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ANTISEMITISMUS AUCH AM BIERTISCH

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Assimilierte Juden und Zionisten, ungläubige und orthodoxe Juden in Österreich - was wissen wir von ihnen? Leben sie anders als nichtjüdische Österreicher? Worin anders? Unterscheiden sich ihre Alltagsverhältnisse, ihr Lebensgefühl? Der Versuch einer Antwort findet sich in Interviews und Beiträgen - machmal auch zwischen den Zeilen. Redaktionelle Gestaltung: Leonore Rambosek

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Assimilierte Juden und Zionisten, ungläubige und orthodoxe Juden in Österreich - was wissen wir von ihnen? Leben sie anders als nichtjüdische Österreicher? Worin anders? Unterscheiden sich ihre Alltagsverhältnisse, ihr Lebensgefühl? Der Versuch einer Antwort findet sich in Interviews und Beiträgen - machmal auch zwischen den Zeilen. Redaktionelle Gestaltung: Leonore Rambosek

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FURCHE: Wie leben heute Juden in Ost er reich?

PAUL GROSZ: Wie Juden heute in Österreich leben, kann nur reflektierend auf dem Hintergrund dessen gesehen werden, was Juden in Österreich passiert ist.

FURCHE: Ist das im Jahr 1992 noch gegenwärtig?

GROSZ: Uns geht's heute hier gut - aber es gibt auch unangenehme Ereignisse. Da die demokratischen Spielregeln in Österreich manchmal nicht sehr gefestigt scheinen, erfordert das, daß wir uns fallweise zu Wort melden.

FURCHE: VerstehenSiesolhrAmt als Präsident der Kultusgemeinde?

GROSZ: Die Interessen der Juden in Österreich zu vertreten wie ich das tue, kann nicht immer allen gerecht werden. Mit den politischen Repräsentanten und Institutionen besteht eine gute Gesprächsbasis. Aber in der Bevölkerung existiert natürlich auch jene Schlammbasis, aus der immer wieder Blasen aufsteigen. Das betrifft alle Österreicher, aber uns Juden emotional noch in weit höherem Maße. Die Israelitische Kultusgemeinde in Wien ist äußerst heterogen zusammengesetzt, nur etwa 1.500 Gemeindemitglieder sind noch in Österreich geboren.

FURCHE: Hat das Auswirkungen für die Kultusgemeinde?

GROSZ: Die Integration von Ausländern braucht ihre Zeit, alle gängigen, auch gegensätzliche Vorurteile gegen Juden können da wuchern.

Viele offizielle Vertreter sehen sich veranlaßt daraufhinzuweisen, daß es in Österreich keinen Antisemitismus gibt. Aber bewußt oder unbewußt verändert das Bewußtsein der Zugehörigkeit zu den Juden - oder zu den Nicht-Juden - Beziehungen zwischen Menschen. Das hängt für mich mit der Haltung Österreichs gegenüber seiner eigenen Vergangenheit in der NS-Zeit zusammen.

Bei uns Juden ist das Denken vielfach rückwärtsgewandt, unsere Veranstaltungen finden meist zum Gedenken bestimmter Anlässe in der Vergangenheit statt.

FURCHE: Haben die Juden in Österreich, in Wien, Wünsche an den Staat?

GROSZ: Wie andere Religionsgemeinschaften auch erhalten wir für unsere Aktivitäten Subventionen. Aber ich lehne es ab, diese als Wiedergutmachung anzusehen. Vielleicht erhalten wir sie aber deswegen, weil sie als Wiedergutmachung angesehen werden?

Weil es dem Staat wichtig ist, daß es jüdische Schulen oder kulturelle Veranstaltungen gibt, unterstützt er sie. Über die Frage der Entschädigungszahlungen für vom NS-Staat enteignete Güter haben wir mit dem Finanzminister erst kürzlich wieder Gespräche begonnen. Im Gegenzug wurde auf die Subventionierung von Lehrwerkstätten zur Umschulung von Einwanderern hingewiesen - dies ist aber doch nicht mit individueller Entschädigung gleichzusetzen. Und die „Ehrengabe" an die Juden aus Anlaß des Jahres 1988 war völlig indiskutabel!

Subkutan wird auf diese Weise manches transportiert.

FURCHE: Sind Sie mit den novellierten Paragraphen des Verbotsger setzes zufrieden?

GROSZ: Wir waren in die Beratungen einbezogen, aber ich meine, in Wirklichkeit ist dies eine österreichische Angelegenheit, keine Angelegenheit der Juden. Auch wenn es in Osterreich keinen einzigen Juden gäbe, müßte es sich damit auseinandersetzen.

FURCHE: Ihre Einwände galten zwei Punkten: den Grad der Öffentlichkeit mit etwa 30 Personen zu begrenzen, und die Wahrung der Freiheit wissenschaftlicher Forschung festzuschreiben. Sind die berücksichtigt worden?

GROSZ: Uns Österreichern kann es nicht gleichgültig sein, wenn wegen der Höhe des Strafausmaßes immer wieder Täter von den Geschworenen-Gerichten freigesprochen werden. Schön vor Jahren haben wir, hat Simon Wiesenthal eine Abänderung des Paragraphen 3g) gefordert. Uns hätte genügt, wenn einerseits im Paragraphen 3g) die Einfügung „insbesondere, wer leugnet, daß es Auschwitz gegeben hat" und eine Untergrenze von einem Jahr festgeschrieben worden wären. Im neuen Paragraphen 3h) wird es Wissenschaftlern freigestellt, weiterhin von der Hypothese auszugehen, daß es Auschwitz nicht gegeben hat.

Die Frage der Öffentlichkeit zu spezifizieren (am Biertisch nicht strafbar, voreiner Schulklasse schon) wäre unseres Erachtens nicht notwendig gewesen. Da haben unsere Einwände aber nichts genützt. Ich meine, man muß sich entscheiden, welchen Stellenwert es hat, wenn sich heute jemand so beim Biertisch äußert. Die Praxis wird zeigen, ob es nun in Hinkunft zu Verurteilungen kommt. Gesetzliche Normierungen haben jedenfalls ihre Kraft.

FURCHE: Müßte, um den Antisemitismus an der Wurzel zu bekämpfen, mehr in Österreichs Schulen getan werden?

GROSZ: Natürlich bin ich für mehr Aufklärung in den Schulen, aber Antisemitismus wird über Gefühle transportiert, und da kann die Informationsvermittlung in der Schule nur mehr wenig ändern. Beim Entstehen nquer Schulbücher (oder Medienpakete) erhalten wir die Möglichkeit, in einschlägige Abschnitte Einsicht zu nehmen, Abänderungswünsche wurden berücksichtigt.

Ob das zum Tragen kommt, hängt aber davon ab, wie sehr die einzelnen Menschen sensibilisiert sind: Millionen Tote sind nicht vorstellbar, emotional gefordert werde ich nur durch das Einzelschicksal. Das Reden über den Holocaust weckt im Zuhörer Unlustgefühle. er fühlt sich angegriffen. Der Satz von der „Gnade der späten Geburt" ist meiner Meinung nach eine infame Unterstellung jedem jüngeren Menschen gegenüber, er hätte auch als SS-Mann in Auschwitz eigenhändig Juden umgebracht.

FURCHE ■ In meinen Interviews und Gesprächen gab es einen Lernprozeß, in der Wortwahl gegenüber meinen jüdischen Gesprächspartnern noch aufmerksamer zu sein, die hohe Sensibilisierung bei bestimmten Themen in Rechnung zu stellen. Ist daraus der Rückschluß zu ziehen, daß jeder/jede Österreicher/in persönliche Kontakte mit Juden haben sollte, damit der Antisemitismus in Österreich abnimmt?

GROSZ: Interessanterweise gibt es auch bei den Juden dieselben Vorbehalte gegenüber ausländischen Zu-wanderern wie bei den übrigen Österreichern, wo man doch annehmen müßte, daß sie mehr Verständnis für diese Situation haben. Antisemitismus ist etwas völlig Irreales.

Natürlich muß man politisch aktiv werden, im Juni wird in Wien eine große Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus stattfinden, an der wir uns beteiligen - wie sehr das nützt, weiß ich nicht. Natürlich gehen wir in die Schulen zu Vorträgen, Diskussionen. Aber ich bin nicht zuversichtlich, daß es je gelingen wird, den Antisemitismus auszumerzen. Mit dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien sprach Leonore Rambosek.

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