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ALS ÖSTERREICHER GEGEN FREMDENHASS

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FURCHE: Fühlen Sie sich als Jude in Wien, in Österreich zu Hause?

PAUL CHAIM EISENBERG: Meine Eltern sind 1948 aus Ungarn nach Österreich gekommen. Es ist typisch für die Wiener Kultusgemeinde, daß viele osteuropäische Juden nach 1945 aus den Lagern und dann in den Jahren 1956 aus Ungarn oder 1968 aus der CSSR und später aus der Sowjetunion zugezogen sind. Gerade deshalb sind sie sehr loyale österreichische Staatsbürger geworden, weil Österreich für sie so eine Art erste Zuflucht war. Gegenüber Wiener Juden hat mein Vater immer wieder auf den Antisemitismus beispielsweise in Ungarn hingewiesen.

FURCHE: UndSie wollten nie weg ?

EISENBERG: Jeder junge Jude kann heute für einige Zeit nach Israel gehen, ich habe dort studiert und hätte auch dort „hängenbleiben" können. Ich habe eine Amerikanerin geheiratet, die ich beim Studium kennenlernte, wir sind aber nach Österreich zurückgegangen.

FURCHE: Auch Ihre Eltern fühlen sich in Osterreich zu Hause?

EISENBERG: Mein Vater war Oberrabbiner der Kultusgemeinde, meine Mutter lebt noch, sie ist eine eifrige Besucherin der Oper, der Theater, der Kaffeehäuser - hier ist die Verbundenheit aus der Monarchie noch wirksam.

FURCHE: Wie religiös sind die Juden in Österreich?

EISENBERG: Es gibt einen Teil der Juden, der langsam „wegdriftet" und es gibt welche, die wieder näherkommen, auch fundamentalistische Tendenzen existieren. Diese Strömungen sind aber auch international vorhanden und üben eine Wechselwirkung aufeinander aus. Es gibt in Österreich eine Gruppe von Reformjuden, die nicht im orthodoxen Sinn religiös sind, andere Ausdrucksformen bevorzugen. Unsere Synagoge steht etwa in der Mitte, für manche ist sie zu orthodox und für manche ist sie zu wenig religiös.

FURCHE: Hängt das von den verschiedenen Generationen ab?

EISENBERG: Möglicherweise. Jüngere sind oft kompromißloser. Viele alte Wiener Juden waren eher traditionell eingestellt und da gehörte die Synagoge einfach dazu, junge bleiben eher aus, wenn sie nicht wirklich gläubig sind.

FURCHE: Was unternehmen Sie dagegen?

EISENBERG: Wir haben jetzt für die Jungen einen eigenen Rabbiner aufgenommen-so habe auch ich 1978 meine Tätigkeit begonnen.

FURCHE: In Wien gibt es neuerdings ein Zentrum für sephardische Juden?

EISENBERG: In den letzten zehn, zwanzig Jahren sind viele Juden aus der UdSSR ausgereist, zum Teil auch in Wien „hängengeblieben". Sie kamen in erster Linie aus dem Kaukasus, aus Georgien, aus Buchara. Ihr Ritus, der sephardische, unterscheidet sich vom westlichen, dem aschke-nasischen. Bei den Versuchen, sie zu integrieren - ihre Kinder besuchen unsere Schulen - hat sich die Wichtigkeit ihrer kulturellen und religiösen Eigenständigkeit herausgestellt. Sie sind nicht in österreichische Juden umzumodeln, wir haben da etwas dazugelemt. Im sephardischen Zentrum machen sie ihre eigenen Veranstaltungen, haben ihre eigene Synagoge - ursprünglich wollten sie drei für die drei verschiedenen Strömungen. Sie haben auch einen eigenen Rabbiner. Sie sind loyale österreichische Staatsbürger. Manche von ihnen kommen auch in den Stadttempel und fühlen sich erst dann arriviert, wenn sie dorthin kommen.

FURCHE: Das erinnert an die Bestrebungen der katholischen Kirche zur Integration von fremdsprachigen Ausländern.

EISENBERG: Auch im Vorstand der Kultusgemeinde sind schon zwei sephardische Vertreter, die Zahl wird sicher zunehmen.

FURCHE: In der Kultusgemeinde Mitglied zu sein, mitzuarbeiten, setzt nicht unbedingt voraus, auch gläubig zu sein - das klingt für katholische Ohren merkwürdig.

EISENBERG: Diese Juden sagen, Religion sei nur ein Teil der Gemeinsamkeit, der Zugehörigkeit. Ich freue mich, wenn sie in der Gemeinde mitarbeiten, wenn sie dazugehören wollen und nicht fernbleiben, aber natürlich hätte ich gerne, wenn sie eines Tages am Gottesdienst teilnehmen.

FURCHE: Steigt die Zahl dieser Gemeindemitglieder?

EISENBERG: Studenten beispielsweise kommen oft einmal in der Woche zu einem Vortrag, zu einer Lehrstunde in die Kultusgemeinde, kommen aber nicht zum Gebet.

FURCHE: Verändert sich auch im Judentum die Stellung der Frau?

EISENBERG: In der vorhin erwähnten Reformgemeinde können Frauen auch im Gottesdienst alle Ämter übernehmen, sonst sind die Leiter der Gottesdienste, die Rabbiner, nach wie vor nur Männer. Aber hier in Wien haben wir mehr Religionslehrerinnen als Religionslehrer. Bei den orthodoxen Juden lernen die Religionslehrerinnen mit den Mädchen, und die -lehrer mit den Buben.

FURCHE: Fällt es nicht besonders jüngeren Frauen schwer, in dieser passiven Rolle zu bleiben?

EISENBERG: Sie sind ja nicht passiv, in allem außer beim Gottesdienst sind sie höchst aktiv: Im Vorstand der Kultusgemeinde, in allen anderen Aktivitäten - es wäre auch eine Präsidentin der Kultusgemeinde denkbar.

FURCHE: Und bei der Reformgemeinde?

EISENBERG: Dort gibt es etwa 50 bis 100 Mitglieder, viele Ausländer, beispielsweise aus den USA. International gibt es schon Rabbinerinnen, Vorbeterinnen. Aber bei uns sind die Frauen nicht unzufrieden mit ihrer Rolle.

FURCHE: Was tut die Kultusgemeinde gegen Friedhofsschändungen?

EISENBERG: Gegen einzelne Übergriffe kann man nichts tun. Aber Friedhofsschändungen sind natürlich nicht isoliert zu sehen, sie sind ein Symptom für ein bestimmtes Klima in Österreich. Aber positiv ist, daß es große Demonstrationen gegen diese Friedhofsschändungen gab.

Auch die kleinen Gruppen Rechtsextremer und die notwendige Änderung des Verbotsgesetzes sind beunruhigend. Aber indem diese Strömungen an die Öffentlichkeit kommen, artikulieren sich auch die, die dagegen sind, deutlicher, viele Leute sehen die Gefahr. Natürlich hat sich generell das Klima verschlechtert, aber die Haider-Wähler sind sicher nicht als rechtsradikal einzustufen, sie sind eher Protestwähler.

Ich sehe fast mehr den Fremdenhaß als den Antisemitismus in diesen Äußerungen. Ich engagiere mich in der Plattform gegen Fremdenhaß als Österreicher. Ich bin hier geboren, habe hier maturiert, lebe hier. Das Engagement für Fremde ist ja biblisch begründet. In Wien sind immer wieder Wellen von Fremden integriert worden, die wenigsten Wiener Juden sind in Wien geboren, die, die schon zehn Jahre da waren, haben die aufgenommen, die neu gekommen sind.

FURCHE: Wie sehen Sie die Zukunft der Kultusgemeinde?

EISENBERG: Die Aktivitäten der Wiener Kultusgemeinde sind verhältnismäßig zahlreich, im deutschsprachigen Raum stehen wir mit Zürich an der Spitze. Ich und die Gemeinde sind jetzt auch durch die jüdischen Gemeinden in Osteuropa sehr gefordert, die Gemeinden in Preßburg, Prag, Budapest haben sich kürzlich getroffen um die Hilfsmöglichkeiten abzusprechen, auch BürgermeisterZilk war mit dabei. Unsere Religionslehrer fahren jeden Sonntag nach Preßburg, um zu unterrichten, aber wir sind zu wenige. Dort müssen erst einmal Kontakte geknüpft werden, die Juden müssen sich sammeln, Führungspersonen gefunden werden. Wir sind ihnen dabei behilflich.

Mit Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg sprach Leonore Rambosek.

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