Wenn wenige auf mehr hoffen
Auf Initiative der Franziskaner kamen Angehörige von Minderheiten in Europa und Indien nach Wien. Sie wollen eine Plattform gründen.
Auf Initiative der Franziskaner kamen Angehörige von Minderheiten in Europa und Indien nach Wien. Sie wollen eine Plattform gründen.
Unsere Vision ist es, dass sich alle Minderheiten die Hände reichen. Wir haben ähnliche Probleme. Wir wollen eine große Plattform bilden." Das erklärt Vijaya Tirkey, die als Sprecherin der indischen Ureinwohner beim Seminar "Die Minderheiten fordern die Konzepte der Mehrheiten heraus" dabei ist. Gemeinsam mit 25 weiteren Vertretern verschiedener Minder- und Mehrheiten verbringt die Klosterschwester die letzten Tage des Treffens in Wien. Nun sitzt sie mit Angehörigen der Cangos und der Roma an einem Tisch. Und weil alle wissen möchten, was sie gesagt hat, werden ihre Worte aus dem Englischen ins Deutsche und Tschechische übersetzt. Das Deutsche ins Rumänische. Die Zustimmung kommt auf Tschechisch und Rumänisch und wird in Englisch und Deutsch wiedergegeben. Das Stimmengewirr mündet in ein Lachen über das Durcheinander der Worte. Aber wer verstanden hat, wird nachdenklich. Die Probleme, die die Minderheiten teilen, sind enorm.
Die Initiative für das Zusammentreffen kommt von der Missionszentrale der Franziskaner in Bonn: "Die Minderheiten beschäftigen sich mit ihren Problemen meist als isolierte Einheit. Durch das Kennenlernen anderer Gruppen weitet sich ihr Blickwinkel", erläutert Franziskanerpater Devassy den Sinn des Seminars, das sich über zwei Jahre erstrecken soll. Diesen Sommer stand der Besuch bei den Sorben, einer slawischen Minderheit in Deutschland, den Cangos, einer Minderheit in Rumänien, und den Roma in Tschechien auf dem Programm. Der Wien-Aufenthalt, bei dem die Gruppe unter anderem die hier ansässigen UNO-Organisationen besuchte, wurde von der Wiener Zentrale der "Franziskaner für Mittel- und Osteuropa" organisiert.
Ein zweiter Teil des Seminars ist für nächsten Sommer in Indien geplant. Die 65 Millionen dort lebenden Ureinwohner werden von ihren Gebieten vertrieben. Dort, wo sie gewohnt haben, errichtet man Staudämme, Truppenübungsplätze oder Bergwerke. Der Inder Jose Peter blickt in eine düstere Zukunft: "Das Land ist für uns wie Gott. Es schenkt das Leben. Ohne Land gibt es kein Leben".
Auch das Leben der Cangos verläuft nicht problemlos. Als katholische Minderheit im orthodoxen Rumänien ist ihnen die Feier der Gottesdienste in ihrer eigenen - dem Ungarischen ähnlichen - Sprache nicht erlaubt. Seit Jahren kämpfen sie um eine monatliche Eucharistiefeier und zwei Wochenstunden Schulunterricht für die Kinder in ihrer Muttersprache.
Dass die Situation anderer Minderheiten noch schwieriger ist, hat der Cango-Vertreter Benchea Pavel beim Besuch eines Roma-Quartiers in Tschechien erlebt. Unsicher überlegt er, ob er die Begebenheit überhaupt erzählen soll. "Es war die Angst der Roma-Kinder", beginnt er schließlich doch zu reden:"Sie haben uns, als wir fahren wollten, zum Ausgang begleitet. Als wir ans Ende des Quartiers gelangten, wurden sie ganz unruhig und liefen schnell wieder zurück. Das möchte ich zu Hause nicht erleben."
Seminarteilnehmerin Lucie Conkova ist selbst tschechische Roma. Sie arbeitet im Rahmen eines UNESCO-Programmes in einer Volksschule, die auch Roma-Kinder besuchen. Das ist nicht selbstverständlich. "70 Prozent aller Roma-Kinder besuchen Sonderschulen für geistig Behinderte", erklärt die 20-jährige. Als Grund nennt Conkova, dass viele Roma-Kinder im Volksschulalter die tschechische Sprache nicht beherrschen. Außerdem spiele die dunkle Hautfarbe eine Rolle. Sie sei auch für die hohe Arbeitslosigkeit der Roma verantwortlich.
Dem Seminar kann sie viel Positives abgewinnen. Auf die Frage, was ihr am Besten gefallen hat, antwortet sie, ohne lange zu überlegen: "Am meisten mochte ich, dass alle Vertreter der Mehrheiten gezwungen waren, mir zuzuhören." Es folgt die Übersetzung ins Englische, Deutsche und Rumänische. Allgemeines Gelächter. Aber alle, die zugehört haben, werden nachdenklich und beschließen, ihre Vision einer gemeinsamen Plattform zu verwirklichen.
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