"Erinnerungsspuren schaffen"

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Erhard Busek, Vizekanzler a. D., im Gespräch über den Sinn der Jubiläen, über den Wandel von Sozialpartnerschaft und Neutralität sowie Österreichs Verhältnis zur EU.

Die Furche: Was bedeutet für Sie das Jubiläumsjahr 2005?

Erhard Busek: Ich halte die Feiern nicht für so wichtig und bin auch ein bisschen skeptisch, denn ich habe schon einige ähnliche Anlässe erlebt - 50 Jahre Zweite Republik beispielsweise, oder das Millennium -, wo ich mitverantwortlich war. Der einzige Sinn ist, der jungen Generation in Erinnerung zu rufen, was damals passiert ist. In Gesprächen muss ich immer wieder feststellen, dass von den jüngeren Menschen niemand eine Ahnung hat von der Besatzungszeit, vom Wiedererstehen Österreichs, vom Staatsvertrag. Selbst der Fall des Eisernen Vorhangs ist kein Thema mehr, sondern eine Selbstverständlichkeit. Hier Erinnerungsspuren zu schaffen, ist die eigentliche Aufgabe, nicht das Feiern. Ich hoffe auch, dass es eine Gelegenheit ist, die Rolle Österreichs zu bestimmen. Zentral ist die Erinnerung daran, dass wir den Eisernen Vorhang und die Ost-West-Spaltung überwunden haben - und dass wir wieder dort sind, wo wir immer hingehört haben: in der Mitte Europas.

Die Furche: Kritiker befürchten die Inszenierung eines permanenten Erntedankfestes der Regierung, eine Indienstnahme der Historie für die eigenen strategischen Interessen ...

Busek: Es ist berechtigt, wenn eine Regierung auf ihre Leistungen hinweist und versucht, ihre eigenen Akzente zu setzen. Ich glaube, dass genug Demokratie in Österreich vorrätig ist, dass andere ihre Akzente setzen können. Natürlich ist es jedem unbenommen, Feiern der Regierung abzulehnen - aber es soll sich jede Partei und jede Institution überlegen, was sie zur Entwicklung des Landes beigetragen oder auch nicht beigetragen hat und was sie in Zukunft beitragen wird. Ich plädiere auch dafür, manche Beiträge der Kirche wieder zu vergegenwärtigen, etwa das Mariazeller Manifest mit dem Grundsatz von der freien Kirche in einem freien Staat - ein ganz wesentliches Fundament der Zweiten Republik.

Die Furche: Weil Sie gerade die Kirche erwähnt haben: Manche meinen, so etwas wie eine politisch gewollte Rekatholisierung des Landes zu erkennen ...

Busek: Wenn es sich wirklich um eine Rekatholisierung handelte, wäre ich froh. Das kann ich aber ganz und gar nicht feststellen. Der Fall Buttiglione hat gezeigt, dass hier sehr schnell eine ungute Diskussion entstehen kann, vor der man beide Seiten warnen muss. Es können die Anhänger des Säkularismus nicht verlangen, dass ihre Weisheiten die einzig gültigen sind, genauso wie man den christlichen Kirchen, aber auch den Muslimen nur empfehlen kann, sich nicht als Besitzer der allein herrschenden Lehre zu betrachten.

Die Furche: Wer über 60 Jahre Zweite Republik redet, kommt am Phänomen der Sozialpartnerschaft nicht vorbei. Nun hat es nach Ansicht vieler Beobachter in den letzten Jahren eine Entwicklung von der sozialpartnerschaftlich geprägten Konsensdemokratie hin zu mehr Konfliktdemokratie gegeben. Wie beurteilen Sie das?

Busek: Das war sicherlich notwendig. Wir haben den Kompromiss immer schon gewusst, bevor wir den Konflikt verstanden haben. Da sind Dinge verschmiert und so manche Diskussionen nicht ausgetragen worden. Dafür haben wir einen Preis bezahlt: finanziell, in Form von Budgetdefiziten - aber auch durch einen Mangel an Konfliktkultur. Dieses System ist letztlich durch die Individualisierung der Gesellschaft beendet worden. Das ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn gleichzeitig klar gemacht wird, dass der einzelne mehr Verantwortung hat - und dass zu dieser Verantwortung wesentlich der Weg vom Ich zum Du dazugehört, dass es auch gemeinschaftliche Aufgaben gibt, für die man sich zusammenfinden muss.

Die Furche: Das Jahr 1955 ist für viele Österreicher emotional ganz stark mit der Neutralität verbunden. Zuletzt hat auch die Kanzlerpartei wieder ihre Liebe zur Neutralität entdeckt...

Busek: Ich halte das für einen klugen strategischen Schachzug, denn solange Heinz Fischer im Amt ist, wird man hier nie eine Änderung der spö erreichen können. Die Wirklichkeit der Neutralität schaut natürlich längst anders aus, als sich einige träumen lassen. Wir sind militärisch in einem hohen Ausmaß international involviert - wir haben Truppen in Bosnien, im Kosovo -, und das ist gut so, weil es mit Verantwortung zu tun hat.

Die Furche: Sollte man nicht das Gedenkjahr dazu nutzen, auch hier der historischen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen?

Busek: Das hat die övp lange versucht - und wurde jedesmal von der Opposition und den Medien hingerichtet. Ich habe all die besorgten Leitartikel noch gut im Gedächtnis. Momentan ist hier keine Veränderung durchsetzbar - da kann man nur auf Zeit spielen.

Die Furche: Seit zehn Jahren ist Österreich Mitglied der eu. Sie haben im Lauf der Jahre wiederholt kritisiert, das Land sei in der Union mental noch nicht angekommen. Sehen Sie das noch immer so?

Busek: Es ist besser geworden. Man sieht das etwa auch daran, dass die Parteien, die gegen den Beitritt waren, heute andere Positionen vertreten: die Grünen sind zu glühenden Verfechtern der eu geworden, und die Freiheitlichen haben ganz selbstverständlich die Erweiterung geschluckt. Ähnliches gilt auch für die Gewerkschaften. Was ich mir noch mehr wünsche, ist eine Klärung unserer Position; die "Regionale Partnerschaft" ist leider zum Teil eine Überschrift geblieben.

Das Gespräch führte Rudolf Mitlöhner.

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