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