Unausrottbarer Judenhass

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Jährlich erscheinen Hunderte Bücher über den Antisemitismus. Ein gut lesbarer Sammelband beleuchtet Aspekte des immer noch grassierenden Vorurteils.

Das von Papst Johannes XXIII initiierte Zweite Vatikanische Konzil brachte eine grundlegende Verbesserung nicht nur des katholisch-jüdischen Verhältnisses, sondern beeinflusste auch andere christliche Kirchen und so ist es nur folgerichtig, dass der katholische Theologe Dirk Ansorge aufgrund zweier Tagungen der Katholischen Akademie des Bistums Essen 2005 diesen aus vielen Büchern herausragenden Sammelband über Antisemitismus herausgab.

Einführend fragt der Politologe Karl Heinz Klein-Rusteberg, was denn das "Neue" am "Neuen Antisemitismus" sei und der Historiker Georg Christoph Berger Waldenegg analysiert die verschiedenen Definitionen des Antisemitismus.

Die Osteuropa-Historikerin Viktoria Poltmann schildert, wie sehr traditionelle antisemitische Stereotypen im katholischen Kontext das Denken und Handeln in Polen auch in der Gegenwart bestimmen können. Auch in anderen Ländern Osteuropas, so in Ungarn, der Slowakei und Kroatien dient Antisemitismus bei der Selbstdefinition nationaler Mehrheiten als Leitmotiv und "die katholische Kirche hat dem bislang kaum etwas entgegenzusetzen vermocht".

Danny Leder, langjähriger Frankreich-Korrespondent des Kurier beschreibt die sich häufenden antisemitischen Übergriffe von Teilen der zweiten - meistens schon in Frankreich geborenen - Generation mit muslimisch-nordafrikanischen Hintergrund und die Ängste und Probleme der größten jüdischen Gemeinde Europas. Viele Juden in Frankreich stammen aus Nordafrika und haben bereits in ihren Geburtsländern muslimischen Antisemitismus erfahren. Wenn es nun in Frankreich so weit ist, dass Juden bestimmte Viertel meiden müssen, dann hat die Vergangenheit sie wieder eingeholt.

Der Islamwissenschafter Jochen Müller zeigt, wie sich in die Kritik oder Agitation gegen Israel in der arabischen Welt antisemitische Stereotypen, wie Ritualmordbeschuldigungen oder Verschwörungstheorien, mischen. Allerdings werden vereinzelt auch arabische Stimmen laut, die auf die Funktion des Antisemitismus verweisen, einen "Gegner" zu dämonisieren, um so von der eigenen Verantwortung für den Zustand der Gesellschaft abzulenken.

Der aus Ägypten stammende Historiker Omar Kamil belegt, wie die Begegnung arabischer Intellektueller mit der europäischen Moderne zu einem historischen Bruch bezüglich der Wahrnehmung der Juden führte und macht dafür den Kolonialismus verantwortlich.

Der libanesische Jesuit Khalil Samir, der den Zionismus ablehnt, lieferte einen besonders interessanten und aktuellen Beitrag. Der Konflikt Israel-arabische Nachbarn ist seiner Sicht nach ein politischer und kein religiöser und deshalb auch politisch zu lösen. Er tritt dafür ein, die Existenz Israels anzuerkennen und ist gegen Vermischung von Religion und Politik.

Der interessanteste Beitrag kommt vom Herausgeber Dirk Ansorge, dessen Artikel "Zwischen Diplomatie und Theologie: katholische Kirche, Antisemitismus und Staat Israel" auch den heiklen Fragen nicht ausweicht. Der Vatikan befindet sich in einer Zwickmühle, einerseits muss er auf die Kirchen in arabischen Ländern Rücksicht nehmen, andererseits wird jede Aussage geprüft, ob sie der Zielsetzung von "Nostra Aetate" entspricht. Im antisemitischen Antizionismus sieht Ansorge eine neue Herausforderung für die Kirche.

Das vorliegende 318 Seiten umfassende Sammelwerk ist ein Glücksfall für die deutschsprachigen Leser, denn die Beiträge sind leserfreundlich, instruktiv und spiegeln eine breite Palette von Meinungen wider.

Antisemitismus in Europa und in der arabischen Welt. Ursachen und Wechselbeziehungen eines komplexen Phänomens. Hg. von Dirk Ansorge.

Bonifatius Verlag, Paderborn 2006,

318 Seiten, kt. Euro 20,50

Tag des Judentums

Österreichs Kirchen begehen am 17. Jänner den "Tag des Judentums", um an die Verbundenheit der Christen mit den Juden zu erinnern. Schon am 16. Jänner, 19.30, findet in der liberalen Or Chadasch-Synagoge, 1020 Wien, Robertgasse 2, eine christlich-jüdische Gebetsstunde statt. Am 17. Jänner, 19.00, predigt der griech.-orth. Metropolit Michael Staikos bei einem Ökumenischen Gottesdienst in der ev. Kirche Gumpendorf. Auch in der Grazer ev. Heilandskirche (19.00) und in der Ev. Kirche Salzburg Süd (20.00) gibt es dazu ökumenische Gottesdienste und Begegnungen. Die Kath.-Theol. Privatuniversität Linz begeht den Tag des Judentums mit einem Vortrag (19.30).

INFOS über alle Veranstaltungen:

www.christenundjuden.org

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