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Sie gehören weder hier noch dort dazu

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„Oberwart“, mit rotem Balken durchgestrichen: Ortsende. Außerhalb der mittelburgenländi-schen Gemeinde, hinter Feldern, nahe 'dem Waldrand, liegt die Siedlung, in der noch ein kleiner Teil jener Minderheit wohnt, die es nach offizieller Volkszählung eigentlich nicht gibt. Zwar werden Kroaten und Slowenen bei der amtlichen Erhebung angeführt, doch die Zigeuner fallen unter die Rubrik „Sonstige“.

Zigeuner ... ein Wort, das bei vielen Menschen widersprüchige Assoziationen auslöst, Klischeevorstellungen an die Oberfläche spült, unreflektierte Redewendüngen ins Gedächtnis ruft. Nehmt die Wäsche ab, die Zigeuner kommen... Einer stiehlt wie ein Zigeuner... Herumzigeunern ... Zigeunerbaron, Zigeunermusik ... Das gängige Bild der Zigeuner ist nicht positiv. Hört man die Kinder, vernimmt man die Stimme der Gesellschaft (siehe Kasten). Fragt man die Geschichtsbücher, schreien einem Unrecht und Leid entgegen.

Ein sandiger, U-f örmig umbauter Platz. Links und rechts schmucklose Reihenhäuser. In der Mitte ein radloser, rostiger VW-Käfer, Spielzeug für die Kinder. Menschen scharen sich um uns. Hunde bellen, springen an uns in die Höhe. Mißtrauen, Unsicherheit kennzeichnen die Begegnung. Wer sind wir, was wollen wir. Nur die Kinder brechen schnell die Distanz. Sie fragen, lassen sich fotografieren, wollen selbst fotografieren, schreien, lachen, werfen sich in Pose.

Man will nicht reden, hört nur unsere Fragen an und dreht sich um. Nur ein Mann erzählt von der „Leidenschaftlichkeit“ und „Rasse“ der Zigeunerinnen. Genau so seien sie, versichert er, lächelt, geht. Schon zu viele Neugierige waren hier, haben gefragt, geschrieben, Vertrauen mißbraucht. Sie sind zu einer Attraktion geworden, die Zigeuner von Oberwart — und erzählen den anderen genau das, was sie sich erwarten, oder wovon sie meinen, dies sei es, was erwartet wird.

Wir sollten wieder kommen, meint eine junge Frau. Am besten an einem Vormittag unter der Woche, wenn es ruhig ist, wenn die Kinder in der Schule und die Männer in der Arbeit sind. Chap-ka ist ihr Name, ihr Spitzname. Sie ist 22, ihr Mann ist Vorarbeiter bei einer Straßenbaufirma in Wien, erzählt sie voll Stolz. Sie hat eine fünf- und eine dreijährige Tochter. Das Haus ist klein, die Räume sind sauber. Wohnküche, Kinderzimmer, Schlafzimmer, Bad. Alles erinnert an Bauernleben und Arbeiteralltag.

Vor dem Krieg sei es ganz anders gewesen, meint die Großmutter. Zwar war man auch damals nicht unbedingt gern gesehen, war auch nur „der Zigeuner“, aber man hatte seinen Platz im bäuerlichen Leben. Entweder als Arbeitskraft oder in einem der angestammten Berufe der Zigeuner. Als Scherenschleifer, Kesselflicker oder Pferdehändler hatten sie sich einen wackeligen Platz in der Gesellschaft geschaffen.

Der Zweite Weltkrieg zeigte, auf welch unsicherem Boden ihr Leben aufgebaut war. Die Zigeuner wurden, oft mit tatkräftiger Unterstützung der Bevölkerung, festgenommen und in Konzentrationslager gesteckt. Die Großmutter kam nach Auschwitz. Die für das ganze Leben eingebrannte Nummer legt Zeugnis ab von ihrem Schicksal. Sie überlebte als einzige ihrer Familie. Zurückgekehrt, stand sie ganz allein da in Oberwart. Wenige Bekannte hatten überlebt. Man schloß sich zusammen. Was sollte man auch anderes tun.

Die Bevölkerung von Oberwart, ehemalige Bekannte, Freunde, dazugestoßene Fremde wußten nicht mehr mit den Zigeunern umzugehen. Zu tief waren die Gräben. Die Zigeuner begannen sich außerhalb der Stadt wieder anzusiedeln. Sie bauten Häuser, eigentlich Hütten, denn Geld war nicht vorhanden. Man war vorher arm und hatte jetzt hoch weniger. Wiedergutmachung gab es noch nicht.

Viele Jahre später, das „Dorf“ außerhalb der Stadt ist gewachsen, schenkt die Gemeinde Oberwart dem Land ein Grundstück zur Errichtung eines Landeskrankenhauses. Gerade auf diesem Grund stehen die Häuser der Zigeuner. Es seien eh nur Baracken gewesen, die halb verfallen und schief dort standen. Man hatte den „Neubürgern“ ein gutes Angebot gemacht, meint man im Gemeindeamt. Neue, von der Gemeinde errichtete. Häuser, dazu eine Entschädigung für die alten Hütten und Mietfreiheit in Höhe des dadurch entstandenen Guthabens. Die einen reden von Zufall, die anderen fühlen sich zumindest übergangen. Es wurde verhandelt, beschlossen und ausgeführt.

Man baut die Häuser wieder außerhalb der Stadt, weil sie es so wollten, die „Neubürger“, wie sie im Amtsjargon heißen. Es blieb ihnen auch gar nichts anderes übrig, man wollte ja beisammen bleiben.

Es gibt in Oberwart, wie auch in der offiziellen Volkszählung, keine Zigeuner. Man hat Angst vor diesem Wort. Es ist schwierig, Zugang zu den Zigeunern zu finden, aber genau so hindernisreich ist es, von der Kommune Informationen über die Minderheit zu bekommen. Nach vielen Telefonaten, langem Hin und Her bekommen wir einen Termin in der Gemeindekanzlei. Man weiß nicht, habe die Daten nicht im Kopf, wolle eigentlich zu diesem Thema nichts sagen, überhaupt, wer wir eigentlich seien. Wir werden weitergeschickt, besuchen das nicht zuständige Baureferat und landen schließlich beim Bürgermeister.

Nein er selbst habe keine Zeit, bedaure, aber wir sollten doch... ach, bei dem Herrn seien wir schon gewesen, ja dann, ein anderer Herr Sowieso werde uns sicher Auskunft erteilen. Er ist tatsächlich kommunikativer. Der erste Gesprächspartner sitzt dezent, aber bestimmt im Hintergrund und würzt plötzlich die Unterhaltung mit kurzen Kommentaren und Erinnerungen. Früher sei es besser gewesen. Die alten Zigeuner hätten sich nicht so abgesondert, hätten im Gasthaus schöne Musik gespielt, vor allem natürlich bei den Hochzeiten, hätten vor allem keine Forderungen gestellt, wie es die jungen Zigeuner, entschuldigen, Neubürger, jetzt tun. Die meisten seien arbeitslos, Bezieher von Sozialhilfe und/ oder Kinderbeihilfe, kämen dauernd mit Beschwerden, nie zufrieden. Man habe keine Vorurteile oder Ressentiments, aber...

Auch bei den Zigeunern von Oberwart gibt es Arbeitslosigkeit. Verschuldet oder unverschuldet, beginnt nicht selten ein Kreislauf. Sie bekommen längere Zeit keine Arbeit, weü keine vorhanden oder nur für sie nicht frei. Sie bleiben also zu Hause, beziehen Unterstützung, gewöhnen sich an dieses Leben, zumal es im engen Familienverband leichter ist, mit wenig Geld auszukommen. Miete, anfallende Kosten werden geteilt, der Pfusch ist weit verbreitet.

Und die Kinder? Sie gehen in

die öffentliche Schule, beginnen Lehren, kämpfen später mit den Problemen der Arbeitswelt. Ein ganz normales Kinderleben. Nur - geschlagen werden sie nicht, die Kinder der Zigeuner, sagt man stolz. „Zigeunerisch“ können sie jedoch nicht mehr. Verstehen würden die Alteren schon noch einiges, manches. Hauptsächlich Befehle, Flüche, Schimpfworte. Sicher wisse man, daß die Sprache wichtig sei, aber den Kindern, nein, denen würde man es nicht mehr beibringen. Wieso nicht, das wisse man gar nicht.

Man paßt sich an, man kocht, man lebt wie alle anderen, spricht wie sie, fährt Auto wie die anderen, ist arbeitslos oder arbeitet, wie alle.

„Gestern hättet ihr da sein sollen!“ meint Chapka bei unserem letzten Treffen. Gestern seien richtige Zigeuner da gewesen, mit langen schwarzen Haaren, bunten Fetzen, schreienden Kindern, großen Wohnwagen samt Mercedes. Die seien reich gewesen, hätten goldene Armstreifen, Ketterl und sonstigen Schmuck besessen. Gelagert haben sie auf einem großen Parkplatz, außerhalb Oberwarts. Sie seien da gewesen, weil Jahrmarkt war. Die Polizei habe sie aber vertrieben, weil die Kinder angeblich gestohlen hätten, sagt man in der Gemeinde. Es seien vor allem keine sanitären Anlagen vorhanden gewesen. Alles sei so dreckig gewesen. Sie hätten sich gar nicht hingehen getraut, so wild und furchterregend hätten die ausgesehen. Vor allem, was sollte man denn mit ihnen reden!

Blitzartig wurde uns klar: Die Zigeuner - „Zigeuner“? - von Oberwart haben die eine Identität verloren, die andere nicht gewonnen, gehören weder hier noch dort dazu. Sie leben im Niemandsland. Die Zigeuner von Oberwart schweben in der Gesellschaft. Sie bezeichnen sich selber als Zigeuner, haben aber keinen Bezug mehr zu ihrer Vergangenheit. Die Kluft zwischen noch Fahrenden und Seßhaften wird immer größer. Wo die einen um ihre Tradition kämpfen, versuchen die anderen, sich in die Gesellschaft der „Weißen“, die sie umgibt, zu integrieren — mit Erfolg in der Anonymität der Großstadt, mit Vorbehalten im dörflichen Bereich. Das fahrende Volk wurde zu einem schwebenden Volk, das um Identität und Anerkennung ringt. Mit Klischeedenken seitens der „Weißen“ und ohne tatkräftige Unterstützung aller wird dieses Problem jedoch nicht gelöst werden können.

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