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Die liberalen Juden stellen weltweit die größte Strömung innerhalb ihrer Religion dar. Erstmals hielten deren Vertreter ihren Europa-Kongress in Wien ab. von Otto Friedrich

Hüte, Bärte, ständiges Tragen der Kippa, auch Schläfenlocken und lange dunkle Mäntel: Landläufig wird das Judentum mit seiner orthodoxen oder ultraorthodoxen Spielart identifiziert, und auch dort, wo es jüdische Einheitsgemeinden gibt - wie etwa in Österreich - handelt es sich um solche mit orthodoxer Ausrichtung. Dabei ist das Judentum, die kleinste der Weltreligionen, in eine Vielzahl von Strömungen aufgefächert.

Die weltweit größte Gruppierung stellen die liberalen Juden (auch progressives oder Reform-Judentum genannt) dar. Von den sechs Millionen jüdischen US-Amerikanern etwa gehören 1,5 Millionen Reformgemeinden an, während die Orthodoxen weniger als die Hälfte davon ausmachen. Auch in Israel machen "religiöse" Juden nur 15 bis 20 Prozent der jüdischen bevölkerung aus, die Unterscheidung in Orthodoxe und Liberale wird dort nicht getroffen, da die religiösen Autoritäten in Israel das liberale Judentum immer noch nicht anerkennen.

Seit dem 19. Jahrhundert

Das liberale Judentum entstand in 19. Jahrhundert in Deutschland und breitete sich durch die jüdische Emigration insbesondere in den angelsächsischen Raum aus. In Österreich gibt es kaum eine liberale jüdische Tradition, erst 1990 wurde in Wien die Reformgemeinde Or Chadasch gegründet. Hierzulande habe es bis ins 20. Jahrhundert generell keine relevante liberale Strömung gegeben, weder im politischen noch im wirtschaftlichen Sinn, daher auch nicht im religiösen: So erklärt Theodor Much, der umtriebige Präsident von Or Chadasch, die diebezügliche Historie.

Erstmals in Wien

Umso stolzer war die kleine Wiener Gemeinde darauf, dass sie letzte Woche Gastgeberin des Europakongresses der World Union of Progressive Judaism WUPJ sein durfte. 200 Vertreter des liberalen Judentums aus Europa, den USA und Israel tagten ausgerechnet in den Tagen, als das Land des 70. "Anschluss"-Jahrestags gedachte. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, und trotz der Versammlung prominenter Rabbiner(innen) und anderer jüdischer Vertreter, waren weder Politiker noch Religionsvertreter anwesend, nur die Altkatholiken und die Griechisch-Orthodoxen waren prominent vertreten.

Das Reformjudentum wird mitunter als "Judentum light" betrachtet: Solch Vorurteil lassen die liberalen Juden keineswegs gelten. Sie sehen sich vielmehr als Weiterentwicklung des Judentums an, wie Rabbiner Uri Regev, der Geschäftsführer der WUPJ, erklärt. Charakteristikum der Liberalen ist, dass liberale Juden die Schrift nicht in einem wörtlichen Sinn verstehen oder dass auch Frauen alle religiösen Ämter - inklusive des Rabbinats - bekleiden können.

Michael Marmur, der Rektor der Rabbiner-Hochschule Hebrew Union College in Jerusalem, warb auf dem Kongress in Wien fürs liberale Judentum als einer "positiven Möglichkeit", Jude zu sein. Marmur sprach etwa den Ultraorthodoxen ein "Exklusivrecht" auf Judesein ab: Deren traditionelle Kleidung sei kein besonders "jüdisches" Gewand, sondern sie würden durch ihre altertümlichen Tracht zum Ausdruck bringen: "Hier ist der Punkt, an dem die Geschichte geendet hat."

Im Einklang mit Moderne

Liberale Juden hingegen, so Marmur, versuchen, Judentum und Moderne miteinander in Einklang zu bringen. Und er grenzte seine Sicht auch von "modernen Orthodoxen" ab, die in zwei Sphären leben würden - in der modernen Welt und im eigenen Jüdischsein. Das liberale Judentum benötige aber keine zwei Sphären, so die Überzeugung Marmus, sondern integriere die gegenwärtige Welt und jüdisches Leben. Gleichzeitig spiele es auch die spirituellen Traditionen des Judentums nicht herunter, sondern sei vielmehr darin verwurzelt.

Dieses Bemühen um Authentiziät war auch in Wien mit Händen zu greifen: Das Reformjudentum versteht sich keinesfalls als Judentum zu Billigtarif, es kennt und achtet die Gesetze der Tora, aber es versucht, die Ethik und die Haltung dahinter zu ergründen und in diesem Sinn anzuwenden. Die religiösen Gebote des Judentums sind somit auch für die Liberalen wichtig - der Unterschied: sie werden nicht als unveränderliche, starre Riten angesehen.

Klare Worte

Dass aber auch die liberalen Juden in der Auseinandersetzung klare Standpunkte einnehmen, wurde auf dem Kongress in Wien bei einem Workshop, das sich mit den interreligiösen Beziehungen beschäftigte, deutlich: Im Nu kam dort die Rede auf die Kontroverse um die Karfreitagsfürbitte für die Juden im vorkonziliaren katholischen Messritus (die Furche be- richtete): Auch wenn der Papst da explizit antijüdische Passagen strei- chen ließ, so herrscht weiter Aufregung, weil Juden die Bitte als Aufforderung zur Konversion sehen.

Also bezeichnete Ruth Weyl, langjährig engagiertes Mitglied des Internationales Rates der Christen und Juden, die gegenwärtigen Entwicklungen in Rom nicht nur als "Rückschritt" hinter die neue Theologie gegenüber den Juden, die das II. Vatikanum gebracht habe, sondern nannte sie knapp und bündig ein "Fiasko".

Buchtipp:

Or Chadasch-Präsident Theodor Much hat sein informatives Buch über das Judentum aus liberaler Sicht überarbeitet und neu herausgebracht:

Zwischen Mythos und Realität

Judentum, wie es wirklich ist

Von Theodor Much. Edition Va Bene, Wien 2008. 248 Seiten, € 24,90

Infos über liberales Judentum:

www.orchadasch.at, www.wjup.org

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