Grenzen der Aufklärung

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Die antisemitischen Ausfälle des Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann erregen Deutschland. Auch Österreich ist von der Hypothek des Judenhasses keineswegs entlastet.

Gedenkzeit ist. Ein wenig leise zwar, aber auch hierzulande erinnerten Politiker wie Kirchen wie Zivilgesellschaft an den 65. Jahrestag der Novemberpogrome 1938 - und erneuerten dabei das Versprechen, aus der Geschichte zu lernen und jeder Form des Judenhasses zu wehren.

Es sei vergebene Liebesmüh, Antisemitismus durch Aufklärung bekämpfen zu wollen: Solches hingegen äußerte Henryk M. Broder im Spiegel und knüpfte an seine schon vor Jahren geäußerte These vom "ewigen Antisemiten" an, gemeint damit: der Antisemitismus sei ein "beständiges Gefühl", das nicht auszurotten sei.

Broder mischte sich mit seinem Spiegel-Beitrag in die Debatte um den deutschen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann ein, der Anfang Oktober zum deutschen Nationalfeiertag eine mit allen nur erdenklichen antisemitischen Stereotypen gespickte Rede gehalten hatte. Als - vier Wochen später - die unerträglichen Ergüsse auch in der breiten Öffentlichkeit ruchbar wurden, reagierten die CDU-Spitzen auffallend zahm. Nur CSU-Chef Edmund Stoiber brandmarkte am 9. November das Geschehen und erklärte Hohmann als "außerhalb des Verfassungsbogens" stehend. Der deutsche Verteidigungsminister Peter Struck hingegen benötigte nur Stunden, um einen hohen Bundeswehrgeneral zu entlassen, der Hohmann brieflich zur seiner Rede gratuliert hatte.

Es ist zu befürchten, dass politische Erbsenzähler - jedenfalls hinter vorgehaltener Hand - Stoiber vorwerfen, er wolle nur seiner Erzrivalin Angela Merkel eins auswischen, und SPD-Minister Struck sei sowieso ein von den Linkslinken Getriebener. Doch kaum ein Fall ist so klar und so ungeeignet für politisches Kleingeld wie die Affäre Hohmann.

Man hatte ja geglaubt, dass es jedenfalls in Deutschland einen eisernen politischen Konsens gebe, nach dem für Entgleisungen à la Hohmann - der in seiner Rede unter anderem Juden als "Tätervolk" bezeichnet hatte, weil die bolschewistische Revolution in Russland "jüdisch geführt" gewesen sei - kein Platz ist. Dass nicht - wie bei Struck oder eben auch bei Stoiber - eindeutige Worte bzw. klare Konsequenzen unmissverständlich und sofort folgten, erstaunt und deprimiert zugleich. Mittlerweile ist die CDU in Berlin wie in Hohmanns Heimat Hessen endlich aufgewacht und hat den Ausschluss ihres Abgeordneten aus Bundestagsfraktion und Partei beantragt: Ein - wenn auch für die CDU in jeder Hinsicht unrühmliches - Ende der Affäre zeichnet sich ab.

Das alles geschieht immer noch, auch 65 Jahre nach dem 9. November 1938. Man kann Henryk M. Broder verstehen, wenn er das Scheitern der aufklärerischen Bemühungen gegen den Antisemitismus konstatiert: Man wisse so viel über den Judenhass und seine Verbrechen, man wisse immer mehr übers Judentum - das alles nütze nichts, so der Tenor von Broder.

Solcher Analyse ist wenig entgegenzusetzen - aber man darf das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Broders pessimistisches Fazit bedeutet keineswegs, Aufklärung und weitere Entdeckung dunkler Geschichte hintanzuhalten: Durch Erinnerung allein bekommt die heutige Gesellschaft noch keine weiße Weste. Das hat das "Lehrstück Hohmann" (© Die Zeit) erschütternd klargemacht.

Erschreckend auch, dass keine ausgeprägt rechte Partei, sondern die CDU durch die Affäre gebeutelt wird. Der österreichische Beobachter gibt sich aber keinen Illusionen hin, wenn er dann die heimische Situation in den Blick nimmt: Hierzulande sitzt eine rechte Partei in der Regierung, und man ist schon froh, dass deren maßgebliche Funktionäre keine öffentlichen Reden wie Hohmann schwingen. Hierzulande haben aber auch die beiden Großparteien noch genug Bedarf an Aufarbeitung ihrer Geschichte. Nur ein Beispiel dazu: Das vorletzte Woche erschienene Buch von Hellmut Butterweck über die Strafprozesse gegen NS-Täter in Österreich (vgl. die letztwöchige Furche), die ab 1949 sichtbar erlahmten und nach 1955 praktisch nicht mehr geführt wurden, macht verstörend klar, wie sehr die Zweite Republik auf einem politischen Konsens des Vergessens, Verharmlosens und Augenzwinkerns aufgebaut wurde. Trotz vieler Bemühungen der letzten 20 Jahre ist Österreich von dieser Hypothek nicht entlastet.

Ja, man stellt ernüchtert fest, dass Aufklärung nicht vor Antisemitismus schützt. Aber was ohne diese Aufklärung wäre, mag man sich erst recht nicht ausmalen wollen.

otto.friedrich@furche.at

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