Das beständige Gefühl

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Antisemitismus hat sich längst nicht erledigt: Seit dem Wiener Wahlkampf 2001 ist ein Paradigmenwechsel im Gange - von einem "verschämten" zu einem "unverschämten" Antisemitismus.

Es ist bereits 16 Jahre her, dass der deutsch-israelische Publizist Henryk M. Broder sein viel diskutiertes Buch "Der ewige Antisemit" herausbrachte. Schon der Titel (eine Umkehrung der antisemitischen Legende vom "Ewigen Juden", der, weil er den leidenden Jesus beschimpfte, ruhelos durch die Jahrhunderte irrt) beschreibt die These, dass der Antisemitismus ein nicht zur Ruhe kommendes "beständiges Gefühl" ist, das sich auch angesichts der Geschichte von Auschwitz nicht erledigt hat.

Broders beklemmende These lautete: Antisemitismus komme nicht nur in den Randgruppen wie den so genannten Neonazis vor, er sei vielmehr der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich Rechte wie Linke, Gläubige wie Ungläubige, Mystiker wie Rationalisten einigen könnten. Und jedenfalls: Er hänge nicht von tatsächlichen Handlungen der Juden ab, nicht einmal von ihrer Existenz. Dass Antisemitismus auch ohne Juden nachweisbar bleibt, ist seit langem eine bittere Binsenweisheit.

In den Jahren seit Broders streitbarer Schrift ist auch hierzulande viel über das "beständige Gefühl" nachgedacht worden, es kamen die Waldheimjahre, in der gerade in Österreich ein neues Bewusstsein in Bezug auf eine jedenfalls teilweise verdrängte Geschichte zu erwachen schien. Doch der vermeintlich schärfer werdende Blick der Gesellschaft hielt die Entwicklungen nicht auf: Politik der Ausgrenzung - nicht bloß gegen Fremde - wurde salonfähig, der Aufstieg der dazugehörigen Partei, die zusätzlich ein zweideutiges Verhältnis zur jüngeren Geschichte pflegte, ließ die Auseinandersetzungen um den Antisemitismus nie enden. In den ehemaligen Ostblockstaaten gab es nach dem Umsturz von 1989 gar neue Manifestationen eines politischen Antisemitismus, während der Antisemitismus hierzulande unterschwellig vorhanden blieb.

Drei Generationen

"5 Fragen an 3 Generationen" heißt ein kürzlich erschienenes Buch, in dem Vertreter dreier Generationen sich mit dem bzw. ihrem Antisemitismus auseinandersetzen: Der 86-jährige Arzt Max-Joseph Halhuber - einer aus der Kriegsgeneration - stellt darin fest, wie die antisemitische NS-Propaganda in ihm wider Willen seit Jahrzehnten nachwirkt. Halhuber: "Ich merke dann, dass es mich freut, wenn ein negatives Vorurteil, etwa die jüdische Raffsucht', durch erlebte Realität widerlegt wird. So wirken also die Propagandalügen des Stürmer sogar bei Intellektuellen nach 60 Jahren noch nach."

Der Politologe Anton Pelinka, Jahrgang 1941, beschreibt im selben Buch, dass er - aus der ersten Nachkriegsgeneration, die sich zwangsläufig mit "Auschwitz" auseinandersetzte - in die "Falle des Philosemitismus" ging: Juden wurden, weil sie Juden waren, von Vornherein als besondere, ja als "bessere" Menschen angesehen. Pelinka ist aber heute der Überzeugung, dass dieser Philosemitismus nicht das Gegenteil des Antisemitismus ist: "Das Gegenteil des Antisemitismus ist die Einsicht, dass jüdische Identität, dass jüdische Besonderheit gesellschaftliche Konstruktionen sind, die wenig über Juden aussagen - aber viel über Nichtjuden."

Daniela Ingruber, 1975 geborene Wissenschafterin, die in Politischer Bildung und Entwicklungspolitik tätig ist, ist die Jüngste im zitierten Buch: "Sehe anhand meiner Generation, dass die Thematik Antisemitismus und Nationalsozialismus zu langweilen beginnt. Sie wird gegenüber früher gleichgültiger liegengelassen, im Alltag. Deswegen wird sie um nichts unbedeutender. Ängstlicher Blick in die Zukunft."

Diese lesenswerte Auseinandersetzung dreier Generationen mit dem Antisemitismus kommt behutsamer, aber in der Tendenz zu ähnlichen Ergebnissen wie der ungleich kräftiger argumentierende Henryk M. Broder, der seine Thesen von 1986 im eben vergangenen deutschen Bundestagswahlkampf erneut bestätigt fand - nicht zuletzt in den Auseinandersetzungen um die antiisraelischen und antisemitischen Polemiken des nordrhein-westfälischen FPD-Politikers Jürgen Möllemann.

Grenze wird überschritten

Im Jüdischen Museum Berlin hängte Broder (Leser-)Briefe zur Möllemann-Kontroverse in der Ausstellung "Ich bin kein Antisemit" (so begannen laut Broder viele Briefe, die Möllemann verteidigten) auf eine Wäscheleine, um zu dokumentieren, welche Post da in deutschen Landen immer noch herumschwirrt.

Möllemann wurde, was das mindestens augenzwinkernde Zulassen von Antisemitismus anbelangt, mehrfach mit Jörg Haider verglichen. Ein Vergleich, der durchaus nicht hinkt, wobei im Fall des - zur Zeit schmollenden - Kärntner Populisten die Gangart wesentlich schärfer ist als bei Möllemann, der derzeit ebenfalls "weg vom Fenster" ist.

Politologe Pelinka ortet an anderer Stelle, nämlich in einem politikwissenschaftlichen Gutachten von Haiders Aschermittwochrede 2001, dass Jörg Haider seit damals mit der antisemitschen Verhöhnung des Israelitischen Kultusgemeinde-Präsidenten Ariel Muzicant den bis dahin unterschwelligen, "verschämten" Antisemitismus in eine "unverschämte Phase" gebracht hat (Pelinkas Gutachten ist in einer hochbrisanten Sammlung von Analysen über die FPÖ im Wiener Wahlkampf 2001 nachzulesen, die dieser Tage erscheint, vgl. Buchtipp auf Seite 16).

Damit scheint jedenfalls ein Paradigmenwechsel in der politischen Diskussion in Gang gebracht, auf Grund dessen antisemitische Polemik wieder salonfähig wird. Die Gewänder dieser Polemik sind unterschiedlich. Im Fall Möllemann wie auch in der österreichischen Auseinandersetzung wird vielfach die Kritik an der Politik Israels als Vehikel dafür benutzt (siehe dazu Seite 17 dieses Dossiers).

Noch bietet der derzeitige österreichische Wahlkampf keinen harten Antisemitismus. Gott sei Dank. Noch. Aber nicht zuletzt die jüngste Irak-Reise des Kärntner Landeshauptmannes macht klar: Die Grenzüberschreitung in diese Richtung ist in vollem Gange.

Buchtipp

5 Fragen an 3 Generationen

Der Antisemitismus und wir heute. Von Max-Joseph Halhuber, Anton Pelinka, Daniela Ingruber, Czernin Verlag, Wien 2002. 144 Seiten, geb., e 19,-

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