"die Phrasen Kommen Wieder"

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Nach dem Krieg konnte Helga Feldner-Busztin studieren. Sie wurde Ärztin und arbeitete bis zu ihrer Pensionierung 1989 als Internistin. Sie war mit ihrer Mutter im KZ Theresienstadt -ihre unmittelbare Familie überlebte die Schoa. Heute geht Feldner-Busztin in die Schulen und erzählt über ihr (Über-)Leben. Die FURCHE traf die 89-Jährige in ihrem Haus in Döbling.

DIE FURCHE: Sie gehen als Zeitzeugin in Schulen: Was erleben Sie da?

Helga Feldner-Busztin: Ich erlebe da die verschiedensten Sachen. Die Größeren sind sehr aufmerksam. Die Kleineren spielen da halt manchmal mit dem Handy: diese Generation hat kaum eine Ahnung, was passiert ist. Sie können sich das auch nicht vorstellen. Wenn sie es lesen, ist es ja nicht wie bei einem Computerspiel, wo etwas Grausames passiert und dauernd Mörder da sind. Es ist aber etwas anderes, wenn jemand, der dabei war und das in der eigenen Familie erlebt hat, erzählt. Nachdem ja jetzt schon wieder solche völkischen und nationalistischen Strömungen präsent sind, ist es besonders wichtig, dass man die Kinder darauf hinweist.

DIE FURCHE: Haben Sie das Gefühl, dass die jungen Leute das verstehen?

Feldner-Busztin: Nachdem ich das schon so lange mache, weiß ich schon, was verstanden wird und richte meine Sprache danach. In einer Neuen Mittelschule drücke ich das anders aus als vor Geschichtsstudenten. DIE FURCHE: Zeitzeuginnen wie Sie gibt es ...

Feldner-Busztin: ... immer weniger, viele sind schon gestorben. Es gibt auch Videos von mir, die in den Schulen gezeigt werden. Aber es ist doch etwas anderes, wenn man direkt redet. Was einen die Kinder fragen, führt oft zu interessanten Diskussionen. DIE FURCHE: Zum Beispiel?

Feldner-Busztin: Sie fragen mich, wieso ich nach Österreich zurückgekommen bin, und wie ich über Österreich denke. Viele fragen mich, ob ich gläubig bin, und wie ich mich nach dem Krieg zurechtgefunden habe. Das alles sind sehr brauchbare Fragen.

DIE FURCHE: Wie stark prägt Sie das, was Sie zwischen 1938 und 1945 erlebt haben?

Feldner-Busztin: Sehr stark. Ich versuche, das auch den Kindern beizubringen. Ich wurde ja von einem Tag auf den anderen - ich war damals neun Jahre alt -der Schule verwiesen. Man vergisst nie, wie plötzlich der Direktor hereinkommt und zu den zwei jüdischen Kindern sagt: "Die Pollak und die Kammermann kommen jetzt heraus - ihr müsst sofort die Schule verlassen. Wir können keine Juden hier dulden." Ich habe zwar gewusst, dass der Hitler gekommen ist und meine Eltern sehr aufgeregt waren. Aber ich habe nicht gedacht, dass ich die Schule verlassen muss. Das hat mich schon bis heute geprägt. Es ist so kleinweis immer ärger geworden. Aber es hat in einem Kind schon den Gedanken erweckt, etwas Minderwertiges zu sein: Du gehörst nicht mehr dazu! Das einzig Gute an Theresienstadt war, dass ich dort "dazugehört" habe. Prägend war auch, wie ich nach Wien zurückgekommen bin. Wir waren ja schon vorher keine Krösusse, haben im Gemeindebau bescheiden gelebt.

Aber 1945 hatten wir keinen Groschen, waren von Wohltätigkeiten abhängig. Und der Empfang in Österreich war kein besonderer. DIE FURCHE: War es für Ihre Familie eine Frage, nach Österreich zurückzukommen?

Feldner-Busztin: Wo hätten wir hingehen sollen? Niemand wollte uns. In Österreich war die Frau meines christlichen Großvaters sehr anständig; sie war sehr katholisch, der ist das alles sehr gegen den Strich gegangen: Die hat sich um uns gekümmert. Zuerst sind wir zu ihr gezogen. Dann hat uns das Wohnungsamt eine Wohnung zugewiesen, eine arisierte, da war aber noch der Nazi drinnen. Sie können sich vorstellen, dass das kein trauliches Zusammensein war.

DIE FURCHE: Was haben Sie von Pogromen des 9. November 1938 mitbekommen?

Feldner-Busztin: Ich war ja damals eben erst neun Jahre alt. Heute (am 19. Oktober, Anm.) ist übrigens ein Jahrestag: Heute vor 80 Jahren haben sie meinen Vater abgeholt. Der war am 10. November also schon längst weg. Die uns da abholen wollten, haben etwas anderes vorgefunden, als sie erwartet haben: Eine ganz deutsch aussehende Dame -meine Mutter -mit zwei kleinen Kindern. Sie haben dann nur nach dem Vater gefragt, und meine Mutter hat ihnen gesagt: "Der sitzt schon." So sind sie wieder abgezogen. Sie haben bei uns nicht so geplündert wie im zweiten Bezirk, wo die Synagogen gebrannt haben und die Menschen geschlagen wurden. Davon habe ich nichts direkt mitgekriegt. DIE FURCHE: Ihre Familie war ab da getrennt.

Feldner-Busztin: Mein Vater war in Buchenwald, dann in Italien in einem Camp und zum Schluss acht Monate in Auschwitz,

DIE FURCHE: er hat unter allem Schlimmen das Schlimmste

Feldner-Busztin: erlebt und war ein Wrack. Er wurde im Jänner 1945 befreit, er hatte damals Flecktyphus und eine ganz lange Gedächtnislücke: Er wusste, dass sie zum Erschießen aufgestellt waren, und da sind die sowjetischen Panzer gekommen. Dann wusste er nichts mehr, bis er im März, April in Krakau aufgewacht ist. Sie haben ihn nach Wien gebracht, und da er Polizeiarzt war, haben sie ihn bei der Polizei erfreut genommen, weil er sicher kein Nazi war. Mein Vater hat schon im Mai gehört, dass wir noch leben, während wir erst im Juni nach Hause fahren konnten. Wir hatten von ihm bis dahin keine Nachricht. Im Juni haben wir einen Brief von ihm gekriegt, erst ab da hat sich unsere Perspektive geändert.

DIE FURCHE: Wie ist es Ihnen gelungen, sich zu integrieren, wieder Österreicherin zu sein?

Feldner-Busztin: Ich war ja nie etwas anderes. Als ich nach Wien gekommen bin, habe ich meinen Vater gesehen, der vollkommen anders ausgeschaut hat. Er war äußerst nervös, hat sich aber immer zusammengenommen, in der Früh picobello rasiert, ist ins Amt gegangen. Aber nach Hause gekommen, ist er in sich hineingefallen. Er ist jede Nacht aufgeschreckt und hat "Appell! Appell!" geschrien. Das war der Sommer 1945, Wien war zerstört. Wir haben nicht so gehungert durch die Care-Pakete, und unser Gewand, das es ja auch nicht gegeben hat, haben wir ebenfalls aus Amerika bekommen. DIE FURCHE: Sie haben dann maturiert.

Feldner-Busztin: Ich habe meine Freunde, die früher mit mir in der Schule waren, getroffen, und wir sind in die Lange Gasse in die Mädchenschule gegangen; die Direktorin hat gesagt: Ihr müsst in die dritte Klasse gehen. Aber das ist für uns nicht in Frage gekommen: Wir haben gesagt, sie soll uns eine Chance geben - und so sind wir in die sechste und die siebente Klasse gegangen. Da waren Anpassungsschwierigkeiten, meine Freundin und ich haben Davidsterne um den Hals getragen und wurden angestaunt: Wo kommen die denn her? Im Lauf des Schuljahrs haben wir uns eingewöhnt. Aber wir waren voller Hass. Aber das hat sich dann gelegt. DIE FURCHE: Wie ist Ihnen das gelungen?

Feldner-Busztin: Die anderen in der Klasse waren ja auch erst 16, ausgebombt, der Vater gefallen, der Bruder verwundet, vermisst, da haben wir gesehen: Das war auch kein Honiglecken, wenn auch nicht zu vergleichen mit unserem Schicksal. Aber im Endeffekt ist es auch ihnen schlecht gegangen, sie haben nichts zu essen gehabt. Man hat sich dann halt arrangiert. Nach der siebenten Klasse in der Mädchenschule sind wir dann in einen Maturakurs gegangen: Auch das war seltsam, da waren sowohl Schwerverletzte dabei als auch Widerstandskämpfer.

DIE FURCHE: Wie ist es Ihnen gelungen, die Schule zu beenden und zu studieren?

Feldner-Busztin: Es ist etwas anderes, wenn jemand mit Familie zurückgekommen ist. Meine Mutter war großartig im Krieg, die hätte gar nicht fahren müssen, aber sie ist mit mir nach Theresienstadt mitgekommen. Aber diese jungen Leute, die um nichts dümmer waren als ich, die aus Auschwitz oder Theresienstadt gekommen sind, von denen hat kaum jemand studiert. In meinem Bekanntenkreis haben nur die studiert, die zumindest einen Elternteil gehabt haben.

DIE FURCHE: Ab welchem Zeitpunkt haben Sie gesagt: Jetzt bin ich hier doch zu Hause?

Feldner-Busztin: Das sag ich bis heute nicht. DIE FURCHE: Das heißt?

Feldner-Busztin: Jede Art von Patriotismus ist mir fern. Wien ist eine angenehme Stadt. Aber ich habe nicht den leisesten österreichischen Patriotismus. Ich bin eine Europäerin, das ist keine Frage.

DIE FURCHE: Es gab aber immer wieder Zeiten, wo es hieß, Überlebende der Schoa oder jüdische Österreicherinnen sitzen auf Koffern, weil sie Angst haben, wieder weg zu müssen.

Feldner-Busztin: Meine Enkelin Anna Goldenberg hat ein Buch über den Retter meines Mannes geschrieben, der ja versteckt war (Buchtipp oben). Wie wir Anfang der 1960er in dieses Haus in Döbling gezogen sind, hat mein Mann begonnen, Verstecke zu errichten. Erst als er 1996 gestorben ist und wir aufgeräumt haben, haben wir gesehen, dass er überall Depots angelegt hat: Dieses "Auf Koffern Leben" war schon sehr verbreitet. Momentan ist der Antisemitismus hier ja nicht so ausgeprägt. Genauso widerlich ist aber, dass nun die Muslime Ziel derer sind, die sagen: Wir sind etwas Besseres.

DIE FURCHE: Sie sehen da eine Parallele zum Antisemitismus Ihrer Jugend?

Feldner-Busztin: Eine Parallele ja, auch wenn jetzt eine andere Zeit ist als die 1930er Jahre, wo ja wirklich eine riesige Not war. Ich bin im Gemeindebau aufgewachsen und habe gesehen: Die Kinder hatten keine Schuhe und nicht genug zu essen, der Vater hat gesoffen, die Mutter ist waschen gegangen ... Das waren Voraussetzungen, dass Leute, die tief unten waren, dann die Herrschaften wurden: Nur weil sie hier geboren wurden und keine jüdischen Großeltern hatten, waren sie plötzlich die Supermenschen. Am Anfang ist es ihnen ja wirklich besser gegangen. Es war zwar das den Juden weggenommene Kapital - aber das haben sie ja nicht gespürt. Und die Idee, dass alles zusammen gemacht wird - "Kraft durch Freude!", jeder hat einen Volksempfänger gekriegt, es wurden Straßen gebaut: Das war für den Einzelnen vielleicht schon erhebend. Bei dem, was den Juden geschehen ist, haben sie weggeschaut.

DIE FURCHE: Wenn Sie auf das heutige Österreich schauen, was fällt Ihnen da auf?

Feldner-Busztin: Die Phrasen kommen wieder, dasselbe "Völkische". Ich meine, was ist schon Österreich? Ich will nicht bestreiten: Es ist ein angenehmes Land, in dem man lebt, aber es ist in Europa nicht soviel anders als Deutschland, wo sie das Geschehene doch viel intensiver verarbeitet haben.

DIE FURCHE: Wie besorgt macht es Sie, dass jetzt eine Partei mit an der Regierung ist, wo fast täglich Grenzüberschreitungen in Richtung der Zeit, über die wir reden, da sind?

Feldner-Busztin: Es macht mich besorgt, auch wenn ich nicht glaube, dass wir die Koffer schon packen müssen. DIE FURCHE: Was wünschen Sie Österreich?

Feldner-Busztin: Echte Demokratie. Keinen starken Mann! Nur keinen starken Mann!

DIE FURCHE: Österreich ist keine echte Demokratie?

Feldner-Busztin: Es wird derzeit an den Wurzeln der Demokratie stark gegraben. Wenn Sie sich unser Laien-Kabinett anschauen, dann wird einem ganz schwach. Ich hoffe auf eine ordentliche Regierung! DIE FURCHE: Die muss aber gewählt werden!

Feldner-Busztin: Und eben deswegen gehe ich in die Schulen und versuche speziell die Über-16-Jährigen anzusprechen.

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