Verdrängt und verklärt

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Die Roma und Sinti als Kunstmotiv in der Moderne.

Eine Längswand im ersten Raum der Kremser Kunsthalle bietet eine riesige Landkarte von Asien, Nordafrika und Europa: Auf ihr sind die Wanderungen jener Nomaden eingezeichnet, denen die Ausstellung Roma & Sinti: "Zigeuner-Darstellungen" der Moderne gewidmet ist: Eine Bilder- und Fotografien-Schau, doch ist das Ziel nicht nur ein ästhetisches. Hier wird versucht, anhand von Kunst die Geschichte der größten Minderheit Europas zu erzählen, der acht Millionen Sinti und Roma. Wer sich auf diese Geschichte auch nur ein wenig einlässt, wird begreifen, dass es kein Sprach-Schnickschnack ist, wenn diese Menschen nicht mehr "Zigeuner" genannt werden wollen.

An den Rand gedrängt

Zwischen dem 5. und 11. Jahrhundert wanderten aus dem Nordosten Indiens große Menschenmengen nach Persien und weiter ins Byzantinische Reich, wo sie Christen wurden. Dort erhielten sie die griechische Bezeichnung "atsinganos", was bedeutete: Leute, die außerhalb der Rechtshoheit der lokalen Behörden stehen, also einen besonderen Rechtsstatus besitzen. Viele Sinti (der Ursprung dieses Namens ist ungeklärt) folgten nach dem Zusammenbruch der christlichen Kreuzfahrerstaaten in Palästina und Kleinasien den rückflutenden Heeren und gelangten nach Westeuropa. Im Zug der Türkenkriege kamen Roma (Rom bedeutet Mensch, Mann) nach Ost- und Mitteleuropa. Über Jahrhunderte lebten sie als Musiker, Waffenschmiede und Kanonengießer der Söldnerheere.

Erst mit der Aufstellung nationaler Volksheere wurden sie in die Illegalität gedrängt, ja sogar als Räuber verfolgt. Kaiserin Maria Theresia und ihr Sohn Joseph II. versuchten, sie sesshaft zu machen, verboten ihnen ihre Sprache (die auf das indische Sanskrit zurückgeht), die Ausübung ihrer Berufe und ließen ihnen die Kinder wegnehmen. Mit der Entstehung straff organisierter Territorialstaaten im 19. Jahrhundert, den rigiden Pass- und Staatsbürgergesetzen fanden sich die Roma als Staatenlose wieder. Von der Polizei abgeschoben oder in Arbeitshäuser gesperrt, verarmt, kriminalisiert, wurden z.B. in Österreich 1928 sämtliche "Zigeuner" fotografiert und in einer Kartei registriert.

1938 begannen die Nationalsozialisten, Roma und Sinti in Arbeitslager zu sperren; 500.000 wurden in Konzentrationslagern ermordet. Von den 12.000 österreichischen Roma und Sinti überlebten zehn Prozent den Holocaust.

Geheimnisumwittert durch ihre Wahrsagerei und exotisch durch ihre dunkle Hautfarbe, die langen schwarzen Haare der Männer und Frauen sowie deren fremdländische Tracht erregten die "Zigeuner" bereits die Neugier von Leonardo da Vinci, Hieronymus Bosch, Caravaggio; Jacques Callot brachte als erster realistisch ihren Alltag ins Bild, während die englischen Maler Gainsborough, Constable und Turner "Zigeunergruppen" pittoresk in ihre Landschaftsbilder einfügten.

Von den Künstlern verklärt

Das erste Schlüsselbild in Krems, G.F. Cippers Scherenschleifer und Wahrsagerin (1705), zeigt bereits zwei wichtige Nischenberufe, zu denen in den Genrebildern des 19. Jahrhunderts vor allem die musizierenden "Zigeuner" dazukommen. Zeigten die frühen "Zigeunerbilder" häufig Diebe, Falschspieler, kupplerische Frauen, so verklären die Maler der Romantik "Zigeuner" zu edlen Menschen, die im Einklang mit der Natur leben und sich nicht um materielle Dinge kümmern: Die letzten Wilden Europas. In Ungarn, wo "Zigeuner" und Ungarn jahrhundertelang zusammenlebten, wird besonders der Zigeunermusiker durch seine Heimatlosigkeit einerseits, seine Unbeugsamkeit und sein Genie andererseits zum Inbegriff des nationalen Künstlers.

Ins Zentrum rückt die Kremser Ausstellung zwei Bilder, die exakte Darstellungen des berühmten "Zigeuner"-Gedichts von Nikolaus Lenau sind:

"Drei Zigeuner fand ich einmal

Liegen an einer Weide

Als mein Fuhrwerk mit müder Qual

Schlich durch die sandige Heide.

Hielt der eine für sich allein

In den Händen die Fiedel,

Spielte, umglüht vom Abendschein,

Sich ein feuriges Liedel.

Hielt der zweite die Pfeife im Mund,

Blickte nach seinem Rauche,

Froh, als ob er vom Erdenrund

Nichts zum Glücke mehr brauche.

Und der dritte behaglich schlief,

Und sein Zimbal am Baum hing,

Über die Saiten der Windhauch lief,

Über sein Herz ein Traum ging.

Die Ausstellungsmacher haben mit Instinkt erkannt, welches Bild sie als Plakat und Umschlag für den (hoch informativen!) Katalog auswählen sollten: Károly Ferenczys "Zigeuner" aus dem Jahr 1901: Eine ernste, dunkle Schöne, komplett angezogen, die ihre Arme hinter dem Kopf verschränkt. Das Bild konterkariert das Vorurteil gegen die Zigeunerinnen, sie seien allesamt leichte Mädchen. Der Sohn des Malers berichtet: "Selbst die große Mehrheit der Zigeunermädchen war nur bereit, den Oberkörper zu entblößen, also sich höchstens halb zu entkleiden, manchmal nicht einmal das. Die Schönste unter ihnen … saß allen Modell, aber immer nur angezogen."

Unverfälscht stellte eigentlich nur der Maler Otto Müller die Roma und Sinti dar: Er ist mit seinem zentralen Werk, der berühmten Zigeunermappe, vertreten.

Den 70 Bildern stehen 80 historische Fotografien aus dem Ethnografischen Museum in Budapest gegenüber, die dieselbe Exotisierung der Sinti und Roma dokumentieren wie viele Gemälde. Nur wenige Fotos wurden auf eigenen Wunsch der Roma gemacht. Diese zeigen, wie vielschichtig ihre Gesellschaft war und dass es auch durchaus eine Mittelschicht gab.

75 Fotografien des preisgekrönten Schweizer Fotografen Yves Leresche, der nach dem Sturz Ceausescus bei 30 längeren Aufenthalten in Rumänen zwei Roma-Gemeinschaften zu Freunden gewann, dokumentieren das heutige Leben der rumänischen Roma, die als letzte ihre Traditionen und ihre Identität bewahren und der Assimilation entgehen konnten.

Roma & Sinti

"Zigeuner-Darstellungen" der Moderne

Kunsthalle Krems, Franz-Zeller-Platz 3

3500 Krems

www.kunsthalle.at

Bis 2. 9. täglich 10-18 Uhr

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