Roma, wie stolz das klingt!

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Milosevic ist tot, Serbiens Probleme bleiben. Trist ist die Situation der großen Minderheit der Roma, auch wenn sie ein Theater eröffnen und ihre eigene Grammatik herausgeben können. Besonders schlimm ist ihre Situation im Kosovo - viele sind geflüchtet.

In Belgrad ist die erste moderne Grammatik der Sprache der Roma auf Serbisch erschienen. Der Autor, Rajko Djuric´, 58, Präsident des P.E.N.-Weltzentrums der Roma, ist zur Zeit einer der Stellvertreter der staatlichen Nachrichtenagentur "Tanjug" in Belgrad. Seine Bibliografie umfasst bisher 34 Werke. Auf meine Frage, ob es in Serbien ungewöhnlich sei, dass ein Rom eine so wichtige Funktion innehabe, weist er auf viele Personen hin, die sich jedoch, anders als er, über ihre nationale Herkunft ausschwiegen oder sie entsetzt negierten. Der Ministerpräsident Jugoslawiens, DragisÇa Cvetkovic´, der in Wien am 25. März 1941 den Beitritt zum Dreimächtepakt unterzeichnet hatte, war genauso Rom wie der als Theologe, aber auch wüster Antisemit bekannte ehemalige Erzbischof Nikolaj Velimirovic´, der vor einigen Jahren heilig gesprochen wurde. Djuric´ fügt schelmisch hinzu, auf diese beiden könnten die Roma genauso wenig stolz sein wie die Juden auf den russischen Politiker Wladimir Schirinowski.

Theater "Traum der Roma"

Er nennt eine Reihe hierzulande bekannter Namen aus Politik und Literatur, zum Beispiel Slobodan Glumac, Übersetzer von Heinrich Heine und Bertolt Brecht, Begründer und erster Chefredakteur einer der wichtigsten Tageszeitungen Serbiens, "VecÇernje Novositi". Ich war mit dem inzwischen verstorbenem Glumac befreundet und habe nicht gewusst, dass er Rom war, Djuric´ jedoch erzählt, er habe es nicht geleugnet, es sogar einmal Tito gesagt, als dieser sich im allgemeinen für das Leben der Roma interessierte.

Ich frage Rajko Djuric´, ob seine Grammatik der Roma-Sprache auch für die Sinti gültig sei. Jawohl, belehrt er mich, es sei dieselbe Sprache. Verschiedene Zigeunerstämme - Roma, Sinti oder die Kale in Spanien - sprächen verschiedene Dialekte, aber die gültige Sprache sei dieselbe. Den Dialekt der Kale in Spanien vergleicht er mit dem Ladino der spanischen Juden, weil Einflüsse der spanischen Sprache bemerkbar seien. In Serbien allerdings leben nur Roma.

In einigen Monaten wird im Ort Novi Karlovci unweit von Belgrad ein eigenes Theater der Roma eröffnet. Es wird "Suno e Romengo" heißen, was übersetzt "Traum der Roma" bedeutet. Der wichtigste Förderer dieses Projektes ist das serbische Tochterunternehmen der Bank Austria-Creditanstalt. Sogar die Pressekonferenz, auf der Rajko Djuric´ die erfreuliche Nachricht bekannt gab, fand in den Räumen dieser Bank statt. Der anwesende Sekretär des Rates für Minderheiten der serbischen Regierung, Petar Ladjevic´, überbrachte Grüße des Ministerpräsidenten Vojislav KosÇtunica, der sich bereit erklärt hatte, die Schirmherrschaft zu übernehmen.

Im erschreckendem Widerspruch zur Rolle, die einige Roma-Intellektuelle in Serbien spielen konnten und können, der Veröffentlichung der Grammatik und der bevorstehenden Eröffnung des eigenen Theaters, steht das Leben der Mehrzahl der Roma im Lande. Die offizielle Statistik geht davon aus, dass im Lande 108.000 Roma leben, Djuric´ behauptet hingegen, es seien etwa 850.000, darunter über 100.000, die aus dem Kosovo geflüchtet seien. 243.000 leben in den größeren Städten, von ihnen 110.000 in Belgrad.

Hass gegen die Roma

Mindestens 60 Prozent der serbischen Roma sind Analphabeten. Die meisten leben in menschenunwürdigen Verhältnissen. Nur etwa drei Prozent der Roma haben eine ständige, bezahlte Arbeit. Etwa 46 Prozent der Roma-Kinder, die eingeschult werden, beherrschen die serbische Sprache nur mangelhaft. Dabei handelt es sich bei den Roma um einen dem Alter nach sehr jungen Teil der Gesamtbevölkerung, 62 Prozent von ihnen sind unter 25 Jahre alt.

Roma werden von der Mehrzahl der Bevölkerung abgelehnt, verachtet, sogar gefürchtet. Es heißt: "Bekanntlich stehlen Zigeuner kleine Kinder!" Das ist die Begründung für häufige tätliche Angriffe auf Roma.

Allein in Belgrad gibt es mehrere Siedlungen, die in einem schrecklichem Zustand sind, in Serbien zählt man etwa 600 solcher elenden Niederlassungen mit geschätzten 250.000 Einwohnern.

In meiner unmittelbaren Nachbarschaft, gleich gegenüber einem modernen Kindertagesheim, haben Roma ein altes, verfallenes Haus erobert. Auf dem Vorplatz, der ein Garten sein könnte, stapeln sich Abfälle, Altpapier, verrostete Haushaltsmaschinen, Autowracks. Damit verdienen sie etwas Geld ... Die Eltern der Kinder im Tagesheim protestieren bei der Stadtverwaltung wegen des Gestanks.

"Ich kann von nichts anderem leben, Herr!" sagt einer dieser meiner dunkelhäutigen Nachbarn. "Wir haben hier aber ein festes Dach überm Kopf!"

Im Stadtviertel Neu-Belgrad, am Ufer des Flusses Sawe, zwischen modernen Hochhäusern, Wolkenkratzern großer Firmen, unweit der Hotels "Interkontinental" und "Hyatt", befindet sich eine Romasiedlung aus Blech und Papier. Bei zehn Grad unter Null wird in kleinen Eisenöfen mit Abfall geheizt.

Die Stadtverwaltung wollte diesen Schandfleck loswerden. Für die Bewohner der Hütten ist eine neue Siedlung mit netten Häusern, Schule, Sportplatz und einer Verwertungsstelle für Abfälle geplant. Der für Frühjahr geplante Bau kann wegen der Proteste der Anrainer nicht beginnen.

Die Begründungen: "Der Wert unserer Wohnungen wird fallen!" "Schickt sie anderswohin!" "Warum sollen ausgerechnet Roma neue Wohnungen bekommen, wo so viele Serben keine haben?" "Demnächst baue ich mir selbst eine Hütte aus Papier, damit man mir eine bessere Wohnung gibt!"

Keine Chance im Leben

Die Roma befinden sich in einem Teufelskreis. Wie mir einer von ihnen erklärt: "Unsere Leute finden keine Arbeit und gelten deshalb als faul, unsere Kinder haben keine Chancen, in normale Schulen zu gehen, deshalb gelten sie als dumm, unsere Wohnverhältnisse ohne Kanalisation und Fließwasser sind Schrecken erregend, deshalb gelten wir als schmutzig ..."

Ein ernstes Problem freilich ist, ob Sonderbehausungen für Romagruppen nicht eine Art von Ghettoisierung sein würden, andererseits ist es noch weitaus schwieriger, so viele bedüftige Menschen, oft Großfamilien, auf eine andere Weise human unterzubringen.

Viele Roma gehören in Serbien zu einer Art Lumpenproletariat. Eine hauchdünne Gruppe von Intellektuellen, eine größere von guten Musikern, sind die Ausnahmen, die die traurige Regel bestätigen. Wenn Roma nicht in der städtischen Müllabfuhr oder ähnlichen hierzulande schlecht bezahlten und verachteten Unternehmen Arbeit gefunden haben, sammeln sie Abfälle aus den Containern, junge Frauen wählen die Prostitution als einzige Möglichkeit zu überleben, Kinder werden gezwungen zu betteln. Solche auffallende Tätigkeiten schaden dem allgemeinen Ruf dieses Volkes noch mehr und brachten oder bringen die wenigen Intellektuellen unter den Roma, die den Sprung in die bürgerliche Gesellschaft geschafft haben, dazu, sich von ihrer Herkunft zu distanzieren.

Grausamkeiten im Kosovo

Noch tragischer und von der Weltöffentlichkeit unbeachtet ist das Schicksal der Roma aus dem Kosovo. Es ist kaum zu begreifen, warum sich Albaner, die früher in serbischen Großstädten ein ähnlich unzumutbares Leben fristeten wie die Roma, gegenüber den "Zigeunern" so grausam benehmen, seit sie die "Herren im Lande" sind. Rajko Djuric´ sagt: "Wie die uck - die bewaffnete Organisation der albanischen Aufständischen im Kosovo - mit den Roma umging, war noch schlimmer, als was die faschistische Besatzungsmacht im Zweitem Weltkrieg getan hat ..."

Albanische Gesprächspartner behaupten, die Roma seien früher Verbündete "der Serben" gewesen. Das ist kein überzeugendes Argument, weil die meisten von ihnen stets zu den einflusslosen und missachteten Schichten gehört haben. Tatsache jedenfall ist, dass vor dem Jahr 1999 im Kosovo 149.786 Roma gelebt haben und heute nur etwa 30.000 in der Provinz geblieben sind.

Der Staat gibt zu, dass die Integration der Roma eine aus der Verfassung abgeleitete Verpflichtung ist, zur Zeit bestehen jedoch so viele Problem, dass das wenige, was getan wird, nichts besseres als den bekannten Vergleich mit dem Tropfen auf dem heißen Stein verdient.

In ihrer Sprache ist das Wort Rom ein Synonym für Mensch. Darf man dabei an Maxim Gorki denken? Er schrieb: "Mensch, wie stolz das klingt!"

Der Autor lebt als freier Schriftsteller in Belgrad und Wien.

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