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Einem Geburtstagskind gratuliert man im Judentum traditionell mit der hebräischen Formel "Ad mea we-esrim" - mögest Du 120 Jahre leben. Das ist die Lebensspanne, die Gott dem Menschen in der Bibel vorgab (Gen 6,3) und die Moses erreicht haben soll (Dt 34,7). Wenn man 2017 um 120 Jahre zurückgeht, landet man in einem Jahr, das die Geburtsstunde von gleich drei wichtigen Entwicklungen markiert, mit denen Juden den Herausforderungen und Chancen der Moderne begegneten.

Im Frühjahr 1897 wurde in New York die jiddische Zeitung Forverts gegründet, die sich am deutschen sozialdemokratischen Vorwärts orientierte und für Millionen jüdischer Einwanderer aus Osteuropa zum Leitmedium wurde. Im Sommer desselben Jahres fand in Basel der erste Zionistische Weltkongress statt, mit dem Theodor Herzl, Feuilletonist der Wiener Neuen Freien Presse, die Bewegung für einen jüdischen Nationalstaat schuf. Im Herbst 1897 wurde in Wilna der "Algemeyne Jidische Arbeter Bund" gegründet, eine marxistische Partei, die wie andere revolutionäre Bewegungen der Zeit auf den Sturz der Zarenherrschaft zielte.

Auswanderung nach Amerika, ein jüdischer Staat und eine gerechtere soziale Ordnung -zu diesen radikal unterschiedlichen Optionen kamen weitere: In Mitteleuropa setzten viele auf das Versprechen der rechtlichen Gleichstellung, um den Preis der Anpassung an die Erwartungen der nichtjüdischen Umwelt. In Osteuropa blieb das traditionelle religiöse Judentum ein starker Anker für viele. Von den Alternativen des Jahres 1897 haben sich vor allem Amerika und der jüdische Staat als Optionen bewährt. Das neue jüdische Leben in Europa tritt langsam aus dem Schatten des Holocaust. Amerikanische und israelische Juden sehen dabei viele Fragezeichen. Wie wird das Judentum in 120 Jahren auf Europa blicken?

Der Autor ist Wissenschafter am Institut für Jüdische Theologie der Universität Potsdam

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