Katholisch, nicht fromm

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Er ist alles andere als ein Freund der in Österreich derzeit herrschenden Polit-Verhältnisse: peter huemer über die Europa-Stimmung im Land, die Aufarbeitung der Vergangenheit, über seine Kritik an der Regierung sowie die Diagnose, dass Österreich zwar ein "katholisches", aber keineswegs ein "frommes" Land ist.

Die Furche: Intellektuelle aus den Reformstaaten äußern sich meist sehr positiv zum EU-Beitritt ihrer Länder. Wie beurteilen Sie die Stimmung in Österreich?

Peter Huemer: Es ist auch für Österreich ein großer historischer Schritt. Das Land rückt wieder in die Mitte des Kontinents und wird ökonomisch enorm profitieren. Ich habe allerdings nicht den Eindruck, dass im Bewusstsein der Österreicher die EU-Erweiterung viel bewirkt hat. Es ist einzusehen, dass sie nicht annähernd dieselbe emotionale Erschütterung ausgelöst hat wie in den Beitritts-Staaten. Bei uns hat eine Mehrheit die Erweiterung mit wohlwollendem Desinteresse aufgenommen. Das ist dem historischen Ereignis nicht angemessen. Auf der anderen Seite zeigt diese Unaufgeregtheit auch, dass wenigstens die Befürchtungen, die speziell von der FPÖ geschürt worden sind, nicht gegriffen haben.

Die Furche: Die FPÖ ist eine Zeitlang sehr vollmundig gegen die Erweiterung aufgetreten, zuletzt aber kaum.

Huemer: Die FPÖ hat Österreich international großen Schaden zugefügt, auch mit ihren populistischen Aktionen, die aus Nachbarn Feinde machen sollten - wenn wir etwa an die schwere Belastung unserer Beziehungen zur Tschechischen Republik denken, diese völlig irrationale Aufheizung von Streitfragen. Damit hat Österreich nichts erreicht und nichts verhindert, aber die Atmosphäre wurde vergiftet. Und es hat dazu geführt, dass die österreichische Außenpolitik international nicht ernst genommen wird.

Die Furche: Es gibt aber in den Nachbarländern auch populistische Parteien mit ähnlichen Argumentationsmustern: Was ist so "besonders" am Schaden durch die FPÖ?

Huemer: Die historische Verpflichtung Österreichs ist größer, weil wir seit 1945, zunächst mit alliierter Hilfe, ein demokratisches System haben, während in etlichen dieser Länder fast das ganze 20. Jahrhundert hindurch autoritär regiert wurde oder Diktatur war. Das heißt, die Einübung in die Demokratie hat da erst später begonnen. Daher müssen wir damit rechnen, dass mit den neuen Staaten auch einige Probleme in die EU kommen werden: radikalpopulistische Bewegungen etwa, wie in Polen mit Lepper oder in Ungarn mit Orbán, oder Antisemitismus - in Ungarn geschehen da gerade schlimme Dinge, auch in der Kulturszene - denken Sie an den Streit unter den Schriftstellern.

Die Furche: Seit langem rühmt sich Österreich, Brückenkopf zwischen Ost und West zu sein. Stimmt diese Selbstsicht mit der Realität überein?

Huemer: Falsch ist das nicht, aber ich würde es nicht überschätzen. Österreich war Spionagezentrum für Ost und West - das ist zumindest eine Form von Brückenkopf. Außerdem haben, bevor der Eiserne Vorhang gefallen ist, die meisten Ostmitteleuropa-Korrespondenten internationaler Medien von Wien aus berichtet. Ökonomisch ist einiges über Wien gelaufen, politisch weniger. Eine aktive Politik, die den Kontakt zur Opposition in diesen Ländern gesucht hat, zu Personen, die dann nach 1989 in Entscheidungsfunktionen gekommen sind, wie etwa Havel in Prag - eine solche Politik hat in Österreich ein Politiker betrieben: Erhard Busek. Da ist von unserer Seite einiges versäumt worden, auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Karl Schwarzenberg wird Ihnen das bestätigen, und der kennt sich da aus.

Die Furche: In Ungarn sind wesentliche Intellektuelle in Antisemitismus verstrickt, in Österreich dagegen kann man kaum sagen, Intellektuelle würden den Antisemitismus befördern.

Huemer: In der intellektuellen Szene ist das tabuisiert und kein Problem. Aber Antisemitismus in Österreich gibt es. Es wäre auch ein Wunder, wenn eine 1.000 Jahre alte christliche, dann durch den Rassenantisemitismus zusätzlich aufgeheizte Tradition ganz verschwunden wäre. Gerade für den Antisemitismus von Hitler war Österreich, speziell Wien, der entscheidende Nährboden - und das war nach 1945 nicht einfach alles vorbei, ist es auch heute nicht. Aber neue EU-Staaten wie Ungarn oder Polen haben mit offenem Antisemitismus zur Zeit noch größere Probleme.

Die Furche: In den letzten 20 Jahren ist in Österreich in der Bewertung der jüngeren Vergangenheit aber einiges geschehen.

Huemer: Die Auseinandersetzung um Waldheim, in der es ja vor allem um den österreichischen Anteil am Nationalsozialismus gegangen ist, hat wesentlich dazu beigetragen, dass Jörg Haider und die FPÖ diesen vorübergehenden kometenhaften Aufstieg machen konnten, weil der Streit das Land gespalten hat. Dieser Streit war für Österreich aber sehr wichtig - er hat dem Land seine verschwiegene Geschichte zurückgegeben, dank einer Vielzahl historischer Untersuchungen, dank vieler Medienberichte. Daher herrscht über den Nationalsozialismus in Österreich und auch über den Umgang der Zweiten Republik damit heute einigermaßen Konsens. Wer bis jetzt nichts verstanden hat, versteht es nie.

Völlig anders verhält es sich mit der Vorgeschichte des Nationalsozialismus, und hier speziell mit den Jahren 1933/34 - der Zerstörung der Demokratie und dem Bürgerkrieg. Das alles kreist um die Person Dollfuß, die umstrittenste in der österreichischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. In dieser Frage gibt es überhaupt keinen Konsens. Die Positionen von Rot und Schwarz stehen einander seit Jahrzehnten unverändert gegenüber. Hier werden zwei völlig konträre Geschichten über dieselben Ereignisse erzählt.

Die Furche: Insgesamt dreieinhalb Jahrzehnte sind nach 1945 die alten Gegner der Zwischenkriegszeit miteinander in der Regierung gesessen. Seit vier Jahren versucht es die ÖVP nun mit den Freiheitlichen...

Huemer: ... was die ÖVP nachhaltig beschädigt hat. Wenn ich sehe, dass ein Nazi-Terminus wie "Umvolkung" von FPÖ-Regierungsseite gebilligt wird - und von der ÖVP kein Aufschrei kommt, dann merkt man, wie tief die Beschädigung geht. Ich frage mich auch, was bei dieser Partei an bürgerlichem Denken noch vorhanden ist - nehmen wir etwa den bürgerlichen Bildungsbegriff, der ursprünglich aus der Aufklärung und dem 19. Jahrhundert gespeist ist: Bei der Universitätsreform ist davon nichts zu merken. Sind sie neoliberal? Da bin ich auch unsicher. Ich frage mich, wieweit es bei den Privatisierungen nicht auch darum geht, eine bestimmte Klientel zu bedienen. Und was ist hier katholisch? Eine Familienpolitik, die dem Land aber nicht mehr Kinder bringt - was jeder Experte vorausgesagt hatte -, und das juristische Sekkieren von Homosexuellen. Unter "katholisch" verstehe ich etwas anderes.

Eines ist merkwürdig: Ich habe den Eindruck, die ÖVP ist seit ihrem großen Wahlsieg 2002 von einer Art Hochmut befallen - das muss theologisch gesagt werden: Hochmut! Wenn wir uns erinnern, wie diese umkämpfte Pensionsreform ausgerechnet mit dem Ankauf der teuersten Abfangjäger gekoppelt wurde, oder: die oberösterreichischen Landtagwahlen und exakt zu diesem Zeitpunkt die Voest-Privatisierung, oder: unmittelbar vor der Bundespräsidentenwahl dieser Wiener Kassenstreit, den die ÖVP losgetreten hat... Hochmut! Bei den Freiheitlichen hingegen vermute ich, dass das Problem, das wir mit ihnen und mit der Person Jörg Haider in den 90er Jahren gehabt haben, erledigt ist - sieht man von dieser Kärntner Skurrilität ab. Aber sonst sind sie wieder unter 10 Prozent.

Die Furche: Als diese Koalition ins Amt gekommen ist, gab es einen Aufschrei - oder auch: ein Geschrei - dagegen, gerade von Intellektuellen. Heute ist davon nichts mehr übrig. Was ist da passiert?

Huemer: Ermüdung. Der Aufschrei 2000 war berechtigt. Die Hereinnahme dieser FPÖ in die Regierung war ein unerträglicher Tabu-Bruch, daher war es richtig, dagegen so vehement zu protestieren - und ich meine, dass dieser Protest nicht ohne Wirkung auf die Regierung geblieben ist. Als sich dasselbe zwei Jahre später - nachdem sie schon einmal gescheitert waren - wiederholt hat, hat es nur mehr Kopfschütteln gegeben und resignatives Achselzucken.

Die Furche: Aber von groß sichtbaren Folgen kann doch keine Rede sein!

Huemer: Sind Sie sicher? Der Protest hat Positionen festgelegt. Es ist dieser Regierung, sieht man von Ausnahmen ab, bis heute nicht gelungen, die Kunst- und Kulturszene auf ihre Seite zu ziehen. Da gibt es eine Spaltung im Land. Das hängt auch mit den vehementen Protesten des Anfangs zusammen.

Die Furche: Es gibt die Kunst- und Kulturszene, und es gibt die Politik dieser Regierung. Beide können offenbar doch irgendwie koexistieren.

Huemer: Es ist ein Nebeneinander. Gelegentlich kommt es zum offenen Konflikt wie beim Filmfestival "Diagonale". Aber insgesamt gilt nach wie vor, dass unser Kulturleben sehr vielfältig ist. Österreich ist tatsächlich ein Kunst- und Kulturland. Wien etwa hat eine enorm lebendige Szene - wenn man sich anschaut, was da jeden Abend an Wissenschaft, Kunst, Kultur einem interessierten Publikum geboten wird. Und das nicht nur in Wien, auch in anderen Städten des Landes.

Die Furche: Der Katholizismus spielte in Österreich - historisch - eine markante Rolle. Und heute?

Huemer: In der Flüchtlingsfrage, auch in anderen Sozialbereichen, erlebe ich zuallererst das Engagement von Christen. Von der Sozialdemokratie kommt wenig, ein bisschen was von den Grünen. Die Hilfsstrukturen für Benachteiligte wären ohne die christlichen Kirchen in Österreich nicht mehr aufrechtzuerhalten. Das ist ein enormes Verdienst der katholischen wie der evangelischen Kirche. Im Übrigen halte ich Österreich nach wie vor für ein katholisches Land - in seinen Ritualen, seiner Mentalität. Ein katholisches Land, aber kein frommes Land.

Die Furche: Was meinen Sie da?

Huemer: Der Katholizismus hat als Herrschaftsstruktur in der Gegenreformation gesiegt - bis heute. Aber Frömmigkeit - das, was im Herzen tief drinnen sitzt und ein liebevolles Miteinander schafft, das ist doch eher eine Minderheit, zum Beispiel die, die im Sozialbereich Großartiges leisten. Insgesamt ist dieser herrschende Katholizismus Fassade und nicht Inhalt.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Peter Huemer, Jg. 1941, Journalist und Historiker, zählt zu den prononcierten Intellektuellen und unbequemen Denkern in Österreich. Der gebürtige Linzer kam nach dem Studium der Germanistik und (Kunst-)Geschichte zum ORF, wo er 1974-76 bei Claus Gatterers TV-Magazin "teleobjektiv" mitarbeitete. 1977-87 leitete er den "Club 2", die "Mutter" des Polit-Talks im deutschsprachigen Fernsehen. Danach wechselte er zu Ö1, wo er - bis zu seiner Pensionierung 2002 - das Genre Hörfunkinterview zum radiophonen Kleinod entwickelte. 2003 wurde Huemer für sein TV-Lebenswerk mit dem Axel-Corti-Preis der Volksbildung ausgezeichnet. Huemer hat auch mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt das medienkritische "Warum das Fernsehen dümmer ist als das Radio. Reden über das Reden in den Medien" (Picus-Verlag, Wien 2003, vgl. furche 47/2003).

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