"Die Politiker haben regelrecht Angst VOR DEM VOLK“

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Vor drei Jahren ging Respekt.net mit dem Anspruch an den Start, mangelnder Transparenz und Politikverdrossenheit den Kampf anzusagen. Offensichtlich gibt es in Österreich doch viele Menschen, die sich mit sinnvollen Projekten für die Gesellschaft engagieren wollen.

Die Furche: Unter steuernzahlen.at soll es erstmals möglich sein, seinen Gesamtsteuerbetrag zu ermitteln - von der Alkoholsteuer bis zur Versicherungssteuer. Eigentlich seltsam, dass das Finanzministerium diese Möglichkeit nicht bietet.

Martin Winkler: Ausgangspunkt für die neue Plattform war eine Diskussion im Kreis von Respekt.net: Wer zahlt wieviel Steuern und ist das gerecht? Dabei haben wir festgestellt, dass niemand über seine Gesamt-Steuerleistung Bescheid weiß. Das wäre aber die Voraussetzung für eine ernsthafte Steuerdebatte und eine seriöse Steuerpolitik. Wir vermuten, dass das Finanzministerium dieses Service nicht bietet, weil die Politiker regelrecht Angst vor dem Volk haben. Gerade beim Steuerthema will man den Menschen nicht reinen Wein einschenken, ein völlig falscher Ansatz.

Die Furche: Was erhoffen Sie sich von der neuen Steuer-Plattform?

Winkler: Wir wollen nachvollziehen, wie die Gesamtsteuerbelastung der einzelnen Einkommens-Gruppen aussieht. Derzeit weiß man nicht, wie sich das verteilt. Die Menschen zahlen ja nicht nur Steuern, viele kriegen auch etwas vom Staat. Das Interesse an einer Steuer-Transparenzplattform ist sehr groß: Wir haben binnen weniger Tage 80 Prozent des nötigen Geldes gesammelt.

Die Furche: Sie wünschen sich, dass Ihre Projekt-Plattform Respekt.net als eine Art elektronische Volksabstimmung fungiert.

Winkler: Weil wir ein Marktplatz sind, der beim Bürger-Engagement ansetzt, kann man ablesen, welche Themen die Menschen beschäftigen. Wenn man auswertet, welche Projekte finanziert werden, sieht man genau, welche Themen so werthaltig sind, dass Private bereit sind, dafür zu spenden.

Die Furche: Wie ist Ihnen die Idee für Respekt.net gekommen?

Winkler: Ich bin beruflich und familiär sehr eingeteilt und habe mich selbst aus Zeitmangel nicht politisch engagiert. Aber mein Unbehagen über unterschiedlichste Probleme habe ich den Menschen in meinem Umfeld erzählt - und zu meiner Überraschung festgestellt, dass es vielen so geht. So hat sich ein bunter Kreis von 20 Leuten gefunden, darunter viele Unternehmer. Gemeinsam ist die Idee entstanden: Wir brauchen einen Marktplatz für engagierte Projekte.

Die Furche: Welche Art von Projekte unterstützt denn Respekt.net konkret?

Winkler: Die Themenpalette ist breit: Wir haben einen Talentepool für benachteiligte Jugendliche genauso ermöglicht wie einen Arabisch-Dolmetsch auf Lampedusa oder eine Solaranlage für eine afrikanische Schule. Unsere Projekte drehen sich um Soziales, Integration und Bildung, in Österreich, aber auch weltweit. Man kann je nachdem Geld, Know-how oder Zeit spenden.

Die Furche: Mit der Transparenz-Plattform meineabgeordneten.at haben Sie unter Politikern für Aufregung gesorgt: Fehlende Jahre in den Lebensläufen oder Ungereimtheiten in den geschäftsführenden Tätigkeiten sind zu Tage getreten.

Winkler: Jede Menge Politiker haben als Reaktion Informationen über sich selbst korrigieren lassen. Die eifrigsten Nutzer sind die Parlamentsklubs und die Parlamentsdirektion. Täglich erhalten wir Änderungsmeldungen von Abgeordneten. Wir haben das gestartet, weil sich die Damen und Herren im Parlament offensichtlich vor der Öffentlichkeit fürchten. Durch meineabgeordneten.at hat sich die Diskussion zum Transparenzgesetz ein bisschen verbessert. Das Gesetz ist noch immer nicht mutig und beispielgebend in Europa, aber zumindest ein bisschen besser als zuvor.

Die Furche: Meineabgeordneten.at wurde allein im Oktober nach der Nationalratswahl von 100.000 Menschen besucht. Wie hat das Parlament auf Ihre Forderung reagiert, es solle die Plattform mitfinanzieren?

Winkler: Nationalrats-Präsidentin Prammer und die Klub-Obleute haben befunden, dass die Parlaments-Website alle nötigen Informationen beinhaltet, man sich also nicht finanziell beteiligen will. Dabei bieten wir wesentliche Zusatzinformationen, vom Ver- eins- und Gewerberegister über das Firmenbuch bis zu parlamentsspezifischen Themen. Ein öffentliches Gut sollte öffentlich finanziert werden. Künftig wird die Nutzung nur mehr für Bürger kostenlos sein, politische Einrichtungen und Medien werden zahlen müssen, denn wir müssen auch wirtschaften.

Die Furche: Österreich nimmt im internationalen Transparenz-Vergleich 2013 den letzten Platz ein. Wie das?

Winkler: Das hat mit der österreichischen Realverfassung zu tun, mit der Allmacht der Großparteien und deren Sozialpartnern. Einzelne Abgeordnete unterliegen einem starken Klubzwang. Die EU lebt viel umfangreichere Transparenz-Regeln als Österreich. Wir würden gerne darstellen, welche Abgeordneten wofür abstimmen, aber das ist meist nicht nachvollziehbar. Deswegen rücken wir bei meineabgeordneten.at die einzelnen Mandatare in den Vordergrund: Zu welchen Themen meldet sich diese oder jene Person zu Wort?

Die Furche: Laut Karmasin-Umfrage fordern 88 Prozent der Bürger "mehr Transparenz“ vom neuen Regierungsprogramm, das ist der zweithöchste Wert gleich nach der "Schaffung von Arbeitsplätzen“. Welchen Befund attestieren Sie der Zivilgesellschaft?

Winkler: Die Leute sind an politischen Informationen wie eh und je interessiert. Sie erwarten sich aber, dass diese gut aufbereitet zugänglich sind. So wie jede Regierung ihr Programm verständlich erläutern sollte, sollten das auch alle politischen Einrichtungen tun. Den Gemeinden gelingt das besser als Bundes- und Landeseinrichtungen, weil sie näher bei den Menschen sind.

Die Furche: Sie haben die Liberale Heide Schmidt, den Grünen Johannes Voggenhuber oder den einstigen ÖVP-Politiker Franz Fischler ins Boot geholt. Nun möchten Sie auch in die Gemeindebauten gehen, um die "kleinen Leute“ zu erreichen.

Winkler: Jene Kampagnen, die alle Schichten erreichen können, sind uns besonders wichtig. Deshalb bereiten wir heuer eine österreichweite Kampagne namens "Orte des Respekts“ vor. So wollen wir alle Gemeinden im Land und alle Bezirke in Wien erreichen.

Die Furche: Welche Werte wollen Sie fördern? Winkler: Unser Wertegebäude erlaubt viele politische Zugänge, ist aber nicht beliebig. Wir wollen nicht wegsehen, sondern hinsehen, nicht jammern, sondern selbst was tun, nicht im Verborgenen, sondern öffentlich, nicht kompliziert, sondern einfach, nicht alleine, sondern gemeinsam, nicht zentralisiert, sondern marktwirtschaftlich, nicht irgendwann, sondern jetzt gleich.

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