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„Der gesegnete Abgrund“

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In der sehr zahlreichen KZ-Literatur ist — wohl weil dem deutschen Verleger lange der Weg in das Ausland sehr erschwert war — ein Buch fast untergegangen, das die gewesene Sekretärin Friedrich Muckermanns zur Verfasserin hat. Nanda Herbermann schrieb ihren in Nürnberg erschienenen Erlebnisbericht, nachdem sie den Schrecken einer zweijährigen Gestapo-Haft entronnen war.

Als Münsterer Sekretärin Friedrich Muckermanns, dieses großen Publizisten aus dem Jesuitenorden, gehörte sie zu dem Kreis jener Personen, nach denen die Gestapo alsbald fahndete, da sie in Muckermann und seinen Mitarbeitern das Zentrum der „römischen Verschwörer“ gegen das Dritte Reich sahen. Als Muckermann die Herausgabe des „Gral“ eingestellt hatte und in der Mordnacht des 30. Juni 1934 knapp dem Tode entgangen war, hatte er in Holland Zuflucht gesucht, wo er gemeinsam mit Dr. Hoeben den „Deutschen Weg herausgab, diese flammende Kampfschrift gegen den Hitlerismus. Fortan gab es kaum einen Menschen, dem die Gestapo mit grimmigerer Begier nachstellte als Muckermann; die eingeschüchterte holländische Regierung kündigte ihm das Asyl; als Exulant lebte Muckermann bald in der Schweiz, bald in Osterreich, wo er noch im Winter 1937 in der Wiener Kirche am Hof unter ungeheurem Zulauf seine geistsprühenden Predigten hielt. Nach seiner Flucht nach Holland hatte ihm Nanda Herbermann allerlei in der Hast der Abreise zurückgelassene Dinge über die Grenze nachgebracht und auch dann noch Verbindung mit ihm aufrechterhalten.

Schon nach dem Einmarsch der Deutschen in Holland hette sich die Gestapo Dr. H o e b e n s, dieses vornehmen katholischen Journalisten, bemächtigt — ift bracht ihn in der Ofangenschaft zum Tode —; am 4. Februar 1941 erreichte auch Nanda Herbermann das Schicksal der Verhaftung. Als sie am Morgen dieses Tages in Münster von der Frühmesse, wo ihr schon das Benehmen dreier Männer aufgefallen war, nach Hause kam, folgten ihr die Häscher und verhafteten sie.

Mit diesem Schicksalstag begann der Leidensweg, den sie schildert. In den Verhören — nicht weniger als vierzig — suchte man von ihr vor allem die Namen von Mitarbeitern und Freunden Muckermanns zu erfahren. Die oft wiederholte und ausgeführte Drohung galt auch ihr: „Wir werden Sie schon zum Reden zwingen... wir haben Mittel in der Hand ...“. „Ich ließ sie fragen und drohen“ — erzählt sie — „immer bei mir denkend: das, was ich nicht sagen will und was andere belasten könnte in euren Gestapoaugen, werdet ihr nie von mir erfahren. Und zwischendurch betete ich um Starkmut...“

In der Haft war sie in eine Gesellschaft von Straßendirnen, Diebinnen und Mörderinnen gegeben worden. „Sie gingen und kamen teilnahmslos, stumpf, gleichgültig, apathisch, blieben kurze Zeit, auch wohl längere ... Einige von ihnen lächelten, andere starrten mich an.“

Die Hausordnung des Gefängnisses in

Münster, auf das die Gestapo keinen Einfluß hatte, erlaubte, daß Nanda Herbermann einmal in der Woche die Kirche besuchen konnte. Dort holte sie sich, wie sie erzählte, Trost und Kraft.. „Hatte ich die heilige Ruhe in meinem Gott gefunden' — berichtet sie — „und für eine Zeitlang auch einige Stunden Schlaf in der Nacht, so ringen nun wieder die schlaflosen Nächte an. Ich stand auf und betete oft lange, auf dem Boden liegend. Der Gedanke der Sühne erfüllte mich gan. Dann wieder ging ich die vier Schritte auf und ab ... Es schlugen die mir so liebvertrauten Kirchenglocken... Ich unterschied bei Tag und bei Nacht die Glocken des Domes, von Liebfrauen, von St. Lamberti, Aegidii und Ludgeri...“

Im Frauengefängnis erlebt sie schwerere Luftangriffe. Man hatte in keiner Weise für den Schutz der Gefangenen gesorgt, sie mußten in den versperrten Einzelzellen bleiben. „Noch habe ich den Jammer und das Angstgeschrei der armen Häftlinge in den Ohren. Ringsherum schlugen die Bomben ein. Ich zog mich zwischendurch wieder hoch an meinem Eisengitter und sah die Stadt taghell, an allen Ecken brennend, sah und hörte ganze Häuserreihen einstürzen, und immer der Gedanke: gleich trifft es dich ... Zwei Stunden währten diese Angriffe. Ich saß wie ein Vogel auf meinem Schemel unter dem Fenster, die Haare klebten mir am Kopf, der ganze Körper war naß vor Angst und Entsetzen.“

Von den Dirnen in Münster wird sie zu den Dirnen des Gefängnisses von Berlin-Alexanderplatz transportiert, wo sie Ungeziefer Tag und Nacht plagen und pestilenzialische Gerüche die Luft verseuchten.

„Zu fünf Frauen lagen wir auf zwei Strohsäcken. Wenn ich mich noch so zusammennahm, es ist mir schwer und schmerzlich gewesen, zum erstenmal so eng zusammengekauert mit vier Dirnen schlafen zu müssen. Ich lag ganz am Rande vor lauter Ekel. Ihre Gespräche waren unsauber und handelten nur von sexuellen Erlebnissen. Aber wie lange habe ich nachher im Konzentrationslager mit ihnen zusammen und noch enger als hier gehaust und wie tief habe ich manche von diesen Ärmsten der Armen in mein Herz geschlossen ...“

Die furchtbarste Zeit begann freilich erst, als Nanda Herbermann im August 1941 in das Konzentrationslager R a-vensbrück eingeliefert und als Nummer 6582 dessen Insassin wurde. Schon der Empfang ließ das Herz erstarren. „Da stand SS, da standen die Aufseherinnen mit den dressierten Hunden, die uns in Zukunft so quälen sollten. Ein Grauen überfiel Körper und Seele. In die bereitstehenden Lastwagen wurden wir buchstäblich hineingeworfen. An allen Gliedern zitternd kroch ich auf den Wagen, und schon ergriff einer der SS-Leute eine Latte und preßte sie gegen meine Kniekehlen, so daß ich in die Knie ging. Keine von den vielen Häftlingen sprach ein Wort...“

Es folgte stundenlanges Stehen der Frauen in völliger Nacktheit. Dann hieß es Steine fahren: Sklavenarbeit. „Angst, Entsetzen, Prügel und bissige Hunde waren unsere treuesten Begleiter. Einmal packte eine solche dressierte Bestie auch bei mir zu... Ich schrie auf. Aber, Gott sei Dank, waren nur die Schürze, das Kleid und das Beinkleid zerrissen.“ Es gab Frauen, denen ganze Stücke Fleisch weggebissen wurden.

Wegen ihrer Intelligenz und Schreibgewandtheit wird Nanda Herbermann zum Dienst als Stubenälteste, dann als Blockälteste von Baracke II, dem Haus der Straßendirnen, kommandiert.

Es ist unmöglich, zu schildern, welche Welt sich auftut. Aber es geschieht wie immer: sie beginnt diese Menschen zu verstehen und auf sie einzuwirken. Was soll aus einem Kind werden, dessen Mutter selber eine Dirne war, und die es mit Schlägen auf die Straße trieb, daß es mit gleichen Mitteln wie sie selber oder durch Diebstahl Geld ins Haus bringe? Viele dieser jetzt so unglücklichen Geschöpfe sind todkrank. Fieber schüttelt sie. Nanda Herbermann erzählt der einen oder an deren zum erstenmal von Christus. Eine, die sich in Krämpfen auf der Pritsche windet, sagt zu ihr: „Du bist meine Mutter! Ich habe ja sonst keine Mutter gehabt!“ Als sie beide in tiefer Nacht zusammensitzen, beten sie gemeinsam das Vaterunser, und die Kranke bittet sie: „Bete es noch einmal!“ ...

Die Verantwortung für 400 Häftlinge ist nichts Geringes, da sie ja selbst für das kleinste Vergehen verantwortlich ist und buchstäblich mit ihrem Leben dafür einzustehen hat. Sie erklärt das Aushalten bei so zarter Konstitution nur mit ihrem starken Glauben.

Nanda Herbermann ist schließlich diesem Abgrund entronnen. Am 19. März 1943 waren die 777 Nächte ihrer Haft zu Ende. Auch dieser Weg war schwer, und nicht minder die Ankunft in der so veränderten Heimat. Aber Nanda Herbermann, die so tief in die Verirrung ihres eigenen Volkes hineingesehen hatte, wußte, daß in dieser großen Not nur helfen konnte, was ihr geholfen hat.

„Im Konzentrationslager“, schreibt sie, „trugen ja alle ihr schweres Kreuz. Der große Unterschied war nur, daß die einen das Kreuz mit Christus trugen, die andern aber ohne ihn. Und wir, die das Kreuz mit Christus trugen, hatten es leichter, denn es half uns Gott selbst dabei. Jene aber, die es ohne ihn trugen

— und das war die Mehrzahl der Häftlinge — hatten es schwerer, als es für den Menschen erträglich ist. Sie versanken in Bitterkeit und völlige Verzweiflung ... Ich darf sagen, daß mir hinter Gitterstäben und Konzentrationslagermauern die Grenzenlosigkeit der Liebe Gottes stündlich begegnet ist. Es war so wie in der Wüste, da Gott seinen Kindern das Brot vom Himmel regnen ließ...“ Aus diesem seelischen Erlebnis formte sich der Titel der Aufzeichnungen der einstigen Sekretärin Friedrich Muckermanns: „Der gesegnete Abgrund!“

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