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Hier gibt es keine Schmetterlinge

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KINDERZEICHNUNGEN UND GEDICHTE AUS THERESIENSTADT 1942 BIS 1944. Herausgegeben von Hana Volavkovä. Mit einer Einführung von Jiri W e i I. Staatliches Jüdisches Museum, Prag.

In den Archiven des Prager Staatlichen Jüdischen Museums gibt es eine Sammlung von etwa 4000 Kinderzeichnungen und eine Reihe von Kindergedichten — die kostbare Hinterlassenschaft jener 15.000 Kinder, die vorübergehend in dem Läget von Theresienstadt lebten, bevor sie in die Gaskammern von Auschwitz geschickt wurden.

Die einst von Josef II. erbaute Festung von Theresienstadt wurde 1941 von Reinhard Heydrich in ein jüdisches Ghetto verwandelt. Es war ein sogenanntes ..Musterlager“, das einzige KZ, in das in beschränktem Umfang Pakete geschickt werden durften, dem man überhaupt nach außen hin ein Gesicht gab, das Ausländei und Kommissionen des Roten Kreuzes davon überzeugen sollte, daß sich hier leben ließe. Das war die Fassade! Die Wirklichkeit sah anders aus. Im August 1942, als in Theresienstadt 41.5 52 Gefangene lebten — jeder hatte einen Raum von 1,6 Quadratmeter zur Verfügung —, starben dort täglich 106 bis 156 Personen, und es gingen regelmäßig Transporte in die Vernichtungslager von Auschwitz und g Maydanek. Theresienstadt war eine Art 1 Wartesaal des Todes — niemand wußte, e wann er an die Reihe kommen würde, es 3 konnte jeden Augenblick geschehen, r In diesem Lager waren auch viele Kin- l der, und sie lebten in einer zwiespältigen t Welt. Sie teilten die Entbehrungen der Erwachsenen, den Hunger, die Not, die i Angst. Sie sahen die von Menschen ge- zogenen Leichenwagen, die Exekutionen, r die Schindereien der Bewachungsmann- s Schaft. Aber sie spielten auch immer noch I ihre kindlichen Spiele miteinander, wie sie t es früher getan hatten. Sie schauten von I den Wällen des Lagers, auf denen man sie r manchmal frische Luft schöpfen ließ, her- unter auf die grünen Wiesen und blauen I Hügel, die Theresienstadt umgeben; undsie träumten sich zurück in die Welt ohne s Stacheldraht und hinein in die Märchen- weit, in der Kinder so selbstverständlich i leben.

All das wissen wir aus den in The- , resienstadt entstandenen Zeichnungen, zu i denen einsichtige erwachsene Gefangene die Kinder anregten. Da gibt es Abbildungen der trostlosen Ghettowirklichkeit: vergitterte Fenster, Menschenschlangen mit Eßgeschirren in der Hand, SS-Männer, ein kleines Mädchen mit Transportgepäck, die düsteren Häuser und Baracken von Theresienstadt. Es gibt auch kranke und sterbende Menschen, einen Galgen und eine Hinrichtungsszene, über der die Sonne scheint — wahrlich ein makabrer Eindruck!

Aber es gibt auch Bilder mit fröhlichen Motiven: Blumen und Bäume, Vögel und Schmetterlinge, blauen Himmel, Sonne, Wolken und Sterne, tanzende und spielende Kinder, Prinzessinnen mit Kronen, Feen, Zauberer und Hexen. Auf anderen Bildern stellen die Kinder ihre einstige Umwelt dar: helle Zimmer mit Vorhängen vor den Fenstern, freundliche Küchen mit einem warmen Herd, mit allerlei Geschirr, mit guten Dingen gefüllt, einen Koch, der Essen serviert und wie eine Märchengestalt ausschaut. Eine Zeichnung stellt ein Land dar, in dem man für eine Krone alles haben kann: Spielsachen, Schokolade, Zuckerl, Kekse, ein gebratenes Schwein, auf eine Gabel gespießt, von der Milch herabtropft — eine Wunschwelt, um so verlockender, als sie für immer verloren ist.

Die in Theresienstadt aufgefundenen Gedichte der Kinder sind viel trauriger als die Zeichnungen. Sie spiegeln sehr unmittelbar das Leiden und Sterben, den Hunger, die Angst und Verlorenheit der kleinen Geschöpfe, aber auch einen zähen Lebenswillen, Freude am Schönen, die Sehnsucht, heimzukommen, die Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit. Erschreckend beinahe die Reife und Differenziertheit, mit der hier Kinder die grauenvolle Wirklichkeit verarbeiten. Miroslav KoSek spricht in einem Gedicht aus, daß sie alle todgeweiht seien, um dann anzufügen, daß die ganze weite Welt doch „mit einer gewissen Gerechtigkeit“ regiert werde: „das hilft vielleicht, der armen Menschen Schmerz und Weh zu lindern“. Oder in einem seiner anderen Gedichte die ganz unkindliche Einsicht, daß die einstmals Reichen und Verwöhnten hier zugrunde gehen müssen, daß nur die Zähen, Abgehärteten überleben können. Hanus Hachenburg konfrontiert in einem „Theresienstadt“ iiberschriebenen Gedicht sein früheres glückliches Leben mit der dunklen Wirklichkeit; er sei kein Kind mehr, er habe zu hassen und die Angst kennengelernt.

„Und trotzdem glaub ich immer noch, ich schlaf jetzt nur und werd erwachen, ein Kind dann wieder, das wie einst zu spielen weiß und froh zu lachen.’ Der kleine Pavel Friedmann klagt: „Hier gibt es keine Schmetterlinge“, Alena Synkovä, daß sie fortgehen möchte, an einen Ort, wo freundlichere Menschen leben, wo niemand einen anderen tötet. Und Eva Pickovä beschwört Gott, daß sie alle leben wollen, leben in einer besseren Welt. Nein, sie wollten nicht sterben — wie oft schreien sie es in ihren Gedichten heraus —, und ahnten doch alle dunkel, was ihnen bevorstand. Nur 100 der 15.000 Kinder von Theresienstadt haben die nationalsozialistische Schrek- kensherrschaft überlebt. Die Zeichnungen und Gedichte, die im Ghetto gefunden wurden, sind alles, was von diesen Kindern übriggeblieben ist. Und die Menschen, die um sie getrauert hätten, sind fast alle mit ihnen zugrunde gegangen. Das verpflichtet uns um so mehr, uns ihrer zu erinnern und jene bessere Welt verwirklichen zu helfen, um die die Sehnsucht jener kleinen Märtyrer kreiste. Ihr Vermächtnis ist uns anvertraut.

Eine Auswahl der Zeichnungen und Gedichte, die im Ghetto von Theresienstadt gefunden wurden, liegt jetzt in Buchform vor, von Hana Volavkovä herausgegeben und mit einer Einführung von Jiri Weil versehen. Das in tschechischer, deutscher, englischer und französischer Sprache erschienene Werk wird vom Prager Artia- Verlag ausgeliefert. Der tschechische Regisseur Miro Bernat hat auch einen Film, „Hier gibt es keine Schmetterlinge“, über das Schicksal der Kinder von Theresienstadt gedreht, der in Cannes preisgekrönt wurde. Wann werden wir ihn in unseren Kinos sehen?

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