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Zigeuner — Prüfstein der Toleranz

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500.000 Zigeuner wurden von den Nazis ermordet, ihre alte Kultur ist in unseren Breiten vernichtet. Und noch immer werden sie, seßhaft oder nicht, weithin als Menschen zweiter Klasse behandelt. Auch in Österreich. Ihre Lage macht sichtbar, wie weit es mit Toleranz und Nächstenliebe bei uns her ist.

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500.000 Zigeuner wurden von den Nazis ermordet, ihre alte Kultur ist in unseren Breiten vernichtet. Und noch immer werden sie, seßhaft oder nicht, weithin als Menschen zweiter Klasse behandelt. Auch in Österreich. Ihre Lage macht sichtbar, wie weit es mit Toleranz und Nächstenliebe bei uns her ist.

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Es gibt einen harten, aber gerechten Test für die Toleranz und Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft, ihre Fähigkeit, Minderheiten mit abweichendem Verhalten, fremdartigen Normen und Gebräuchen zu akzeptieren: Die Situation der Zigeuner. Sehr wenige Länder schneiden bei diesem Test wenigstens mit einem „gerade noch genügend“ ab.

Schweden, das Flüchtlinge aus aller Welt zu Schweden macht, „löst“ das Problem der als nicht assimilierbar geltenden Zigeuner mit Geld: Sie beziehen eine Unterstützung, von der sie leben können, bleiben aber eine verachtete Minderheit.

Als weitgehend integriert gelten die Zigeuner Andalusiens, während sie im übrigen Spanien geduldet werden. In manchen Städten sind Handkarrtn verboten - also braucht der Gitano, der spanische Zigeuner, ein Auto. Aber nur einer von zehn kann lesen, und für Analphabeten gibt es keine Führerscheine...

In den meisten Ländern meint die überwältigende Mehrheit der Menschen, seßhaft zu sein sei schon an sich gut, das „Zigeunern“ falsc*h, amoralisch und zu bekämpfen. In der Schweiz zum Beispiel wurden Fahrenden einfach die Kinder weggenommen, zur Adoption, um sie in Heime zu^ stecken. Den Kindern wurde vor-' gelogen, die Eltern seien gestorben.

Wo die Zigeuner seßhaft werden, verlieren sie ihre Identität, lernt die Jugend bald nicht mehr die uralte Sprache, das Romanes, gehen die letzten Reste ihrer uralten Kultur verloren, ohne daß die Umgebung sie deshalb als „Gleiche unter Gleichen“ aufnimmt. Sie leben dann als eine von den mehr oder weniger subtilen Strategien der Diskriminierung zusammengehaltene Minderheit am Rande der Gesellschaft — sozial im wahrsten Sinn des Wortes.

Wo sie Fahrende bleiben, erfahren sie, was es heißt, sich nicht anzupassen. Eine Gesellschaft, die sich auf ihre Mobilität soviel zugute hält und Jahr für Jahr selbst in Millionenmassen umweltverpestend auf die Räder macht, engt den Lebensraum jenes Volkes, das in Jahrtausenden ein Lebensgefühl entwickelt hat, welches es die ganze Welt als Heimat erleben läßt, durch Reglementierungen, Kampierverbote, Polizeischikanen und so weiter ein.

Wollen die Fahrenden aber kapitulieren, aufgeben, seßhaft werden, weü nur ein Mensch mit fester Adresse ein Mensch ist, haben die kommunalen Wohnungsämter leider keine Wohnungen frei, weigern sich Hausherren, an sie zu vermieten.

In der Bundesrepublik Deutschland macht die Exekutive den Fahrenden das Fahren besonders sauer. Der Staat, der sich für den an den Juden begangenen Völkermord immerhin feierlich zu Wiedergutmachung verpflichtete, verhielt sich, als hätte es einen Ho-lokaust der Zigeuner nie gegeben. Die „Zigeunerpolizei“ der Nazis amtierte bis 1951 sogar unter ihrer alten Bezeichnung und legte sich dann ein neues Etikett als „Landfahrerzentrale“ zu. Sie griff auf die alten NS-Akten zurück, um die Fahrenden zu „erfassen“, und wenn Sinti (die deutschen Zigeuner sind mehrheitlich Sinti, die burgenländischen Roma) Entschädigung für die an ihnen begangenen Verbrechen forderten (sie waren zum Beispiel die bevorzugten Versuchskaninchen einer pervertierten Medizin), wurden oft genug Unwahrheiten und Verleumdungen aus den Naziakten hervorgeholt, um sie abzuschmettern.

Da für die deutschen Sinti die Straße so verrammelt wurde wie der Weg der Anpassung, werden sie „seßhaft“, indem sie ihre Wohnwagen auf den miesesten aller weit und breit vorhandenen miesen Plätze für immer abstellen oder in die für sie vorgesehenen Schuhschachteln aus Beton einziehen.

Der Großteil der österreichischen Zigeuner lebt im Burgenland und ist seit langem seßhaft -ausgegrenzt mit einem interessanten Sonderfall, nachzulesen bei Claudia Mayerhofer, deren Standardwerk „Dorfzigeuner“ 1987 erschienen ist (Picus Verlag, Wien, 242 Seiten, öS 298,-): „Die Zigeuner von Mittelpullendorf bilden hier die einzige Ausnahme. Rochonczy hatte viele von ihnen vor dem KZ bewahrt. Sie kamen nach 1945 unversehrt aus dem benachbarten Ungarn zurück und kauften sich Häuser im Ortskern von Oberpullendorf, wo sie heute leben und teilweise wieder dem Musikerberuf nachgehen.“

Sonst merkt man freilich auch in Österreich wenig von einem Gefühl der Verpflichtung, nach dem an den Zigeunern begangenen Morden so viel wie möglich an den Uberlebenden gutzumachen. Claudia Mayerhofer: „Was vor dem Zweiten Weltkrieg einigen Zigeunern noch gelungen war, nämlich ihre Integrationswünsche in der dörflichen Gesellschaft zu verwirklichen, das gelang nach 1945 nicht mehr. Zwei Einzelschicksale zeigen beispielhaft, wie Integrationsversuche von Zigeunern erfolgreich verhindert wurden.

In Rohrbach wollte Johann Horvath, der einzige Zigeuner-Heimkehrer des Ortes, den Pachtgrund, auf dem er nach 1945 sein Haus erbaut hatte, kaufen. Obwohl er dieses Haus schon seit Jahren bewohnte, wurde sein Ansuchen mit der Begründung abgelehnt, daß der Platz als Baugrund ungeeignet sei. Nach seinem Tod fiel der Pachtgrund mit dem Haus wieder an die Gemeinde zurück. Das Gebäude wurde 1974 abgetragen, und so hatte sich Rohrbach auch des allerletzten Zigeuners entledigt. 1975 hatte ein anderer J. Horvath bereits ein Grundstück im Ortskern von Unterwart gekauft und wollte dort ein Einfamilienhaus errichten. Erst bei der Bauverhandlung wurden die Anrainer darauf aufmerksam, daß es ein Zigeuner war, der das neue Grundstück erworben hatte. Nun lehnten sich alle Anrainer dagegen auf, einen Zigeuner zum Nachbarn zu bekommen und übten auf die Gemeinde so starken Druck aus, daß der Kauf des Grundstückes rückgängig gemacht werden mußte.“

Diskriminiert sind die Zigeuner fast überall in Europa. Wo Gesetzgeber und Regierungen der Diskriminierung entgegenzuwirken versuchen, stößt etwa der Versuch, den Anspruch auf Schulbüdung gegenüber einer Gruppe mit ortsungebundener Lebensweise einzulösen, auf der lokalen Ebene auf zähen Widerstand oder „organisatorische Schwierigkeiten“. Im traditionellen Wertesystem der Zigeuner selbst hat die Schulbildung, historisch bedingt, keinen hohen Stellenwert, aber die Ansicht, daß Bildung Voraussetzung bei den seßhaften Zigeunern für einen sozialen Aufstieg, bei den Fahrenden für die Bewahrung ihrer Lebensform darstellt, gewinnt an Boden. Bloß die Bereitschaft, ihnen dazu zu verhelfen, scheint gering.

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