Den gallischen Hahn nicht zupfen

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Die Einhaltung gemeinsamer ethisch-politischer Werte kontrollieren nicht nur die EU-14, sondern auch kritische Wähler in den eigenen Reihen.

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Die Einhaltung gemeinsamer ethisch-politischer Werte kontrollieren nicht nur die EU-14, sondern auch kritische Wähler in den eigenen Reihen.

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Immer wieder wird gerätselt: War die blauschwarze Koalition lange schon von Hintermännern von ÖVP-Bundesparteiobmann Schüssel nach den Wahlen angestrebt, oder ist sie eine Zwangsehe, nachdem die Sozialdemokraten das Handtuch geworfen hatten? Eine erstaunlich offene Antwort gibt der freiheitliche Historiker und Politiker Lothar Höbelt: "Ehre, wem Ehre gebührt. Seit Julius Raab hat kein ÖVP-Obmann so brillant taktiert wie Wolfgang Schüssel, auch wenn die Rücksicht auf Betulichkeiten ihn jetzt zwingt, so zu tun, als sei das gar nicht wahr (...) Fazit: Haider hat gesiegt, Schüssel tatsächlich was daraus gemacht. Weiter so." (Zur Zeit, 5/00) Womit von freiheitlicher Seite unverblümt eine Doppelstrategie zur Bildung der FPÖ-ÖVP-Regierung angedeutet worden ist. Wie wahr ist diese Darstellungsweise? Sie wird wohl von ÖVP-Obmann Schüssel klar dementiert werden müssen. Ehrenhaftigkeit steht auf dem Prüfstand! Stimmt die Ansicht des freiheitlichen Historikers, könnte sie auch als ein Vertrauensbruch gegenüber den Wählern und dem Bundespräsidenten gedeutet werden. Die Verfassung sieht bei einem tatsächlich erfolgten Vertrauensbruch zwischen Präsidenten und Kanzler sogar die Möglichkeit der Abberufung des Bundeskanzlers vor.

Geheimabkommen?

Die ÖVP stellt nach 30 Jahren als drittstärkste Partei den Kanzler. Chance und Risiko zugleich Unbeantwortet blieb bisher die Frage, um welchen politischen Preis Jörg Haider für seine Partei zunächst auf den Kanzlerposten verzichtete. Es wird, wie in der Causa Kreisky-Peter-Steger, an den Tag kommen. Damals wurde in einem Geheimabkommen die spätere freiheitliche Regierungsbeteiligung festgelegt. Oder ist Jörg Haider gar etwa ein uneigennütziger Politiker geworden? Immerhin will er doch Kanzler werden!

Am rechten Rand hat die Volkspartei über Jahre hindurch ein gewaltiges Wählerpotential an die Haider-FPÖ abgegeben. Man wählte den Schmied und nicht den Schmiedl. Auch ein Aufbruch nach rechts hat katholische Kernschichten der Volkspartei erreicht. So siedelte die "Christlich Soziale Allianz" (CSA) zwischen ÖVP und FPÖ an. Bei den letzten Wahlen zum Europaparlament wandte sich die CSA an alle "grundsatzfesten Christen" und "wertkonservativ denkenden Menschen". Mit dem bei den Europawahlen erreichten Wähleranteil von 1,5 Prozent ist der CSA zwar kein Durchbruch gelungen, aber das wertkonservative Wählerfundament wurde klar erkennbar. Die Wahl war eine bemerkenswerten Minderheitenfeststellung. Diözesanbischof Krenns Worte: "Ich schätze Haider", waren für das Wahlverhalten der "rechten Katholiken" motivierend. 40.000 Ex-ÖVP-Wähler haben die Volkspartei bei den Europawahlen um den ersten Platz gebracht. Sie verbannten bei den Nationalratswahlen als FPÖ-Wähler/Nichtwähler die ÖVP auf den dritten Platz.

Auch die offizielle Kirchenstatistik 1999 ist aufschlußreich. Die katholische Kirche hat im Zeitraum von 1970 bis 1998 mehr als eine Million Gläubige verloren. Die Zahl der Katholiken sank von 6,97 Millionen auf 5,92 Millionen. Die sonntäglichen Messbesucher haben sich in diesem Zeitraum nahezu halbiert. 966.575 Katholiken besuchten 1998 jeden Sonntag eine Messe. 1970 waren es noch 1.844.000 Gläubige.

Katholiken und ÖVP Die ÖVP ist etwa im gleichen Zeitraum, in dem die Kirche die Hälfte ihrer praktizierenden Messgänger verloren hat, von 48,3 Prozent Wähleranteil im Jahre 1966 auf rund 27 Prozent im Jahre 1999 abgesackt. Zwischen Katholiken und ÖVP-Wählern bestand immer eine Wechselwirkung. Den harten Kern der ÖVP Wähler, vor allem in den Bundesländern und im ländlichen Bereich, bilden jene Getreuen, die in Kirche und Volkspartei eine gemeinsame Heimstatt haben. 60 Prozent der praktizierenden Katholiken wählen laut Meinungsforschung die Volkspartei, also rund 600.000. Das ist fast die Hälfte aller Stimmen, die 1999 die ÖVP einfahren konnte. Diese Bastion droht weiter zu zerbersten. Aber nicht allein bei den katholischen Stammwählern kündigt sich eine weitere Scheidung der Geister und des Wahlverhaltens an. Wer rettet die Volkspartei?

Die blauschwarze Regierungsbildung und die fatalen internationalen Folgen haben eine breite ÖVP-Wählerschicht in eine Warteposition gebracht. Bisher erfolgte Parteiaustritte sind nur die Spitze des Eisberges. Wie tief das Unbehagen reicht hat EU-Kommissar Fischler deutlich gemacht. Er werde seine ÖVP-Mitgliedschaft überdenken, wenn sich die Regierung nicht an die Präambel der Regierungserklärung hält, die ihr Bundespräsident Thomas Klestil wohl im Wissen um die Folgen für Österreich verordnet hat.

Der frühere Nationalratspräsident Heinrich Neisser wiederum hält es für denkbar, dem ÖVP-Parteiobmann Schüssel einen geschäftsführenden Parteiobmann zur Seite zu stellen. Deutlich der ehemalige Generalsekretär der Industriellenvereinigung Herbert Krejci. Er analysiert einen "Realitätsverlust an der Spitze der Regierung", der ihn "schwer erschüttert" und erwartet von Bundeskanzler Schüssel, daß er "Haider zur Rede stellt." Das wird er tun, wenn er Jörg Haider, dem "einfachen Parteimitglied" im Koalitionsauschuß gegenübersitzt.

Aber was sagt er dem Oppositionschef Haider, der nach seinem Rücktritt im Stile einer Springprozession - ein Schritt zurück, zwei Schritte vor - die Fäden der freiheitlichen Regierungspolitik zieht und zugleich auf seine Stunde wartet. Haider ist nicht zu beugen. Die Doppelstrategie Regierung und zugleich Opposition zu sein hat er von Bruno Kreisky gelernt, der die "außerparlamentarische Linke" als gesellschaftspolitischen "Motor sozialistischer Regierungspolitik" bezeichnete. Diese Rolle haben nun die Rechtsaußen-Visionäre der FPÖ übernommen. Ihr nachzulesendes Ziel ist es, in der blauschwarzen Koalitionsperiode die Weichen auf eine Präsidialdemokratie zu stellen, in der dann Jörg Haider machtvoll regiert.

Deutschland gewarnt Am Beispiel Österreich wird von seiten der EU-14 demonstriert, warum Montanunion, EG und EU gegründet wurden. Wahrscheinlich hat die französische Zeitung "Le Figaro" recht, der Vertrag von Maastricht wäre ein für Deutschland zweites "Versailles ohne Krieg" (Friedensvertrag 1919 mit Deutschland). Gilt diese Analyse auch für St. Germain? Heute schlägt man Österreich und warnt damit das wiedervereinte Deutschland.

Die historische Verquickung Österreichs als "zweiter deutscher Staat" (Schuschnigg), in die mitteleuropäische Politik der Zwischenkriegszeit zählt Österreich in den Augen der ehemaligen Entente und der Alliierten auch heute noch in das "pangermanische Lager". Erinnern wir uns an den Zerfall von Jugoslawien und die westliche Kritik an der Haltung von Außenminister Alos Mock. Gleichzeitig brechen uralte französische Ressentiments gegen das "kaiserlich-katholische" Habsburg-Österreich auf, das sich gegen "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" und damit die Menschenrechte gewehrt hatte. Die Geschichte hat uns mit unberechenbaren Emotionen eingeholt.

Um "den Anfängen zu wehren" werden extreme Worte der Freiheitlichen als Taten eingestuft und damit die Sanktionen begründet. Das bedeutet eine bemerkenswerte Wende in und für Europa: Der Wille der Wähler in den Mitgliedsländern ist in der EU zweitrangig. Erstrangig sind die gemeinsamen ethisch-politischen Werte, die zu respektieren sind. Frankreichs Präsident Chirac erhebt diesen Grundsatz zu einem Dogma der EU. Politische Aussagen werden bereits als Taten gewertet und stellen einen Verstoß gegen den Vertrag von Amsterdam und die Werte, auf denen das demokratische Europa errichtet wurde, dar.

Ethik steht ganz oben Dazu darf ich Paolo Flores D'Acais, Madrid, 27. 2. 2000 zitieren: "Mit seiner Intervention im ,Fall Haider' hat Europa eine wichtige Frage entschieden:es hat entschieden, daß in einer Demokratie der Wille der Wähler ein äußerst wichtiges Prinzip ist, aber ein zweitrangiges. Das wichtigste und grundlegende Prinzip ist hingegen der Respekt vor ethisch-politischen Werten. Mit seiner Intervention im ,Fall Haider' hat Europa schließlich feierlich die Pflicht für Österreich und sich selbst verkündet, daß Worte und Taten übereinstimmen müssen, daß das, was in den demokratischen Verfassungen festgeschrieben steht mit der Politik, die die Parteien und Wähler ausüben, oder eben nicht ausüben können, kohärent sein muß. Das ist eine Entscheidung die Geschichte machen könnte."

Jacques Chirac hat das Jahr 2000 in der EU unter das Motto "Ethik der Staatengemeinschaft" gestellt. Ab Juli hält die europäische Führungsmacht Frankreich den Vorsitz in der EU, womit die Weichen gestellt sind. Bis dahin muß die Wiener Regierung in der Europafrage die Ächtung bewältigt haben, um nicht noch Schlimmeres zu provozieren. Etwa die Aberkennung des Stimmrechtes in der EU, wenn als Anlaßfall ein Minister Schmid, Jörg Haider oder andere Worte gegen die Osterweiterung dreschen. Diese sind nämlich der harte Kern der Sorgen und Sanktionen der EU-14.

Julius Raab hat einst, als ein Minister in seinen Sonntagsreden stets die Sowjetunion provozierte, gewarnt: "Man soll dem russischen Bären nicht ständig in den Schwanz zwicken." Heute ist angebracht zu sagen: "Man soll den gallischen Hahn nicht an seinen Federn zupfen!" Wohin diese Handlungen sonst führen, erleben unser Kinder und Enkeln, wenn sie etwa in Straßburg über das gemeinsame Europa diskutieren und als "Nazi" beschimpft werden. Kann das diese Regierung mit ihrer unbeugsamen Haltung wirklich verantworten? Ein jahrzehntelang mühsam aufgebautes Ansehen Österreichs in der Welt wurde innerhalb von Tagen zerstört.

Der Autor war Chefredakteur von verschiedenen ÖVP-Tageszeitungen und der politischen Vordenkerzeitschrift der ÖVP "Österreichische Monatshälfte".

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