"Geld und Medien gestalten Politik!“

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Portisch-Interview, Teil 2

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Portisch-Interview, Teil 2

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Im zweiten Teil seines großen FURCHE-Interviews zum 85. Geburtstag spricht Hugo Portisch von seinen Sorgen über den Weg des Journalismus − und über die Korrumpierung der Politik Das Gespräch führte Heinz Nußbaumer

Geballte Lebenserfahrung - und klare Worte: Hugo Portisch über Verluste an Weltoffenheit und "erschreckende Abhängigkeiten“ unter Politikern.

DIE FURCHE: Reden wir über den Journalismus. Er war in "deiner Zeit“ für Weltreisende technisch mühsam: Kein Internet, oft kein Telefon. Und doch war es auch eine gute Zeit: Größer als heute war damals die Weltoffenheit und das Interesse für Zusammenhänge und Hintergründe. Wenn du im Fernsehen die Welt erklärt hast, hat ganz Österreich zugehört. Was aber wissen wir heute wirklich - über Afrika, China, Russland und all die Länder, von denen du damals berichtet hast?

Portisch: Kein Zweifel, da hat sich vieles verändert. Das liegt vor allem an der Fülle und am Aktualitätsdruck der Informationsangebote heute. Es scheint, als wüssten wir jetzt alles. Aber zu oft bleiben uns die wirklichen Vorgänge und ihre Hintergründe durch die Kürze der Nachricht und durch die notwendige Schnelligkeit verborgen. Dazu kommt der Konkurrenzdruck und der Zwang, nur ja nicht "fad“ zu sein. Und dann auch der Quotendruck.

Man stelle sich vor: Damals hat mir ORF-Generalintendant Gerd Bacher auf die Frage, wie lange meine TV-Kommentare sein dürfen, wörtlich gesagt: "So lange du brauchst.“ Das konnte bis zu acht Minuten sein! Heute würde da jeder Kopfstehen. Am Ende meiner Kommentator-Tätigkeit waren es noch immer drei Minuten - kolossal mehr, als heute zur Verfügung stehen. Also erfahren die Bürger heute weniger - und auch das meist in kleinen Scheibchen. "Soundbites“, Wortbissen, heißt das. Ganze Kontinente entschwinden so unserer Aufmerksamkeit - und das im Zeichen der "Globalisierung“. Daran sind nicht unsere Kollegen schuld, sondern die massiv veränderten Bedingungen.

DIE FURCHE: Und jenseits der Außenpolitik - ist der Journalismus generell ein anderer geworden?

Portisch: Offensichtlich ja. Vieles hat sich verändert. Zum Beispiel: Auch für uns war das Aufzeigen von Fehlern, von Versagen und Vergehen ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Aber es war kein Hauptzweck. Heute geht dieses "Aufdecken“ bis hin zur Menschenjagd - nicht nur bei uns, sondern weltweit. Und zu oft sind Häme, Feme und der populistische Appell an die Neidkomplexe beherrschend. Das gilt natürlich nicht für alle Medien, aber alle spüren diesen Trend.

DIE FURCHE: Reden wir über die Zeitgeschichte. Unter Historikern ist eben eine Diskussion neu aufgebrochen: Soll die Aufarbeitung unserer Zeitgeschichte versuchen, zu einem gemeinsamen Geschichtsbild zu finden, das die Fronten von einst überwindet? Da geht es auch um dein Lebenswerk, "Österreich I“ und "Österreich II“ - und um deinen Versuch, über alle Brüche der Geschichte hinweg eine gemeinsame nationale Identität zu schaffen …

Portisch: Kaum irgendwo sonst in Europa war das so wichtig, wie bei uns, diese österreichische Identität freizulegen. Hier haben sogar Spitzenpolitiker lange Zeit gesagt, eine "österreichische Identität“ gäbe es nicht. Es war daher an der Zeit, unsere ganz eigene Geschichte zu begreifen, die Handlungsweisen erklärbar machen und schnelle Urteile zu hinterfragen. Ein Beispiel: Es konnte doch nicht sein, dass alle, die 1938 gejubelt haben, nur Dummköpfe, Wahnsinnige oder Verbrecher waren. Da waren viele Jahre der Verzweiflung und dann die bösen Kräfte der Verführung und Verhetzung am Werk. Dies offenzulegen und die Folgen aufzuzeigen war längst überfällig.

Das aber ist es, was manche Historiker übel nehmen: Diesen Versuch, Menschen zu verstehen. Das soll ja nichts entschuldigen, im Gegenteil. Aber es soll den Jungen von heute zeigen, wie schnell Menschen verführbar sind; wie schnell Ängste die Zivilcourage vergessen lassen.

DIE FURCHE: Muss Zeitgeschichte immer wieder überdacht und umgeschrieben werden?

Portisch: Ja, doch. Neue Dokumente tauchen auf; neue Biografien schaffen neue Einsichten usw. usw. Als mich der ORF 2005 gebeten hat, 60 Jahre nach Kriegsende und 50 Jahre nach dem Staatsvertrag noch eine neue Dokumentation zu machen, wäre es mir lieber gewesen, unsere beiden großen Geschichtsserien "Ö I“ und "Ö II“ auf den neuesten Stand der Geschichtsforschung zu bringen. Aber das wären 31 Folgen gewesen. Stattdessen gab es fünf neue Folgen und ich nannte diese "Die Zweite Republik - eine unglaubliche Geschichte“. Das war schon eine gewisse Neueinschätzung. Aber es wäre noch heute lohnenswert, die großen Serien zu aktualisieren, denn die Möglichkeiten, die uns damals geboten wurden, weltweit Archive zu durchforschen und Zeitzeugen zu finden, kommen nicht wieder!

DIE FURCHE: Reden wir über Politik: Als du kürzlich vor laufender Kamera gefragt wurdest, ob es heute noch Persönlichkeiten wie Raab und Figl gibt, hast du gelacht - und bist vielsagend aus dem Bild verschwunden. Warum tut sich unsere Zeit so schwer, starke Persönlichkeiten an die Spitze zu bringen?

Portisch (lachend): Das würde ich auch gerne wissen. Im Ernst: Damals war ein gewisser Heroismus gefordert. Wendejahre schaffen und fördern Politiker mit Profil: Churchill, Kennedy oder Mandela usw. Da braucht es Menschen, die imstande sind, gestaltend zu wirken - weil auch etwas zu gestalten ist. Heute wird Politik in hohem Maß von Wirtschaft, Geld und Medien gestaltet.

Ich verfolge diese Entwicklung mit Sorge: Selbst in "Muster-Demokratien“ ist eine Korruption zugewachsen, in der Geld, Zugang zu Medien und undurchsichtige Netzwerke eine große Rolle spielen. Da können politisch Verantwortliche in erschreckende Abhängigkeiten geraten. Das gilt nicht nur für die US-Politik, sondern ist auch in Europa spürbar. Ein schrankenloser Kapitalismus hat Politik, Medien und das tägliche Leben erfasst.

Das fördert Politikverdrossenheit und Zweifel an unseren demokratischen Institutionen. Bürger sind der Politik gegenüber heute viel argwöhnischer - zu Recht oder Unrecht. Auf Beweise wird dann zu oft gar nicht mehr gewartet.

Dazu kommt die Schattenseite der Entideologisierung: Früher hat ein Politiker entlang seiner Wertebasis gehandelt - sozialdemokratisch, christlichsozial, liberal ... Heute muss er allen alles sein. Wendigkeit und Hinhören auf "Spin-Doktoren“ sind gefragt. Da wachsen kaum noch Vorbild-Persönlichkeiten; da entsteht auch zu viel Abhängigkeit von Umfragen und vom Mainstream.

DIE FURCHE: Jahrzehntelang haben wir Österreicher genau gewusst, wer wir sind: "Wachturm der Freiheit am Eisernen Vorhang“, "Brücke zwischen Ost und West“, "Sicherer Hafen für Flüchtlinge aus dem Osten“ usw. Wie aber lässt sich die Identität Österreichs heute auf den Punkt bringen? Wo sind wir noch unverwechselbar?

Portisch (lachend): Das ist doch klar: "Mir san mir.“ Und "Alles Walzer“. Und "Cordoba - Sieg über Deutschland“. Was zeigt: Als eine "verspätete Nation“ haben wir ja in Sachen Patriotismus mächtig aufgeholt und glauben oft, besser zu sein als die anderen. Das hat helle, aber auch dunkle Seiten: Es behindert Solidarität und Weltoffenheit. Und es stärkt Verlustängste: Zuwanderer und Sozialschmarotzer könnten unser kleines Paradies gefährden.

Nur: Dieses "Ruhen in uns selbst“ ist keine sinnvolle Perspektive. Wir brauchen den Austausch und das ständige "Messen an der Welt“.

Ich hatte sehr gehofft, wir könnten uns im größeren Europa als "Andockplattform“ verstehen für die frei gewordenen Länder in Osteuropa. Wir hätten so viele Erfahrungen anzubieten, alles, was wir auch hart zu lernen hatten nach dem Krieg bis heute. Beim Aufbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, bei Sozialpartnerschaft und selbst beim Privatisieren der verstaatlichten Industrien, usw. Es hat mich enttäuscht, dass wir das alles nicht versucht haben. Ich glaube, es wäre heute noch gefragt.

Sicher ist: Wer klein ist, muss ein großes Herz und einen weiten Blick haben!

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