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Skinhead made in Hungary

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Ihre Haartracht, ihre Kleidung, ihr Gehabe verheißen Gewalttätigkeit: die „Skinheads“. Sie sind nicht nur Kinder des dekadenten Westens, wie manche Medien meinen, sondern auch bei unseren östlichen Nachbarn anzutreffen.

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Ihre Haartracht, ihre Kleidung, ihr Gehabe verheißen Gewalttätigkeit: die „Skinheads“. Sie sind nicht nur Kinder des dekadenten Westens, wie manche Medien meinen, sondern auch bei unseren östlichen Nachbarn anzutreffen.

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„Immer noch?“ Unter diesem Titel veröffentlicht die Budapester Wochenzeitung „Kritika“ den Text einer ungarischen Rundfunksendung über den „Alltagsfaschismus in Ungarn“. Einleitend begründet der Rundfunkreporter Andräs Geliert sein Interesse für das Thema:

„Bereits zur Zeit, in der ich meine Matura machte, also vor vier Jahren, hat es jene gewissen faschistoiden Zeichen gegeben, von denen wir sprechen wollen. In den Schulen, auch in meiner Schule, gab es Hakenkreuze. Die WC-Anlagen, aber auch die Schulbänke waren voll von solchen Kritzeleien. Ich habe das Gefühl, diese Tendenz ist in der Zwischenzeit stärker geworden.“

Immer noch ausgeprägt sind die Vorurteile gegen Zigeuner, aber auch der Antisemitismus gibt sich offen zu erkennen.

Zu Hause wird ein Kind gefragt, ob es unter seinen Klassenkameraden Zigeuner gebe. Kommentar der Eltern: „Schade.“ Und das Kind: „Die Eltern befürchten, daß wir uns bei den Zigeunern dreckig machen, daß wir Wanzen bekommen.“ Und ein Zigeunerkind bestätigt, daß es immer wieder beschimpft wird.

„Man kann die Zigeuner gar nicht richtig verprügeln“, klagt ein anderes Kind. „Denn dann kommen ihre Verwandten... Es gibt zu viele. Sie müßten eine eigene Siedlung haben, irgendwo draußen. Sollen sie doch zurück nach Indien, woher sie gekommen sind. Auch dort waren sie ein mieses Volk, und das sind sie auch bei uns geblieben.“

„Mit Juden haben wir keine Schwierigkeiten“, sagt ein anderes Kind in der Sendung, „und zwar keine persönlichen Schwierigkeiten. Das sind Menschen wie wir. Aber der Zigeuner, der nicht. Der soll zurück nach Indien.“

Warum aber sollen die Zigeuner anders sein? Auf die Frage des Reporters antwortet der Dreizehnjährige: „Weil wir reinrassige Arier sind.“ Der Bericht schildert im folgenden einen anderen Fall. Ein kleiner Junge wird im Internat verspottet. Es wird ihm ein Spruch zugerufen: „Auschwitz, Auschwitz, schöne alte Zeiten, verfallene Brennöfen, jüdische Friedhöfe, Judenblut, Judenblut, so muß es geschehen. Daraus macht man Seife, denn so ist es schön!“

Der kleine Junge ist Jude. Die Kinder, die ihn schlagen und verspotten, sind zehn oder elf Jahre alt. Die Eltern des kleinen Jungen sind betroffen.

„Wir haben sehr viel darüber nachgedacht, wieso es möglich ist, daß solche Dinge geschehen“, sagt die Mutter des kleinen Jungen. „Vielleicht, weil die Menschen wieder schlechter leben und wieder einen Sündenbock brauchen? Wenn Kinder m einer Kindergemeinschaft so reden, dann müssen sie das zu Hause von den Eltern gehört haben.“

Und die Eltern sehen sich nun veranlaßt, dem kleinen Jungen alles zu erklären. Sie erzählen ihrem Sohn von den Judenverfolgungen während des Zweiten Weltkriegs, auch von Auschwitz. Aber der kleine Junge kann den Vorfall nicht vergessen. Und der Psychologe Peter Popper schildert in einem sachlichen Kommentar die dauerhaften Schäden, die durch solche Erlebnisse hervorgerufen werden.

Der Bericht wendet sich nun den „Skinheads“ zu. Auch in Ungarn sind sie an ihrer paramilitärischen Kleidung und an ihrem kahlgeschorenen Schädel zu erkennen Jhre Einstellung wird anhand eines Gesprächs mit drei Budapester Skinheads illustriert: der eine ist Student, der zweite Koch, der dritte Arbeiter.

Gewisse Fragen könnten nur mit der nackten Faust gelöst werden, sagt der eine. „Die Zigeunerfrage ist ein großes Problem“, fügt er hinzu. „Die Skinheads müssen eine gesunde nationalistische Linie vertreten“, sagt der andere. „In Ungarn sollten also vor allem Ungarn leben, Ungarn die entscheidenden Positionen einnehmen, an den Universitäten sollten ungarische Studenten die Mehrheit bilden, denn in Ungarn muß der ungarische Mensch vor allen anderen stehen.“

Die Skinheads sind zuversichtlich. „Vor vier Jahren gab es uns noch nicht“, sagt der eine. „In weiteren vier Jahren sind wir eine große Kraft.“ Und der andere: „Auch wenn es jetzt banal klingen mag: Wir werden dann die Faust sein.“

Wie ist das aber, wenn diese Faust bereits heute zuschlägt? Ein junger Mann berichtet:

„Die Sache geschah vor der Pe-töfi-Halle. Wir standen Schlange, denn wir wollten Konzertkarten haben, als ein ungefähr 1,85 Meter großer Skinhead meine Freundin mit der Frage anspricht, ob sie etwas gegen Schweinefleisch habe. Das war eine ziemlich eindeutige antisemitische Bemerkung.

Ich bat den Herrn, er möge so liebenswürdig sein, uns in Ruhe zu lassen. Daraufhin begann er mich herumzustoßen, und auf einmal erschienen hinter ihm, wie auf Befehl, weitere fünf oder sechs Skinheads mit Ketten und verschiedenen Lederriemen in der Hand. Sie trugen ganz sicher auch Messer bei sich.

Es sah so aus, als ob sie unbedingt Krach haben wollten. Ich habe kurz überlegt und mir gesagt, daß ich mich mit ihnen nicht einlassen sollte — sie waren ja zu sechst. Der eine aber schlug mich auf den Hals, auf die Brust...

Mich beunruhigt, daß es 1987 in Ungarn eine ganz bestimmte Schicht gibt, die solche Ansichten hat. Der Betreffende erklärte mir auch, daß die .Skinheads' die Innenstadt regelmäßig besuchten, um Araber, Zigeuner, Juden und ähnliche Fremde .windelweich zu verprügeln'.“

Der Bericht schließt mit Uber-legungen von Wissenschaftern. „Die .Skinheads' machen auf etwas aufmerksam, was allgemein in der Gesellschaft existent ist“, sagt der Soziologe Jözsef Räcz. „Man muß sie als Symptom betrachten.“

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