Teil der österreichischen Gesellschaft

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Von der Beschneidungsdebatte bis zu antisemitischen Vorfällen, die sich zuletzt verdoppelt haben: Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien benennt Sorgen und Hoffnungen der Juden in Österreich. Das Gespräch führte Otto Friedrich

E r ist noch kein Jahr im Amt und wurde nach den Neuwahlen in der Israelitischen Kultusgemeinde Wien Ende 2012 für weitere vier Jahre als deren Präsident bestätigt. Oskar Deutsch (49) zum Verhältnis von Christen und Juden, die Beschneidungsdebatte, den Antisemitismus sowie zum Verhältnis von Vergangenheits- und Zukunftsbewältigung. Ein Gespräch übers Judentum in Österreich und dessen Selbstverständnis.

Die Furche: Die Kirchen begehen am 17. Jänner den Tag des Judentums. Was halten Sie davon?

Oskar Deutsch: Ich finde es interessant und eine gute Idee. Die evangelische Kirche feiert diesen Tag auch bei uns.

Die Furche: Und die katholische Kirche?

Deutsch: Die Kultusgemeinde hat seit Kardinal König auch eine sehr gute Beziehung zur katholischen Kirche. Gleiches gilt für Kardinal Schönborn und andere Repräsentanten.

Die Furche: Wie sehen Sie das jüdisch-christliche Verhältnis grundsätzlich?

Deutsch: Als sehr amikal. Wir haben etwa in der Beschneidungsdebatte, die vor dem Sommer begonnen hat, gesehen, dass die katholische wie die evangelische Kirche sehr klare Worte für die freie Religionsausübung gesprochen hat, dass Beschneidung wie bisher erlaubt sein muss.

Die Furche: Gibt es gemeinsame Anliegen der Religionsgemeinschaften?

Deutsch: Das Beispiel der Beschneidungsdebatte zeigt eben: Wenn es um die Frage der Religionsausübung geht, dann haben die jüdische wie die muslimische Gemeinde in den Kirchen Partner.

Die Furche: In Sachen Beschneidung war die Haltung der Kirchenleitungen eindeutig. Unter den Christen ist das aber kontrovers diskutiert worden, in der Gesellschaft überhaupt ja auch. Hat Sie das verwundert?

Deutsch: Wenn Menschen wirklich glauben, dass das Baby durch die Beschneidung geschädigt wird - was nicht der Fall ist - und das aus diesem Beweggrund diskutieren, dann ist das legitim. Ich bin immer für Diskussion. Das jüdische Volk ist ja bekannt dafür: zwei Personen, drei Meinungen … Aber viele kommen, denen das vollkommen egal ist und die das nur aus Antisemitismus oder Ausländerhass gegen Muslime tun: Das kann ich nicht akzeptieren.

Die Furche: Ist das Problem der Beschneidung jetzt gelöst - in Deutschland gibt es ein neues Gesetz dazu, in Österreich prolongiert man den Status quo?

Deutsch: Es ist klar gesetzlich festgelegt, dass es erlaubt ist. Die ganze Debatte eines Beschneidungsverbots oder auch eines Schächtverbots wurde von den skandinavischen Ländern in die EU getragen, die Diskussion wird weitergehen und schärfer werden. Das war kein Sommerloch!

Die Furche: Besteht die Gefahr, dass die EU restriktiv eingreift?

Deutsch: Ich bin ein ewiger Optimist: Ich kann mir das nicht vorstellen …

Die Furche: … aber in Richtung Schächtverbot gab es immer wieder Vorstöße …

Deutsch: … und die wird es auch beim Beschneidungsverbot geben. Es wird unsere Herausforderung sein, in ganz Europa gemeinsam mit den Vertretern der muslimischen Gemeinden dagegen zu kämpfen.

Die Furche: Sie haben vor Kurzem darauf hingewiesen, dass Antisemitismus in Österreich wieder zunimmt.

Deutsch: Die Mitglieder der Kultusgemeinde melden antisemitische Vorfälle schon seit vielen Jahren. Wir bemühen uns, dass die Leute das auch bei der Polizei anzeigen; das ist leider nicht immer der Fall. Unsere Statistik sagt: Von 2011 auf 2012 haben sich die Vorfälle um 100 Prozent erhöht - Beschimpfungen, Beschmierungen, Drohbriefe, Vorfälle im Internet, tätliche Übergriffe. Das ist schon sehr besorgniserregend.

Die Furche: Handelt es sich hier um eine längere Entwicklung?

Deutsch: Nein, bis 2011 war es mehr oder weniger konstant. Jetzt plötzlich ist eine Verdoppelung da.

Die Furche: Woher kommen diese Vorfälle?

Deutsch: Von drei Seiten: von Linksextremen, von Rechten und von extremen Islamisten. Die ersten beiden gibt es schon lange, die extremen Islamisten kommen dazu.

Die Furche: Hat das auch mit der wirtschaftlichen Lage zu tun?

Deutsch: Ja. Wenn es den Leuten schlecht geht, dann suchen sie jemanden, der schuld ist - eine Minderheit, die Juden gehören da fast immer dazu. Wobei die Situation anderswo viel dramatischer ist als Österreich …

Die Furche: … etwa in Ungarn.

Deutsch: Dort ist die Situation speziell und für andere Minderheiten wie die Roma und Sinti so extrem, dass sie ermordet wurden. Aber die politische Lage in Ungarn ist doch etwas anders als jene in Österreich. Das wird sich hier so nicht abspielen.

Die Furche: Am 27. Jänner jährt sich ja auch die Befreiung von Auschwitz: Wirkt die Geschichte der Schoa schon nachhaltig?

Deutsch: Ja, ich glaube schon. In Österreich geschah das sehr spät, viel später als in Deutschland. Wir müssen da weitergehen. Es gibt zwar jetzt ein Buch, das sagt, man sollte das besser vergessen …

Die Furche: … Sie meinen die Polemik von Peter Menasse, der im Büchlein "Rede an uns“ schreibt, die Schoa sei kein Argument mehr und die Juden sollten sich von ihrer "Opferrolle“ verabschieden: Werden diese Thesen unter den Juden diskutiert?

Deutsch: Nein. Es gibt natürlich den, der das Buch geschrieben hat und einige wenige, die meinen, man solle mit der Vergangenheit abschließen, um in die Zukunft zu schauen. Ich bin auch der Meinung, wir sollten in die Zukunft schauen, aber man darf bei all dem die Vergangenheit nicht vergessen. Die ist weiter aufzuarbeiten. Deshalb ist es auch wichtig, dass das Wiener Wiesenthal-Institut 2013 bei uns seine Heimstätte bekommt.

Die Furche: Das Institut kann also bei Ihnen endlich seinen angemessenen Ort erhalten?

Deutsch: Simon Wiesenthal hat ja zugesagt, dass sein Archiv in Wien bleiben kann, wenn es dieses Institut gibt. In Österreich dauern solche Dinge lang, es wird viel beredet, zum Teil zerredet. Es ist aber an der Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen.

Die Furche: Wie würden Sie jüdische Identität in Wien heute beschreiben?

Deutsch: Das Wichtigste ist, dass wir hier ein ruhiges Leben leben können wie alle Österreicher. Die Kultusgemeinde hat hier eine in Europa fast einmalige Infrastruktur gebaut, es gibt in dieser Stadt fast jeden Abend ein Kulturprogramm, das zumindest jüdisch angehaucht ist. Die Stadt Wien ist als solche schon lebenswert, wenn man Jude ist. Und wir wollen uns als Teil der österreichischen Gesellschaft präsentieren. Wir haben das im letzten Jahr mit einem Tag der offenen Tür begonnen, an dem 4000 Leute in die Synagoge gekommen sind. Wir wollen zeigen, dass wir so normal oder genauso meschugge sind wie der Rest der Gesellschaft.

Die Furche: Wie hat sich die jüdische Gemeinde in Wien verändert? Seit der Wahl im November sind Juden aus dem Osten in der Kultusgemeinde stärker repräsentiert.

Deutsch: Das sind keine Veränderungen der letzten Zeit. Die Juden aus Samarkand oder anderen Teilen Russlands oder aus Georgien sind schon vor gut 15 Jahren nach Wien gekommen. Aber sie sind inzwischen Österreicher geworden. Das war auch früher so: Mein Vater kam aus Klausenburg in Rumänien und meine Mutter aus Lemberg, so stammen viele Gemeindemitglieder einer Generation vor mir auch aus dem Ausland. Ich wurde kürzlich gefragt, ob es bald einen bucharischen Präsidenten in der Gemeinde geben wird: Es kann sein, dass ein Österreicher der aus Buchara abstammt, Präsident der Kultusgemeinde wird, wie unsere Eltern auch von woanders abstammen. Aber in der neuen Sitzverteilung im Kultusvorstand sind acht von 24 entweder Bucharen oder Georgier - das sind um zwei mehr als bei den Wahlen zuvor. Ich bin überzeugt, dass es spätestens bei den übernächsten Wahlen wieder anders aussehen wird.

Die Furche: Dass es starke herkunftsorientierte Gruppen gibt ist, also ein Phänomen der ersten oder der zweiten Generation?

Deutsch: Ja. Die Kultusgemeinde ist aber behilflich, dass man in den Riten, die diese Leute gewöhnt sind, auch Gottesdienste abhält. In Wien gibt es eine Einheitsgemeinde. Es ist der Führung der Gemeinde gelungen, alle Gruppen unter einem Dach zu halten.

Die Furche: Unter Ihrer Präsidentschaft wurde 2012 auch das Israelitengesetz aus 1890 vom Parlament novelliert.

Deutsch: Es war wichtig, dass dieses Gesetz reformiert und den Gegebenheiten der heutigen Gemeinde angepasst wurde.

Die Furche: Aber rund um die Beschlussfassung des neuen Gesetzes haben die liberalen Juden und ihre Gemeinde Or Chadasch lautstark gegen die darin wieder festgeschriebene Einheitsgemeinde protestiert.

Deutsch: Es gibt Gespräche zwischen der Kultusgemeindeführung und Or Chadasch, die sich durch den Wahlkampf zuletzt ein bisschen hinausgezögert haben. Wir bemühen uns da, eine Lösung zu finden, mit der alle leben können.

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