Erhard Busek - © Foto: APA/Andreas Pessenlehner

Erhard Busek: "Es gibt kein Thema Migration"

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Erhard Busek über Sehnsüchte schwarzer Parteiobmänner, Grenzen heimischer Konfliktfreude und Inhalte einer schwarz-blauen Regierung.

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Erhard Busek über Sehnsüchte schwarzer Parteiobmänner, Grenzen heimischer Konfliktfreude und Inhalte einer schwarz-blauen Regierung.

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Erhard Busek ist bekannt dafür, sich auch selten ein Blatt vor den Mund zu nehmen, wenn es um seine eigene Partei geht. Im Interview spricht der ehemalige ÖVP-Obman über die engen Grenzen seines Liebesverhältnisses zur FPÖ und den "Flugsand der Wechselwähler", der schon vor langer Zeit zu einer Wanderdüne wurde.

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DIE FURCHE: Herr Busek, im Wahlkampf haben Sie für die sogenannte "Dirndl-Koalition", ein Bündnis aus ÖVP, Grünen und NEOS, geworben. Warum?
Erhard Busek:
Ich wollte, dass es eine Alternative zu den Freiheitlichen gibt. Es ist bekannt, dass sich mein Liebesverhältnis zur FPÖ in Grenzen hält. Ich bin aber auch in einem Spot für Sebastian Kurz aufgetreten, weil ich überzeugt bin, dass er tatsächlich für Parteireformen und Veränderung steht. Ich habe allerdings kritisch angemerkt, dass mir die Veränderungen nicht weit genug gingen. Man müsste die Parteien komplett neu gründen und tatsächlich Bewegungen aus ihnen machen -oder wie auch immer man es dann nennen will.

DIE FURCHE: Was wäre Ihr konkreter Ansatz?
Busek: Klassische Parteistrukturen wie die Sektionen in Wien sind herzlich überflüssig geworden. Man muss versuchen, die Menschen mit interessanten Themen und guten Leuten dazu zu bringen, zusammenzukommen und politisch zu diskutieren. ÖVP und SPÖ haben dasselbe Problem: Beim Ansprechen von Wählergruppen gibt es keinerlei Fantasien. Themenorientiert könnte man wohl am meisten erreichen. Die Veränderungen in der Wählerstruktur sind zudem offensichtlich: Früher sprach man vom "Flugsand der Wechselwähler". Der wurde schon vor langer Zeit zu einer Wanderdüne. Die Furche: Am Prinzip der "Bewegung" gibt es auch viel Kritik. Bei prominenten Quereinsteigern stellt sich etwa häufig die Frage nach der Qualifikation für ihre Funktion. Busek: Diese Kritik ist berechtigt, die "Zuflüsse" sind nicht strukturiert. Möglicherweise war die Zeit dafür noch zu kurz. Ich glaube dennoch, dass die alten Parteistrukturen durch flexible Strukturen ersetzt gehören -etwa anlass-oder themenbezogen. Kurz hat die Parteilisten von oben verändert. Es wird sich zeigen, inwieweit alle, die von ihm auf Vorzugsplätze gesetzt wurden, gemeinsam einen effizienten Parlamentsklub bilden können. Kurz ist sicher überzeugt, dass er die integrative Kraft sein wird, die am Ende entscheidet. Als Altparteiobmann kann ich aber sagen: Das funktioniert nicht. Die spannende Frage wird sein: Wenn ein Landeshauptmann entsprechend der traditionellen Übung aufsteht und sagt "Mein Bundesland braucht einen Minister in der Regierung!"- was passiert dann?

DIE FURCHE: Was halten Sie eigentlich von den weitläufigen Durchgriffsrechten, die Kurz als Parteichef eingeräumt wurden?
Busek: Sie sind die Sehnsucht jedes Obmanns. Allerdings erreicht man hier schnell Grenzen. Denn auch Kurz ist letztlich auf Unterstützung in der Breite angewiesen. Ein interessanter Testfall wird der Finanzausgleich sein. Im Moment, in dem Länderinteressen und artikulierte Gruppeninteressen auftauchen, wird es schwieriger.

DIE FURCHE: Es gab viel Kritik am Wahlkampf von Sebastian Kurz. Vor allem am Mangel an Inhalten und daran, dass er die meisten Fragen mit dem Thema Migration beantwortete.
Busek: Das Migrationsthema wurde von den Parteien hochgezogen. Ich behaupte, dass es bei den Wählern nicht in dem Ausmaß präsent war, in dem es durch die Parteien betrieben wurde. Denn derzeit gibt es eigentlich keine "Migrationsfrage". Es gibt keine Route, die zu schließen wäre. In Wirklichkeit hat auch die Integration in Österreich zu einem beachtlichen Teil gut funktioniert. Es gibt einige offene Fragen zu klären, wie Arbeitserlaubnis oder Familiennachzug. Die wurden aber gar nicht diskutiert.

Kurz ist überzeugt, er könne die integrative Kraft sein, die letztlich entscheidet. Als Altparteiobmann kann ich sagen: Das funktioniert nicht.

DIE FURCHE: Welche Inhalte haben Ihnen im Wahlkampf gefehlt?
Busek: Zum Beispiel Bildung -die NEOS waren da eine Ausnahme. Auch eine inhaltliche Diskussion über Europa hat gefehlt. Wie soll dieses Europa funktionieren und welche geopolitische Dimension hat es? Wie geht man mit der Globalisierung um? Das Verhältnis zu den Nachbarländern war ebenfalls kein Thema. Es ist uns mittlerweile gelungen, mit sämtlichen Nachbarn wenig Verbindung zu haben. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und einer zwischenzeitlichen Wiederbelebung Mitteleuropas ist das schmerzlich.

DIE FURCHE: Nun stehen alle Zeichen auf Schwarz-Blau. Was würden Sie inhaltlich von dieser Koalition erwarten und wie bewerten Sie die Aussichten persönlich?
Busek: Einige Inhalte wie die Finanz-und Wirtschaftspolitik sind bei beiden Parteien noch nicht erkennbar. "Soziale Marktwirtschaft" schön und gut, aber wie schaut das praktisch aus? Für Sebastian Kurz zum Problem werden könnte die Frage der Sozialpartnerschaft. Den Verfassungsrang dieser Einrichtungen aufzuheben, geht nicht von heute auf morgen, weil es ein über Jahrzehnte entwickeltes System mit starken Machtverflechtungen ist. Ich würde meiner eigenen Partei empfehlen, das Thema nur nach einer Volksabstimmung anzugehen.

DIE FURCHE: FPÖ und NEOS wollen die Kammer-Pflichtmitgliedschaften abschaffen. In der ÖVP gibt es zu dieser Frage verschiedene Fraktionen. Welcher gehören Sie an?
Busek: Die Sozialpartnerschaft hat Österreich ungeheuer viel gebracht. Ich kritisiere aber, dass das System alles erfasst hat. Die Zahl der sozialpartnerschaftlich besetzten Einrichtungen ist zu hoch. Bei der Sozialversicherung bin ich diesbezüglich etwa für eine Reduktion. Es braucht eine grundsätzliche Diskussion, wo man Kammern und Vertretungen benötigt und wo nicht.

DIE FURCHE: War das Modell Sozialpartnerschaft nicht auch für den Wirtschaftsstandort Österreich ein entscheidender Vorteil, weil es Unternehmern Verlässlichkeit bot? Weil es kaum Streiks gab, zumal Interessenausgleich am Verhandlungstisch organisiert wurde und nicht auf der Straße?
Busek: Ja. Ich denke dennoch, dass eine Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft keine Nachteile für den Wirtschaftsstandort haben muss. Die Sozialpartnerschaft hat viel mit der österreichischen Mentalität zu tun. Es gibt eine Grundstimmung für Ausgleich, nach dem Motto "Wir werden keinen Richter brauchen". Mit Herausbildung anderer Strukturen könnte es zu stärkeren Konflikten kommen. Aber davon sind wir weit entfernt. Die Konfliktfreudigkeit der Österreicher hält sich in natürlichen Grenzen.

Derzeit gibt es eigentlich kein 'Migrationsthema'. Es gibt keine Route, die zu schließen wäre. In Wirklichkeit hat auch die Integration in Österreich zu einem beachtlichen Teil gut funktioniert.

DIE FURCHE: Die NEOS könnten bei einer schwarz-blauen Koalition zum Zünglein an der Waage für eine Verfassungsmehrheit werden. Mit welchen Gesetzen würden Sie bei einer Zweidrittelmehrheit rechnen?
Busek: Ich würde es umgekehrt sehen: Wir haben zu viele Gesetze im Verfassungsrang. Das ist eine sehr bedenkliche Entwicklung. Vergangene Regierungen haben stets versucht, fragliche Gesetze in Verfassungsrang zu heben, um sie der Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof zu entziehen. Ich würde den NEOS dringend empfehlen, sich dafür nicht herzugeben.

DIE FURCHE: Ihre Zeit als ÖVP-Chef ging durch eine Kampagne der "Kronen Zeitung" zu Ende. Wie beurteilen Sie die Boulevard-Kampagnen im vergangenen Wahlkampf?
Busek: Die Blätter sind käuflich. Wer zahlt, schafft an. Es wäre eine lohnende Aufgabe für die Politik- und Medienwissenschaft, die Vergabe der Gelder für Inserate einmal zu untersuchen und damit Strukturen eines Wahlkampfs aufzuzeigen.

DIE FURCHE: Sie haben sich von Ihrer Partei zunehmend entfernt: Bei der Nationalratswahl 2013 haben Sie öffentlich erklärt, die NEOS zu wählen, bei der Wahl des Bundespräsidenten unterstützten Sie Irmgard Griss statt Andreas Khol. Was verbindet Sie eigentlich noch mit der ÖVP?
Busek: Der Wille zur Veränderung. Das habe ich selbst bei der Wiener Volkspartei erfolgreich, bei der Bundespartei weniger erfolgreich betrieben. Ich sehe darin eine ungeheure Chance und unterstütze deshalb den Prozess. Ich verbinde damit aber auch die Frage: Wofür steht die Volkspartei? Die Antwort ist noch offen.

DIE FURCHE: Den Willen zur Veränderung könnten Sie mit den NEOS ja auch haben.
Busek: Das ist auch der Grund, warum ich sie unterstützt habe. Im Moment ist das aber im Wege der Volkspartei erfolgreicher. Und das hindert weder die ÖVP noch die NEOS, bei den Veränderungen zu kooperieren.

Erhard Busek - © Foto: APA/Andreas Pessenlehner

Erhard Busek

war Obmann der Wiener VP und Vizebürgermeister, später Wissenschaftsminister und ÖVP-Bundesparteiobmann. Von 1991 bis 1995 fungierte er zudem als Vizekanzler unter Franz Vranitzky (SPÖ). Gegenwärtig ist Busek Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa.

war Obmann der Wiener VP und Vizebürgermeister, später Wissenschaftsminister und ÖVP-Bundesparteiobmann. Von 1991 bis 1995 fungierte er zudem als Vizekanzler unter Franz Vranitzky (SPÖ). Gegenwärtig ist Busek Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa.

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