7007060-1987_46_05.jpg
Digital In Arbeit

Mehr Dynamik und Selbstbewußtsein

19451960198020002020

Die Volkspartei verliert seit ihrem Eintritt in die Bundesregierung Wahl um Wahl. Am Programm kann's kaum liegen, am Parteiobmann allein wohl auch nicht. Woran dann?

19451960198020002020

Die Volkspartei verliert seit ihrem Eintritt in die Bundesregierung Wahl um Wahl. Am Programm kann's kaum liegen, am Parteiobmann allein wohl auch nicht. Woran dann?

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Welche Erklärung findet der Sozial forscher für den .Absturz“ der Wiener ÖVP bei den Gemeinderatswahlen am 8. November?

FRITZ KARMASIN: Die Wahlkampfstrategie der Wiener Volkspartei beruhte im wesentlichen auf der Fortsetzung der letzten Wahlkämpfe, frei nach dem Motto: „Never change a winning theme!“ („Wechsle nie ein erfolgreiches Thema!“).

Die bunten Busek-Plakate signalisierten die Kontinuität der seinerzeitigen „bunten Vögel“. Damals haben allerdings die Studenten auch noch gegen das Kraftwerk Hainburg protestiert. Heute streiken sie wegen Verschlechterungen ihrer sozialen Lage.

Mit einem Satz: Seit der letzten Wiener Wahl haben sich die Schwerpunkte in der Politik verlagert.

Die sogenannten Post-Materialisten bauen ja per definitionem auf einer sicheren wirtschaftlichen Basis — und diese Basis wird heute zunehmend unsicher.

FURCHE: Welche Rolle hat der rauhe Wind gespielt, der der ÖVP auf Bundesebene ins Gesicht bläst?

KARMASIN: Nach einer Umfrage unseres Instituts akzeptiert die Mehrheit der Österreicher die Sparmaßnahmen der Regierung. Die Menschen stimmen den Maßnahmen zwar nicht mit Freuden zu, nehmen aber zur Kenntnis, daß etwas geschehen muß.

Die wirtschaftlichen Probleme des Landes und die Antworten der Politik darauf stehen derzeit im Mittelpunkt des Bürgerinteresses. In dieser Hinsicht hat die Wiener Volkspartei viel zu wenig gesagt.

FURCHE: Die ÖVP ist in Wien zum Teil bewußt auf Distanz zur Politik der ÖVP auf Bundesebene gegangen.

KARMASIN: Die ÖVP muß sich insgesamt noch sehr viel stärker und deutlicher zum gegen-

wärtigen Regierungskurs bekennen, um nicht noch mehr Wähler zu verunsichern. Nachdem ein Großteil der wirtschaftspolitischen Maßnahmen j a ohnehin aus den Konzepten der Volkspartei stammt, stoßen gewisse Absetzbewegungen bloß auf Unverständnis.

FURCHE: Inwieweit hat Erhard Busek auch die andauernde Diskussion um seinen Bundes-parteiobmann Alois Mock geschadet*^

KARMASIN: Daß Busek in der Phase des Wahlkampfes seinen Anspruch auf die Führung der Bundes-ÖVP angemeldet hat, hat ihm wesentlich mehr geschadet als genützt. Die treuen Wähler der ÖVP in Wien haben sich gefragt: Warum sollen wir Busek für Wien wählen, wenn er eigentlich den Bundesparteiobmann anstrebt?

Dazu kommt, daß heute von allen Menschen Solidarität verlangt wird, nur innerhalb der eigenen Gruppe gibt's keine - die-

sen Widerspruch merkt der Wähler.

Das Problem der ÖVP liegt zu einem großen Teil darin begründet, daß nach außen hin keine Gemeinsamkeit zur Schau getragen wird. Auch wenn die Landes-parteiobmänner ständig beteuern, daß Mock bis 1989 gewählt ist, dann lassen diese Aussagen implizit doch den Schluß zu, daß diese Loyalität zeitlich begrenzt ist. Mock erhält sozusagen eine Schonfrist. Das teilt sich den Menschen mit.

FURCHE: Die Wiener ÖVP hat gegen das Taktieren mit Jörg Haiders FPÖ — vor allem im Burgenland — massiv Stellung bezogen.

KARMASIN: Eine Parteiführung, die keine theoretischen Überlegungen anstellt, wie's anders sein könnte, gehört nicht an die Parteispitze. Ein politisches Muß aber bleibt, daß solche Uber-legungen vertraulich und nicht in der Öffentlichkeit angestellt werden.

FURCHE: Buseks Volkspartei sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, sie habe zu sehr auf „bunte Vögel“ gesetzt und daneben die eigentlichen ,J£ernschich-ten“ vernachlässigt.

KARMASIN: Wenn man die Kerntruppen der Partei tatsächlich vernachlässigt hat, dann war das kein ideologischer, sondern ein taktischer Fehler. Eine Partei lebt von jenen Menschen, die mit der Partei leben und für sie arbeiten.

FURCHE: Nun diagnostizieren die Sozialforscher eine Entwicklung der österreichischen Mitgliederparteien in Richtung Wahlparteien. Wozu dann noch Parteikader?

KARMASIN: Tatsache ist, daß man die Parteikader nicht mehr in ausreichendem Maß rekrutieren kann. Die oft zitierten US-Parteien müssen ja ihre Parteiorganisation von Wahl zu Wahl neu um viel Geld anwerben.

FURCHE: Was kann die ÖVP also kurzfristig gegen ihren Wählerschwund unternehmen?

KARMASIN: Mehr Dynamik und Selbstbewußtsein täte der ÖVP sicher gut. Dazu muß die Volkspartei viel deutlicher auf ihre positiven Leistungen in der Regierung hinweisen. Es ist grotesk, wenn ein ÖVP-Minister öffentlich erklärt, wir haben diese oder jene Maßnahme verhindert. Damit wird anerkannt, daß eigentlich der Regierungspartner das Gesetz des politischen Handelns an sich gerissen hat.

Die ÖVP muß den Regierungskurs nicht verteidigen, sondern vielmehr offensiv sagen, in welche Richtung sie gehen will. Die Bürger wollen keinen Streit, kein Jammern und keine Unsicherheit. Sie wollen wissen, wie's weitergeht. Die ÖVP braucht innerparteilich wieder eine positive Stimmung - allen Widrigkeiten zum Trotz.

Mit Fritz Karmasin, Geschäftsführender Gesellschafter des österreichischen Mei-nungs- und Marktforschungsinstituts Gallup und Professor an der Universität Wien, sprach Tino Teller.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung