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Warum die Moskauer Juden Franz Joseph dankbar sind
Im Herbst 1980 sagte der heutige Leiter der Schule, der ungarische Oberrabbiner Sândor Scheiber: „Wir haben in diesem Jahr den ersten Rabbiner für die Sowjetunion ordiniert. Er ist nach einem Studium von sechseinhalb Jahren mit seiner ungarischen Frau nach Moskau heimgekehrt.“
Zwischen diesen beiden Ereignissen liegt ein Jahrhundert, das nicht nur für die Juden, aber besonders für sie unendlich viel Leid und sehr viele Veränderungen gebracht hat.
Als Franz Joseph die Rabbiner- Schule stiftete, handelte er im Geist jenes Kaisers Joseph II., der fast hundert Jahre zuvor mit dem Toleranzpatent die Juden (wie auch Protestanten und Orthodoxe) als Religionsgemeinschaft anerkannt hatte. Zum Königreich Ungarn gehörten 1877 noch die heutige Slowakei, Kroatien, Slawonien, große Teile des heutigen Rumänien und das jetzt österreichische Burgenland. Überall lebten weitaus mehr Juden als heute.
Die Schule in Budapest sicherte nicht nur eine einheitliche Ausbildung der jüdischen Geistlichkeit, sie war auch eine Stätte der Bildung und der Forschung. Manche ihrer Dozenten waren angesehene Gelehrte, die auch an der Budapester Universität lehrten.
Heute noch nennt man in einschlägigen wissenschaftlichen Kreisen mit Hochachtung die Namen des Orientalisten und Islam-Kenners Ignac Goldzieher und des Bibelkundlers Wilhelm Bacher. David Kaufmann war der erste,
der sich mit jüdischer Kunst beschäftigte, Ludwig Blau schrieb Standardwerke über jüdische Magie.
Noch rund 100 000 Mitglieder zählt die jüdische Gemeinde in ganz Ungarn. Davon leben 70 000 in Budapest. Die Schule aber hat' im kleiner gewordenen Ungarn ihr Einzugsgebiet wesentlich erweitert. Sie hat zur Zeit Schüler aus der Sowjetunion, Bulgarien und der Tschechoslowakei. Die DDR und Jugoslawien sind im Augenblick nicht vertreten. Man erzählt sich in Budapest, der letzte deutsche Student habe nach abgeschlossenem Studium aus Liebeskummer Selbstmord begangen.
Zu Rumänien sind die Beziehungen offenbar ähnlich wie auf der staatlichen Ebene. Der dortige Oberrabiner (zugleich Präsident der Kultusgemeinde) schickt keine Studenten. Allerdings dürfte der Grund mehr in persönlichen Animositäten als in einer Einmischung des rumänischen Staates zu suchen sein.
Auch heute ist die Schule staatlich, wird aber offenbar vom ungarischen Staat nur zum Teil finanziert. Jeden- fallskommen große Zuwendungen aus Amerika, z. B. von der Memorial Foundation for Jewish Culture. Das ermöglicht vor allem eine rege wissenschaftliche Tätigkeit. „Wir sind die einzige Gemeinde, die wissenschaftliche Bücher publiziert“, sagt Prof. Scheiber.
Seit 1958 konnten 50 Werke erscheinen, darunter die „Monumenta Hun- gariae Judaica“, die die Geschichte der Juden in Ungarn von den Anfängen bis 1790 untersuchen. Alle zwei Jahre erscheint ein umfangreiches Jahrbuch mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Bisher sind es sechs Bände. Dazu kommen noch eine Reihe von
Monographien über die jüdischen Gemeinden in Ungarn und eine bisher funf- bändige Dokumentation über den Faschismus in Ungârn.
Die wissenschaftliche Arbeit wie auch die Lehrtätigkeit wird von Rabbinern in Budapest und anderen ungarischen Städten geleistet. Sechs Professoren bemühen sich um die Ausbildung von zur Zeit 17 Studenten. Allerdings gibt es im selben Haus auch ein jüdisches Gymnasium mit 40 Schülern.
Die rund 150 000 Bände umfassende wissenschaftliche Bibliothek und das umfangreiche Archiv der jüdischen Gemeinden Ungarns konnten über Krieg und Verfolgung bewahrt werden, weil man sie in einer Höhle versteckt hatte.
All das geistige Leben spielt sich in einem großen Mietshaus an der Budapester Ringstraße ab, wie sie um die Zeit der Jahrhundertwende gebaut wurden. Hier können auch die auswärtigen Studenten wohnen und essen. Deutlich hat überall der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen. Die Hilfsgelder aus Amerika fließen offenbar nicht so reichlich, daß man an eine großzügige Renovierung denken könnte. Und die Studenten verdienen sich ihr Taschengeld, indem sie in kleinen Gemeinden Gottesdienste und Lesungen halten.
Grundsätzlich kann jeder Rabbiner eine Schule für Rabbiner unterhalten, also quasi seinen Nachfolger ausbilden. Der Unterricht in Budapest dürfte aber wesentlich gründlicher und vielseitiger sein, als es sonst möglich ist. Sechseinhalb Jahre sind eine lange Zeit. Unterrichtssprache ist Hebräisch. (Übrigens hat das Jiddische in Ungarn keine Tra-- dition.) Die ausländischen Studenten lernen aber auch gut Ungarisch.
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