Lendvai - © APA/Hans Punz

„Orbán ist sehr erfolgreich für sich selbst“

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Paul Lendvai wird 90. Ein politisches Geburtstagsinterview über Orbáns „geschickt kaschiertes autoritäres System“, die Scheinheiligkeit der Mächtigen und „Polit-Clowns“ wie Boris Johnson und Donald Trump.

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Paul Lendvai wird 90. Ein politisches Geburtstagsinterview über Orbáns „geschickt kaschiertes autoritäres System“, die Scheinheiligkeit der Mächtigen und „Polit-Clowns“ wie Boris Johnson und Donald Trump.

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Pünktlich zu seinem 90. Geburtstag erscheint Paul Lend­vais 18. Buch. Im Interview spricht er über die Tendenz zum „starken Mann“ in den ehemals kommunistischen Ländern, den Status der liberalen Demokratie und den beigemischten „Löffel Rassismus“.

DIE FURCHE: Herr Lendvai, Sie sind ein prononcierter Kritiker der Orbán-Regierung. Wie beurteilen Sie deren Entwicklung in den vergangenen Monaten?
Paul Lendvai: Die Regierung Orbán ist sehr erfolgreich für sich selbst. Für eine relativ kleine Gruppe an der Spitze des Staates also. Eng verbundene Politiker, Oligarchen und von ihnen begünstigte Neureiche, die Transferzahlungen aus Brüssel – vorsichtig formuliert – für sich selbst verwenden. Seit neun Jahren findet in Ungarn eine in der Geschichte beispiellose Bereicherung statt. In den letzten Monaten verstärkte sich dazu noch die Kontrolle der Justiz und die totale Kontrolle über die Medien: 90 Prozent der Ungarn werden von direkt oder indirekt regimetreuen Medien und Internetportalen informiert. Es ist ein geschickt kaschiertes autoritäres System. Die Opposition ist zudem noch immer gespalten und Orbáns Partei Fidesz ist es gelungen, die extreme Rechte zu inhalieren. Die einst rechtsextreme Partei
Jobbik ist auch durch geschicktes Agieren der Fidesz-Funktionäre zerfallen. Die Sozialisten sind völlig korrupt und abgewirtschaftet. Die Jugendgruppe Momentum wird stärker, aber nicht mehrheitsfähig. Die Regierung kann ihre Macht also völlig ungestört genießen, Orbáns Einmann-Herrschaft ist heute durch nichts bedroht.

DIE FURCHE: Die Regierung Orbán schränkt die Versammlungs- und Forschungsfreiheit ein, setzt Regierungsgegner unter Druck, die Pressefreiheit ist de facto nicht mehr existent. Dazu herrscht ein nepotistisches System, bis hin zu offener Korruption. Trotzdem schlägt Orbán auch von moderat-konservativer Seite Sympathie entgegen – schließlich halte er mit seiner Politik ja muslimische Einwanderer von Europa ab. Empört über dieses schwache Bekenntnis zu demokratischen Grundwerten?
Lendvai: Das mit der Einwanderung ist völlig falsch und gleichzeitig eine sehr geschickte Operation Orbáns: In Wirklichkeit hat er selbst eine Schlüsselrolle dabei gespielt, dass diese dramatischen Ereignisse im September 2015 stattgefunden haben. Man kann in zahlreichen Büchern nachlesen, wie er sehr geschickt Angela Merkel und Werner Faymann unter Druck gesetzt hat. Aber zu Ihrer Frage: Ich bin nicht mehr empört. Das ist leider so, wenn man lange lebt und viel erlebt hat. Wenn zum Beispiel ein Gerhard Schröder sagt, dass Putins Regime eine lupenreine Demokratie ist, wenn Spitzenpolitiker bereit sind, gewinnträchtige Positionen, etwa in Aufsichtsräten russischer staatsnaher Unternehmen, einzunehmen, dann muss ich sagen: Dass sie schweigen oder nur merkwürdige leise Kritik üben, kann mich nicht mehr empören. Das ist die leider allzu bekannte Scheinheiligkeit, die Doppelbödigkeit, der langsame, aber scheinbar unaufhaltsame Verrat an jenen Werten, die ja die Grundlage der Europäischen Union bilden sollten.

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