"Dankbar, dass ich spielen konnte"

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Die aus Wien stammende jüdische Pianistin Edith Kraus war im KZ Theresienstadt inhaftiert. Diese Woche besucht sie erstmals wieder ihre Geburtsstadt (siehe unten links). Im Gespräch schildert sie ihre Erinnerungen an das Leben im KZ, an die musikalischen Aktivitäten der Theresienstädter Komponisten und spricht über ihre Rolle als Zeitzeugin.

Die Furche: Welche Erinnerungen haben Sie noch an Ihre Geburtsstadt?

Edith Kraus: Ich hab' damals große Sehnsucht nach Wien gehabt, wie wir von hier weg sind. Ich hatte ein Album mit Bildern von Wien, das ich sehr geliebt und immer wieder angeschaut habe. Mit meinen Freundinnen spielte ich jeden Tag im Wertheimsteinpark. Ich habe Wien damals sehr geliebt.

Die Furche: Lange Zeit wollten Sie nicht nach Deutschland oder Österreich zurückkommen...

Kraus: Nein, prinzipiell nicht. Inzwischen hat sich vieles geändert. Erstens bin ich uralt geworden, über 90. Und die Täter, die Mörder, sind meistens schon tot. Außerdem habe ich viele Freunde in Deutschland. In diesem Kreis fühle ich mich sehr wohl. Das sind keine Antisemiten, obwohl es keine Juden sind. Als ich erstmals wieder nach Deutschland gefahren bin, habe ich mich wohl gefühlt und bin keinen Nazis begegnet.

Die Furche: Warum haben Sie in der NS-Zeit nicht rechtzeitig die Flucht ergriffen?

Kraus: Leute, die Geld im Ausland hatten, konnten leicht fliehen. Aber mein Mann hatte nicht nur für uns beide zu sorgen, sondern auch für seine Mutter und seine Schwester. Eine Flucht zu viert war natürlich schwieriger. Mein Mann war Bergbauingenieur, da findet man nicht so leicht eine Arbeit. Ich hatte auch Angst, dass ich nicht genügend verdienen könnte für die ganze Familie. Wir haben so lange überlegt, bis es zu spät war. Juni '42 hat man uns nach Theresienstadt deportiert. Meine Schwiegermutter und Schwägerin kamen bald nach, auch mein Vater und meine Schwester, die leider alle nicht überlebt haben. Ich bin die einzige in der Familie, die erhalten geblieben ist.

Die Furche: Wie hat sich das musikalische Leben in Theresienstadt entwickelt?

Kraus: Zuerst war es ja verboten. Später haben die Nazis gefunden, dass es eine gute Propaganda für sie wäre, wenn man in der Welt weiß, dass es uns dort so gut geht und wir Musik machen können. Also haben sie es erlaubt. Angefangen hat es sehr bald nach meiner Ankunft: ich bin im Juni angekommen, und im September habe ich mein erstes Konzert gegeben. Ein anständiges Klavier war nicht da, nur ein alter Scherben auf dem Dachboden der Schule. Später kamen dann viele Klaviere aus jüdischen Wohnungen, die man nach Theresienstadt gebracht hat. Mein erstes Konzert habe ich gegeben, ohne überhaupt Noten zu haben. Mitgenommen hatte ich das "Wohltemperierte Klavier" von Bach. Aber das hatte ich im Koffer, und die Koffer haben wir nie wieder gesehen. Die hat man gleich weggenommen. Geblieben ist uns nur die Bettrolle. Aber es gab so viele Flöhe, die sind in die Bettrolle hinein und nie wieder heraus. Es war kein angenehmer Aufenthalt. Aber ich darf nicht klagen. Mir persönlich ist nichts passiert. Ich hab' ein bisschen besser gewohnt als die anderen, durch mein Klavierspielen. Dadurch, dass ich jeden Tag ein bis zwei Stunden üben konnte, hab' ich das viel besser vertragen als die anderen. Mein Mann hat viel mehr darunter gelitten als ich, weil er vollständig 'rausgerissen war aus seinem Lebenskreis. Ich bin noch ganz gut davongekommen. Obwohl man das das ganze Leben mit sich herumträgt. So ist das nicht, dass man vergessen kann.

Die Furche: Sie haben mit den Komponisten Ullmann, Haas, Krasa und Klein gearbeitet...

Kraus: Wir haben einander alle gut gekannt, aber gearbeitet hab ich nur mit Viktor Ullmann. Er kam zu mir und sagte, er habe die 6. Sonate fertig komponiert und ob ich Lust hätte, sie zu spielen. Ich habe natürlich mit Begeisterung ja gesagt. Er war zufrieden mit meiner Interpretation und wollte gar nichts geändert haben. Ich weiß gar nicht, wie oft ich sie dann gespielt habe. Man musste nämlich alle Konzerte sehr oft spielen, weil der Saal nicht groß war. Die Konzertkarten waren natürlich umsonst - es gab zwar Geld in Theresienstadt, das war aber nichts wert; man konnte nichts kaufen, es war eine Komödie. Es haben sich viele Menschen gemeldet, das waren ja Leute aus großen deutschen Städten, die gewohnt waren, in Konzerte zu gehen. Die waren natürlich sehr dankbar, dass es Konzerte gab in Theresienstadt. Und ich war dankbar, dass ich spielen konnte.

Die Furche: Sie standen bei den Oktobertransporten '44 auf der Deportationsliste nach Auschwitz. Wie wurden Sie gerettet?

Kraus: Ich bin anstandshalber zum Chef der Freizeitgestaltung gegangen und hab' gefragt, ob er mich aus dem Transport rausnehmen kann. Er sagte, das könne er nicht, denn hier sei eine Pianistin, die einen kleinen Jungen hat. Das war meine gute Freundin Alice Sommer-Herz. Er hat sie geschützt und mir nichts versprochen. Aber anscheinend hat er doch etwas für mich getan, denn der Zettel mit der Aufforderung, in den Transport zu gehen, kam nicht.

Die Furche: Wie war die Befreiung des Lagers?

Kraus: Die Russen haben uns befreit. Es gab damals Meningitis und Flecktyphus in Theresienstadt. Das Rote Kreuz hat einige in die Schweiz mitgenommen. Ich wollte nach Prag zurück. Alice Sommer-Herz ist mit mir im Eisenbahnwagen zurückgefahren, diesmal in einem Coupé für Menschen. Hin sind wir ja im Viehwagen.

Die Furche: Ihr Anliegen ist es, das Gedenken an die Theresienstädter Musiker wach zu halten. Erst in den letzten Jahren hat die Musikwissenschaft sich ihrer erinnert.

Kraus: Da bin ich nicht unbeteiligt dran. Ich hab' in vielen Ländern Stücke von Ullmann gespielt. Auch von Pavel Haas, den ich immer wieder in Erinnerung bringe. Die Musik ist außerordentlich und verdient es, bekannt zu werden, abgesehen davon, wo sie geschrieben wurde.

Die Furche: Was möchten Sie als Zeitzeugin jungen Generationen vermitteln?

Kraus: Es hat sich gezeigt, dass es schon wieder Neonazis gibt. Davor möchte ich die jungen Leute bewahren. Mir kann das natürlich nicht gelingen. Ich bin keine Politikerin, ich kann nur durch die Musik Einfluss nehmen. Nach Wien bin ich gekommen, um den Menschen Ullmann näher zu bringen, nicht um politisch tätig zu werden. Wer bin ich, dass ich so viele Millionen Morde verzeihen könnte? Das kann niemand von mir verlangen. Das kann auch kein Mensch verzeihen. Das kann vielleicht der liebe Gott verzeihen. Wenn er will.

Das Gespräch führte Katja Sindemann.

Wien, Theresienstadt, Tel Aviv

Edith Kraus wurde 1913 in Wien geboren - als Tochter einer tschechisch-jüdischen Familie, die 1919 nach Karlsbad übersiedelte. Bereits mit elf Jahren absolvierte sie ihren ersten Konzertauftritt. Auf Empfehlung von Alma Mahler-Werfel wurde sie 1926 an der Berliner Musikhochschule bei Artur Schnabel als Schülerin aufgenommen. Nach Studienabschluss kehrte sie nach Prag zurück, wo sie als Konzertpianistin tätig war. Im Juni 1942 wurde Edith Kraus mit ihrer Familie nach Theresienstadt eingeliefert. Im Lager entwickelte sich zuerst illegal ein musikalisches und kulturelles Leben, die Komponisten Viktor Ullmann, Pavel Haas, Hans Krasa und Gideon Klein arbeiteten im Lager. Die Nazis benutzten schließlich diese "Freizeitgestaltung" zu Propagandazwecken: Ein 1944 gedrehter Film sollte das "angenehme Leben" gegenüber der Weltöffentlichkeit demonstrieren. Fast alle Theresienstädter Künstler fanden nach den Oktobertransporten 1944 in Auschwitz den Tod. Edith Kraus war eine der wenigen, die verschont blieben. 1949 wanderte sie mit ihrem zweiten Ehemann Arpad Bloedy nach Israel aus, wo sie an der Musikakademie in Tel Aviv unterrichtete. Als Pianistin trat sie international auf, bis ein Schlaganfall vor zehn Jahren das weitere Spielen unmöglich machte. Ihre Lehrtätigkeit gilt noch immer den Theresienstädter Komponisten. Edith Kraus lebt heute mit ihrer Familie in Jerusalem, nun kommt sie zum ersten Mal wieder in ihre Geburtsstadt:

Konzert der Meisterklasse

Donnerstag, 23. 10., 19.30

RadioKulturhaus (1040 Wien, Argentinierstr. 30a)

Karten unter (01) 501 70 377

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