6866530-1978_05_17.jpg
Digital In Arbeit

Wien braucht Einrichtungen der direkten Demokratie

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Herr Dr. Busek, Sie gelten als eine der großen Hoffnungen der Volkspartei. Josef Taus kann die nächsten Nationalratswahlen nur gewinnen, wenn ihre Partei in Wien erfolgreich ist. In Sie setzt man in diesem Zusammenhang große Erwartungen. Werden Sie diese Erwartungen erfüllen? - Oder ist die Latte für Sie und die Wiener ÖVP gefährlich hochgelegt?

BUSEK: Es muß uns gelingen, in der Hochburg der Sozialistischen Partei als Volkspartei stärker zu werden. Ein Mandat mehr ist bereits ein Sieg, weil wir damit zeigen, daß wir im Urbanen Bereich zunehmen. Diese Latte ist nicht nur meine, sondern die der gesamten Volkspartei.

FURCHE: Im vergangenen Jahr sind Sie mit dem Slogan„Das Wichtige zuerst“ in die Öffentlichkeit gegangen. Was ist wichtig für Wien, was weniger wichtig?

BUSEK: Wichtig für Wien ist das Funktionieren des städtischen Lebens. Damit meine ich: Sichere Verkehrseinrichtungen, Bewältigung des Verkehrschaos, ärztliche Versorgung in den neuen Siedlungsgebieten, freie Spitalsbetten für den Ernstfall, Stadterneuerung in den inneren Bezirken, Greißler, Schulen und Sportplätze in den Randbezirken und genügend innerstädtisches Grün.

Weniger wichtig sind Prunkbauten, eine teure Ausgestaltung der U-Bahn-Stationen, eine kostspielige Rathausinformation, Selbstbeweihräucherung der Politiker und eine Donauinsel statt des notwendigen Hochwasserschutzes.

FURCHE: Mit der Präsentation des Programmes „Pro Wien“ wollen Sie der Wiener ÖVP neuen reformatorischen Schwung verleihen. Was sind die Schwerpunkte in diesem Programm?

BUSEK: Vor allem, daß die Wiener ihre Stadt wieder in Besitz nehmen, sie nicht fliehen, sondern daß die Stadt mit den Wienern gestaltet wird. Das heißt, daß man die Wiener fragen soll, was sie wo wollen, und daß man sie einladen soll, mitzutun. Also mehr Selbstverwaltung.

Was wollen wir konkret? Auf dem Sektor Wohnen eine dringende und menschliche Erneuerung abgewohnter Viertel sowie eine lebenswerte Gestaltung der neuen Siedlungsgebiete. In der Gesundheit einen erreichbaren Hausarzt und Pflegspitäler für unsere Alten. Für Freizeit und Erholung mehr Grün und funktionierende Sportanlagen in den Bezirken. Beim Verkehr längere Straßenbahnen bis an den Rand der Stadt sowie ein Schnellbahnnetz mit Vorortelinie und Verbindungsbahn. Ein Garagenkonzept, damit wir die parkenden Autos wegbekommen.

FURCHE: Welches Wahlziel haben Sie vor Augen? Was wollen Sie bei den nächsten Landtagswahlen erreichen? Welches ist ihr langfristiges Ziel? Wird Wien wieder einmal - wie einst unter Lueger - nicht sozialistisch regiert werden?

BUSEK: Jede Partei muß immer die Mehrheit vor Augen haben und die Wiener Volkspartei muß lernen, langfristig zu denken. Für 1978 heißt das: Stärker werden mit Hilfe der Wiener, damit wir der SPÖ klarmachen können, daß der Rathausmann kein Sozialist ist. In einer Demokratie darf es keine ewigen Herrschaften geben, das wird auch die SPÖ zur Kenntnis nehmen müssen. Dieser Stadt ist es zu wünschen, daß sie einmal von anderen regiert wird.

FURCHE: In einem Symposium der Wiener ÖVP wurde bedauert, daß das heutige geistige und kulturelle Leben mit jenem vor ein paar Jahrzehnten nicht mehr vergleichbar ist. Was kann auf diesem Gebiet unternommen werden?

BUSEK: Wir brauchen mehr Offenheit, Auseinandersetzung und Experimentierfreude. Gegenwärtig führt die Stadt keine moderne Galerie, es gibt keine Ausstellung von europäischem Rang. Und die wesentlichsten Kulturinitiativen gehen - wenn überhaupt - vom Bund aus. Dabei gibt es viele Wiener, die gerade kulturell etwas leisten. Nur erfahren diese Wiener Förderung im Ausland oder in Graz, sonst wäre nicht die Hälfte der Mitglieder der Grazer Autorenversammlung Wiener. Wir brauchen dazu nicht nur Geld, in erster Linie brauchen wir Auseinandersetzung. Wien hat eine Chance, durch die UNO-City, sie muß nur genützt werden - und zwar indem wir uns mit der Arbeit dieser Organisation auch befassen.

FURCHE: Zwischen Wien und einzelnen Bundesländern gab es und gibt es traditionelle Spannungen. Ist eine größere Kluft zwischen den Ländern zu befurchten?

BUSEK: Wenn es Wien nicht gelingt, wirtschaftlich mit der europäischen Entwicklung Schritt zu halten und seinen Standortnachteil am Eisernen Vorhang auszugleichen, wird es wirklich die Unterscheidung zwischen Donau- und Alpenösterreichern geben, wie es Bruno Pittermann schon genannt hat. Die internationalen Verkehrsverbindungen und Wirtschaftsströme verlaufen im Westen Österreichs. Der Bund muß durch forschungsintensive Investitionen zur Herstellung intelligenter Produkte im Osten einen Ausgleich schaffen.

FURCHE: Ihre Partei hat immer wieder kritisiert, die regierende SPÖ stecke das ganze Geld in Neubauten und vernachlässige die Erhaltung und Wartung kommunaler Einrichtungen. Hat sich das seit dem Reichsbrückeneinsturz geändert?

BUSEK: Nein, wie die Serie von Stadtbahnunglücken, Gasgebrechen und anderen Defekten zeigt. Es ist eben schöner, sein Geld für Großprojekte auszugeben, als es unter die Erde zu stecken. Weil man Gasrohre und Sicherheitseinrichtungen nicht eröffnen kann.

FURCHE: In einem Demokratiepaket fordert Ihre Partei eine Dezentralisierung der Stadtverwaltung. Wie soll das geschehen? Glauben Sie, kann dadurch das Interesse der Wiener an der Bürgermitbestimmung gefördert werden?

BUSEK: Dezentralisierung und Selbstverwaltung sind notwendige Voraussetzungen für die Lebendigkeit einer Stadtdemokratie. Die beiden Bezirke über der Donau haben genauso viele Einwohner wie Vorarlberg, Favoriten ist mit 170.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt Österreichs. Daher brauchen wir selbständige Rechte für die gewählten Bezirksvertretungen sowie die Einrichtungen der direkten Demokratie, wie Volksbegehren, Volksbefragung und Volksabstimmung auf der Ebene der Bezirke, weil erst dadurch die Nähe zum Bürger gegeben ist. Der Wiener wird kaum ein großes Verkehrskonzept beurteilen können, da muß er auf Politiker und Experten vertrauen, aber er weiß, wohin eine Haltestelle oder ein Park gehört.

FURCHE: Man möchte meinen, daß das sozialistische Wien auch in finanziellen Fragen einen guten Zugang zur Bundesregierung hat. Sind die Dotierungen Wiens durch den Bund ausreichend?

BUSEK: Das Gegenteil ist der Fall. Die VP-Regierungen haben für Wien mehr getan als Kreisky. Der Zuschuß für die U-Bahn ist seit zehn Jahren mit 250 Millionen unverändert. Er müßte auf Grund des Budgetvolumens des Bundes heute bereits das Dreifache ausmachen. Die Reichsbrücke wird nur zur Hälfte vom Bund bezahlt, obwohl sie eine Bundesbrücke ist. Und die Floridsdorfer Brücke ist trotz meines Antrages im Nationalrat noch immer nicht vom Bund übernommen worden. Die Wiener SPÖ hat sicher ein Spannungsverhältnis zu Kreisky und seinem Team, sonst würde Gratz nicht wie in der 5-Tage-Woche für die Schule, in der Frage der Atomenergie oder des Terrorismus ganz etwas anderes sagen als seine Freunde im Bund.

FURCHE: Welche Art der Zusammenarbeit mit den anderen Parteien, insbesondere mit der SPÖ, werden Sie bis zu den Wahlen betreiben, welche danach? Eine mehr auf Konsens oder mehr auf Konfrontation bedachte?

BUSEK: Wir sind zur konstruktiven Arbeit bis zum Wahltag bereit, wenn die SPÖ das überhaupt will. Bisher wurden wir meistens vor vollendete Tatsachen gestellt. Konsens ist für uns immer dann möglich, wenn es das Gespräch und die Bereitschaft zum Kompromiß gibt. Das ist vor und nach der Wahl richtig.

Das Gespräch mit Dr. Erhard Busek führte Alfred Grinschgl.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung