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Ohne Zimbal und Harfe ...

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JEDE KAPELLE HATTE ZWÖLF MANN. Sie spielte einen Monat lang, vom Ersten bis zum Letzten. Ein Monat mit 31 Tagen war ein Glück, ein Geschenk für die zwölf Zigeuner. — Ein Tag mehr, 24 Stunden. Sie spielten zu Mittag, sie spielten abends und am letzten Tag bis in den Morgen. Und in dem Monat, in dem sie Tafeldienst im Offizierskasino hatten, ging es ihnen besser als den anderen Zigeunern im Lager von Jasenovac.

Am 30. oder 31.i dem letzten Tag jedes Monats, wurde nach dem Abendessen das elektrische Licht ausgeschaltet, und es leuchteten nur die Kerzen, um die sich der Rauch der schweren Zigarren als blauer Nebel legte. Und nun betete jeder der zwölf Zigeuner, daß der Kommandant nicht schläfrig werde. Wenn der Kommandant anfing, müde zu werden, und die Nacht zu gleiten begann, zeigte er auf einen Zigeunermusiker. Der mußte sein Instrument niederlegen, und er ging durch den kerzenerleuchteten Saal vor das Tor des Kasinos, wo die Eskorte schon wartete, die ihn in den Wald führte. Wenn der Schuß aus dem Wald kam — man konnnte ihn auch, während man spielte, im Saal hören —, machte sich der nächste bereit. Aber er spielte noch, bis der Kommandant auf ihn zeigte. War ein deutscher SS-Offizier Kommandant des Lagers, so ging es schnell. Denn die Deutschen wurden bald müde im Rausch des ungewohnten Slibowitz. War es ein Ustascha, konnte es bis in den Morgen dauern. Und die Ustaschi ließen den letzten besonders lang spielen und am Leben, und sie riefen ihn zum Kommandantentisch und gaben ihm Slibowitz und schauten ihm lang in die Augen, bevor sie ihn vor das Tor sohickten.

Jeden Monat war ein anderer Kommandant an der Reihe. An jedem Ersten wurde eine neue Kapelle zusammengestellt. Der Letzte jedes Monats war der Tag der Ablöse für den Kommandanten und der' Todestag für die zwölf Zigeuner vom „Tafeldienst“. Wie die Kerzen würden sie .verlöscht, efflet Aach' dem anderen. Das ist der Bericht des' Franziskanerpaters. -der in Bosnien als Gefreiter der Deutschen Wehrmacht diente, über das Todeslager für Zigeuner, Jasenovac. — „Wir glaubten nicht, daß es nach dem Krieg noch einen einzigen Zigeuner geben würde.“

Abe,r es gibt noch Zigeuner, wie es noch Juden gibt.

„WENN SIE ÜBER UNS SCHREIBEN, so nennen Sie keine Namen. Es ist besser für jeden von uns, wenn er namenlos bleibt. Denn seine Hautfarbe, sein Aussehen als Zigeuner drückt ihm ohnehin den Stempel auf, der dann im Scheinwerferlicht eines bekanntgewordenen Namens nur greller leuchtet. Nennen Sie nicht den Namen und nennen Sie nicht den Ort, an dem Sie mit uns gesprochen haben. Vielleicht gelingt es einem von uns doch, auf einige Minuten in einem Gasthaus, auf einem Kirchweihfest, bei einem Gang durch eine Straße in der Umwelt unterzutauchen.“

Ich spreche von einem Zigeuner, dessen Namen ich nicht nenne, und ich sage auch nicht, wo ich ihn traf. Irgendwo in einer Stadt an der Grenze zwischen Niederösterreich und dem Burgenland. Er steigt aus einem Plymouth, Baujahr 1949, in dem die Familie wartet, bis er von einem Geschäftsgang zurückgekehrt ist. Er verkauft Stoffe, „echt englische Stoffe“, und wird in ungefähr zwei Stunden zu seinem Wagen am Stadtrand zurückgekehrt sein, wenn ihn die Polizei nicht abfängt und wegen unerlaubten Hausierens auf 24 oder 48 Stunden einsperrt. Die Familie ist immer so weit ausgerüstet, daß sie im Notfall acht Tage warten kann. „Wir leben vom Schwindel, natürlich, was dachten Sie anderes?“ - sagt er und —

„Wir fahren im Plymouth, nicht im Wohnwagen. Das sehen Sie ja. Wir wohnen und übernachten in irgendeinem letztrangigen Gasthaus, in das man uns hineinläßt. Wenn ich genug geschwindelt habe, wird es ein Buick. Ich habe tüchtige Kollegen, die fahren schon einen Packard“ — und

„Von welchem Stamm ich bin, fragen Sie? Unsere Stämme sind zerschlagen und aufgerieben. Von dem Zigeunervolk und von den Zigeunerstämmen sind wir übriggeblieben. 4500 Landstreicher, Handelsagenten, Autohändler, Gelegenheitsarbeiter - Spreu. - Von 15.000“ -und ...

„Man hat die Zigeuner getötet, wie man Büscheln von Unkraut auf einem Acker jätet! Auch wir, die übriggeblieben sind, sind ausgerissen worden. Dann ließ man uns fallen, weil die Arbeit gestört wurde und unvollendet blieb. Aber wir fliegen ohne Wurzeln mit dem Wind. Die Stämme gibt es nur mehr in der Erinnerung. Vom Volk ist nur das geblieben, was jeder in sich trägt von unserem alten Leben: die Gemeinsamkeit des Geächtetseins und die schmutzige Oberfläche ohne das tiefe Wasser, das dunkel war, darunter. Ich verkaufe Mist für englische Stoffe, ich fahre im Plymouth und werde im Buick fahren. Aber mein ältester Sohn verkauft schon Kühlschränke an die Bauern, und er wird sich ein Haus bauen, und er wird versuchen, dort zu bleiben und dort geduldet zu werden.

„GENOTICIDE“ ist in der internationalen Diplomatie der Terminus technicus für die Liquidierung von Völkerschaften geworden. Man hat Genoticide etwas zu spät und, wie man im Osten sieht, mit fragwürdigem Erfolg verboten. Aber es zeigt sich, daß ein Völkermord nicht so einfach beendet wird, indem man die Mauern der Gaskammern schleifte. Die teuflische Tat wirkt weiter. Das „rassische Unkraut“, das ausgerissen worden war, aber vor den Verbrennungsöfen liegenblieb, verfliegt entwurzelt im Winde der Nachkriegszeit. Die Wurzeln verbrannten mit den Stämmen, aus denen immer nur einer entkam. Er allein ist noch Zigeuner, aber auch zusammen können sie kein Zigeunertum mehr werden. Das gilt nicht nur für die Zigeuner. .

Aber 3500 haben es überlebt, und sie sind in 13 Jahren 4500 geworden. Sie leben unter uns als Lumpenproletariat und als Lumpenbürgertum; Bruchstücke eines tief verwurzelten und gekrönten Lumpenvolkstum. Für uns sind sie ein Barometer für unser Genesen von der lungeren Vergangenheit. Von der jüngeren, nicht von der altern, denn die war human, nso tut -i .gnngnul rast 30(13533 nti

„GUT WAR DIE: MONARCHIE ZU UNfi'“. sagt mir ein alter Zigeuner am Stadtrand von

Wien. „Kalt die Erste Republik, mörderisch die Nazizeit, und abweisend ist die Zeit, in der wir leben.“

In der Zeit, da der Kurfürst Friedrich Wilhelm I., Vater Friedrichs des Großen, ein Preußenedikt herausgab — „aller Zigeuner habhaft zu werden und sie zu henken“ und nur Kinder unter zehn Jahren zu schonen, indem man sie unter dem Galgen den Eltern entriß und alten Soldaten in Pflege gab — was eine fragwürdige Schonung war —, sammelten sich unter den Habsburgern schon die Kräfte der Toleranz. Experimente der Seßhaftmachung wurden unternommen. Als sie scheiterten, grub man nicht Armesündergräber zur dauernden Seßhaftmachung aus, sondern zuckte resigniert die Achseln. Und immer wieder waren es Habsburger Erzherzöge, der letzte von ihnen Erzherzog Josef, die auf ihren Gütern verfolgten Zigeunern Asyl gaben.

Die Erste Republik schaffte radikal die Unterschiede von Stand und Geburt ab. — Soweit es nicht Zigeuner. Juden, „Krowoten“ und andere Fremde und Fremdartige waren. Erst in dieser Zeit der Gleichheit formte sich der Begriff des „Untermenschentums“. „Unter-mns*H#n““wfeti sofort' dte“ZigeunerrH© sich selbst „Romani“, das heißt Menschen, nennen.

„Man sagte zu uns damals, daß wir seßhaft werden sollen“, bezeugt ein Zigeuner, der heute Viehhirt in einem burgenländischen Dorf ist. „Ich weiß nicht genau, ob wir es wollten und ob wir es wollen, aber ich erinnere mich, daß ich 1921 Arbeit in einer Fabrik annahm. Es waren die Daimler-Werke in Graz. Und in der zweiten Woche brach ein Streik aus, und die Arbeiter schrien mich an .Streikbrecher', weil ich nicht in der Gewerkschaft war und ich nicht wußte, was Gewerkschaft war und Streik, und sie schlugen mich blutig/ Nach dem Streik erklärte der Betriebsrat, daß keine Zigeuner mehr geduldet würden. Zigeuner nicht und ,Gelbe' nicht.“

„Es stimmt, die Hand des Arbeiters und des armen Bauern ist hart, vom Eisen oder vom Stein, das er formt. Aber sie ist auch hart, wenn sie zuschlägt. Und die Hand des Aristokraten und Gutsbesitzers ist weich vom Nichtstun. Aber unter dem Schutz dieser weichen Hände lebten wir, als unser Leben noch lebenswert war.“

Und die Hand des SS-Mannes war kalt wie Stein, die Hand des Ustachi stank nach Slibo-witz.

Nicht sentimentales Beweinen der Vergangenheit wie unter Spießern hörte ich von den Zigeunern, mit denen ich sprach, sondern eine tiefe Trauer um eine Zeit, in der es nach ihren Erzählungen weniger soziale Fürsorge gab und viel mehr Toleranz.

„Und unser Reich war ganz Europa, in dem die Grenzen Markierungen waren und keine Eisernen Vorhänge.“ Das sagt ein Autohändler in Niklasdorf, der vor sich den Schlagbaum auf der Straße nach Ungarn sieht und der seinen schönsten Wagen zur Herbstfahrt nach Les Sain-tes de la Mer herrichtet. Das Herbsttreffen für die „heilige Schwarze Sahra“ war für die österreichischen Zigeuner das letzte Stück aus einer Vergangenheit, vor dem Untergang des Zigeu-nertums. Da pilgerten Tausende hin, in Pferdewagen und in Autos. Aber heuer ist in Frankreich ein de Gaulle gekommen, der Ordnung macht, und unsere französischen Brüder ließen uns wissen, daß es in einem ordentlichen Frank-Teich keine ausländischen Zigeuner geben könne. Nur, die in fast neuen Wagen kommen, werden als .ordentlich' von den Grenzern angesehen und dürfen zum Fest der heiligen Schwarzen ahra.“

Es ist sicherlich ein ordentliches Fest in diesem Jahr, mit ordentlichen Zigeunern als Gästen. Man hat Ordnung in das Leben der Zigeuner gebracht, die viel Stoff verkaufen müssen, um sich einen besseren Wagen zu kaufen.

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