Fliegende Rabbinerin

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Irit Shillor ist die neue Rabbinerin der Wiener Reformgemeinde Or Chadasch. Die junge jüdische Gemeinde hat nun auch eine neue Synagoge.

Bis vor anderthalb Jahren kannte ich Wien nur als Touristin", blickt Rabbinerin Irit Shillor auf ihre bisherige "sehr schöne" Eingewöhnungszeit in der etwa 100 Mitglieder zählenden jüdischen Reformgemeinde "Or Chadasch" ("Neues Licht") in Wien zurück. Mit ihrer Inaugurationsfeier, die am 21. Februar in der neuen Synagoge im zweiten Wiener Gemeindebezirk stattfand, ist sie nun offiziell in Amt und Würden. Die Räumlichkeiten für die neue Synagoge in der Robertgasse 2 - eine ehemalige jüdische Druckerei - hat die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) der Reformgemeinde ohne Miete zur Verfügung gestellt. Bund und Land unterstützten den Umbau mit einem Betrag von je 125.000 Euro. Den Rest hat "Or Chadasch" selbst aufgebracht.

Shillor ist fünf bis sieben Tage pro Monat in Wien. Sie hat österreichische Wurzeln. Ihre Mutter musste 1939 im Alter von 14 Jahren nach Jerusalem emigrieren. Die "fliegende Rabbinerin" versucht, die von ihr zusätzlich betreuten Reformgemeinden in Hannover, Hameln, Bad Pyrmont und Gudensberg bei Kassel unter einen Hut zu bringen. Genauer gesagt unter ihre Kippa, eine Kopfbedeckung, die im orthodoxen Judentum den Männern vorbehalten ist. Ihre Ausbildung zur Rabbinerin hat die Mathematikerin und Physikerin am liberalen Leo-Baeck-College in London abgeschlossen.

13 Jahre Reform-gemeinde

13 Jahre ist "Or Chadasch" inzwischen alt. Für Shillor befindet sich die 1990 gegründete Wiener Reformgemeinde im "Bar-Mizwa-Jahr", bereite sich also zunehmend darauf vor, die Pflichten eines Erwachsenen zu übernehmen. Die neue Synagoge soll nicht nur ein Gebetshaus, sondern ein Zentrum für die Gemeinde sein.

Seit März 2001 hat "Or Chadasch" eine Rabbinerin: Eveline Goodmann-Thau, die erste Rabbinerin Österreichs, wurde für ein Jahr mit Unterstützung der Gemeinde Wien voll angestellt. Einen ähnlichen Status erhofft sich die Gemeinde auch jetzt für Shillor, falls sie von der Betreuung ihrer Gemeinden in Deutschland entlastet werden sollte.

Zu den Spannungen zwischen einem orthodoxen und reformierten Religionsverständnis, das des öfteren zu Konflikten geführt hat, äußert sich die neue Rabbinerin zurückhaltend: "Mit dem Verhältnis zur Kultusgemeinde beschäftige ich mich sehr selten", sagt sie im Gespräch. Dass das Rabbinat im reformierten Judentum zu etwa 30 Prozent von Frauen bekleidet werde, sei ihr als Frau wichtig. Allerdings wird ihr Amt als Rabbinerin von der Wiener Kultusgemeinde offiziell nicht anerkannt.

Rabbinerinnen-Treffen

Überraschend ist bei der Synagogeneinweihung Shillors Vorgängerin aufgetreten: Eveline Goodman-Thau überreichte der neuen Rabbinerin mitten im Gottesdienst einen Blumenstrauß. Für sie war der Augenblick die "große Stunde der Versöhnung", meint sie: "Es war für mich eine große Ehre, hier Rabbinerin gewesen zu sein. Ich bin mir sicher, dass wir miteinander gut auskommen", sagte sie freudestrahlend und erzählt von einem Angebot des Gemeindepräsidenten Theodor Much, der ihr für Mai die Leitung eines Gottesdienstes angetragen habe: Diese "versöhnende Geste" habe sie gleich angenommen, ihr Herz sei verbunden mit dieser Gemeinde, ist sich Goodman-Thau sicher und hat auch schon einen Vorschlag für künftige Konfliktlösungen: Die Suche nach der Identität jedes einEelnen müsse in der Gemeinde diskutiert werden. Dieser Prozess müsse vor Gott getragen, nicht allein unter den Menschen ausgetragen werden: "Wenn wir alle ehrlich vor Gott stehen, lieben wir einander", so Goodman-Thau.

"Es freut mich sehr, dass sie heute bei uns ist", meint auch die frisch inaugurierte Shillor. Mit ihrer Vorgängerin habe sie keinen Konflikt: "Ich habe sie bis heute nicht gekannt", kann Shillor ihre Überraschung nicht ganz verbergen. Die junge "unabhängige" Gemeinde sei noch am Anfang ihres Weges. In einigen Jahren werde die neue Synagoge vielleicht schon zu klein sein, erhofft sich die Rabbinerin einen großen Mitgliederzuwachs.

Doch Übertritte werden von der Israelitischen Kultusgemeinde nicht anerkannt. Schon 1997 verpflichtete sich "Or Chadasch" in einem Abkommen mit der Israelitischen Kultusgemeinde, in Wien keine Übertritte oder Scheidungen zu akzeptieren. Auf der Liste zum Kultusrat sind bis heute keine Or Chadasch-Mitglieder vertreten. Orthodoxe Juden werfen den liberalen Gemeinden vor, Konversionswilligen zu schnellen Zugang zu gewähren. "Es handelt sich nicht um McDonalds-Übertritte", wehrt sich Or-Chadasch-Präsident Theodor Much. Er wisse nur von zwei bis drei Fällen, erklärt er. Es fehle auch ein "Beth Din", ein Prüfungsausschuss von drei Rabbinern, der eine Aufnahme beschließen könnte, fügt Or Chadasch-Sprecherin Eeva Huber hinzu.

Konflikte gebe es in jeder Gemeinde, versucht Much zu beschwichtigen. Am Anfang sei man vor vielen Problemen gestanden: ohne ständigen Rabbiner habe man sich bis zum Ausbau der Robertgasse 2 zur Synagoge in einem "hässlichen Wohnbau" in der Haidgasse treffen müssen: "Es war eine triste Situation", blickt er auf die Startschwierigkeiten zurück.

Blumen von Andreas Khol

"Das vorige Gemeindezentrum war armselig gegen dieses Haus", gab Nationalratsvorsitzender Andreas Khol dem Gemeindepräsidenten Recht. Khol lobte Much in seiner Ansprache zur Synagogeneinweihung in höchsten Tönen, nannte den Primar einen "barmherzigen Samariter", weil dieser ihm einmal an einem Wochenende ein Auge "repariert" habe. Auch die Reformgemeinde bekam Blumen: "Sie ist ein Lichtpunkt, wo Hirn, Herz und Hand gemeinsam ausgebildet werden", sieht Khol den Traum einer lebensfähigen pluralistischen Gemeinde verwirklicht.

Rabbiner Walter Homolka, Rektor des deutschen reformjüdischen Abraham Geiger-Kollegs, sieht in der Kooperation einer liberalen jüdischen Gemeinde unter dem Dach einer einheitlichen Israelitischen Kultusgemeinde ein Modell, das Schule machen wird. Für Ruth Cohen, Präsidentin der Weltunion für Progressives Judentum, hat "Or Chadasch" in der ersten österreichischen Reformsynagoge endlich ein Zuhause gefunden.

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