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Roma - ein „Volk ohne Rechte"

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Österreichs Roma und Sinti gründeten ein „Romano Centro • Forum für Roma und NichtRoma" zur Verbesserung ihrer Lebenssituation und zum Abbau von Vorurteilen, das sich in den nächsten Wochen mit einer Veranstaltungsreihe im Wiener Amerlinghaus an die Öffentlichkeit wendet.

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Österreichs Roma und Sinti gründeten ein „Romano Centro • Forum für Roma und NichtRoma" zur Verbesserung ihrer Lebenssituation und zum Abbau von Vorurteilen, das sich in den nächsten Wochen mit einer Veranstaltungsreihe im Wiener Amerlinghaus an die Öffentlichkeit wendet.

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Die Roma und die Sinti werden noch immer, wenn auch seltener, Zigeuner genannt. Sind sie tatsächlich ein Volk ohne Rechte? Eine Veranstaltungsreihe im Amerlinghaus beschäftigt sich vom 3. bis 27. Oktober mit „Geschichte, Kultur, Lebensform und Verfolgung der Roma und Sinti". Dieser Titel wurde mit gutem Grund gewählt. Es werden Referenten und Künstler aus Rußland, Rumänien, Ungarn, der CSFR und Jugoslawien erwartet.

In all diesen Ländern hat sich die Situation für die Roma mit dem politischen Umschwung nicht etwa verbessert, sondern wesentlich verschlechtert. Der Haß der Mehrheitsvölker gegen die unbequeme Minderheit tritt nun offener denn je zutage. Wir wissen von zahlreichen tätlichen Übergriffen, man zündet den Roma die Häuser über ihren Köpfen an, man will sie loswerden, vertreiben. Obwohl die Roma in Ungarn, der CSFR, Rumänien und Jugoslawien sich schon vor längerer Zeit politisch zu organisieren begannen, teilweise sogar in den Parlamenten vertreten sind, schützt sie das nicht davor, daß der Unmut und die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation sich auf sie entlädt.

Auch heute lieber anonym

Die Roma müssen also wieder einmal, wie schon so oft in der Geschichte, als Sündenböcke herhalten. In Österreich leben viel weniger Roma als in den ehemaligen Ostblockstaaten. Bei uns hat die Schreckensherrschaft der Nazis gründliche Arbeit geleistet, als man die Roma und Sinti in die Konzentrationslager verschleppte und ermordete. Wenige überlebten die Greuel und kamen nach 1945 zurück in ihre Heimat Österreich.

Es waren dies Angehörige verschiedener Stämme der Roma und Sinti und man kann diese Gruppen auch heute noch unterscheiden: Die bur-genländischen Roma (im heutigen Burgenland etwa im 17. Jahrhundert angesiedelt, aus Ungarn und Kroatien kommend), die Lovara (in der Mitte des vorigen Jahrhunderts aus Ungarn und der Slowakei in den Osten Österreichs eingewandert), die Sinti (in der Mitte des vorigen Jahrhunderts aus Deutschland und Böhmen nach Nord-und Westösterreich eingewandert). All diese Menschen, die die Konzentrations- und Vernichtungslagerüberlebten, haben diese Erfahrung nie überwinden können. Ceija Stojka, Angehörige des Lovara-Stammes, ist eine von ihnen. Sie hat noch immer schreckliche Alpträume, leidet unter ihrer Geschichte, aber sie hat versucht, sie sich in dem Buch „Wir leben im Verborgenen" (Picus Verlag, 1988) von der Seele zu schreiben. Sie wollte, daß die Nachwelt die Wahrheit erfährt und sie wollte vor allem, daß die Roma Mut bekommen, sich zu ihrem Volk zu bekennen.

Denn aufgrund der Vorurteile und Klischeebilder, die in Österreich herrschen, geben viele Roma ihre Identität nicht prejs. Man nahm sie bis vor kurzem in Österreichs Gesellschaft auch nicht wahr. Noch im Vorjahr antwortete eine Passantin auf die Frage eines Fernsehreporters, ob es ihrer Meinung nach „Zigeuner" in Österreich gebe: „Na ja, vielleicht irgendwo jn den Wäldern ein paar. In der Stadt sicher nicht." Diese Antwort gibt den Wissensstand eines Großteils des österreichischen Mehrheitsvolkes wieder und zeigt andererseits ein typisches „Zigeunerklischee": „Sie leben in den Wäldern, sie sind Fahrende, haben keinen festen Wohnsitz, leben in der Natur."

30.000 bis 40.000 Seelen

Dies ist nur eines von vielen Vorurteilen, mit denen die Roma bedacht werden. Es ist aber genauso unhaltbar und falsch wie alle anderen. Von den zwölf Millionen Roma, die auf der Welt leben, sind höchstens fünf Prozent (!) nicht seßhaft. Die Mähr vom „fahrenden Volk" gehört der Vergangenheit an, sofern die Roma nicht vertrieben werden und so wieder zur Wanderschaft, die eine Flucht ist, aufbrechen müssen.

In einem Gesellschaftssystem wie dem österreichischen ist Nomadisieren nicht möglich. Die burgendländi-schen Roma sind bereits seit Jahrhunderten seßhaft. Schon Maria Theresia begann mit der zwangsweisen Seß-

haftmachung dieser Gruppe. Die Lovara (Stamm der Pferdehändler) behielten die fahrende Lebensform am längsten bei, bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Nachdem aber der Pferdehandel aufgrund der Modernisierung der Landwirtschaft keinen Ertrag mehr brachte, suchten sie sich Wohnungen oder Häuser und begannen ihren Lebensunterhalt in ertragreicheren Handelszweigen zu verdienen wie dem Teppich- oder Altwarenhandel. Viele haben es zu Wohlstand gebracht.

Es leben in Österreich aber nicht nur jene drei „angestammten" Gruppen der Roma und Sinti, sondern es sind durch die Arbeitsimmigration aus Jugoslawien viele jugoslawische Roma zu uns gekommen, Angehörige verschiedener Stämme wie der Kel-deras aus Serbien (traditioneller Beruf: Kesselflicker), Arlije aus Makedonien und dem Kosovo („Seßhafte", verschiedene Berufsgruppen wie Seilmacher, Tabakbauern, Metallarbeiter, Händler), Lejasa aus Serbien (landwirtschaftliche Berufe) und andere mehr. Viele von ihnen sind bereits österreichische Staatsbürger oder streben die Staatsbürgerschaft an.

Sie vergrößern die Zahl der Roma und Sinti in Österreich erheblich, und wenn wir von den Roma und Sinti in Österreich sprechen, sind schätzungsweise 30.000 bis 40.000 Menschen gemeint. Man kann in diesem Bereich nur schätzen, weil viele Roma erst langsam beginnen, sich zu ihrer Identität zu bekennen.

Menschen ohne Sonne

Alle diese Roma- und Sintigruppen in Österreich sind verschieden. Sie haben in der Geschichte ihrer Wanderung, die im siebenten bis zehnten Jahrhundert in Indien begann, unterschiedliche Gastländer erlebt, waren unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt und es gibt kulturelle Unterschiede und dialektale Varianten der gemeinsamen Sprache, des Ro-manes.

Aber: „Amenca ketane sam zura-le" - gemeinsam, zusammen sind wir stark, sagt Ceija Stojka in einem Lied, und so versuchen die Roma in Österreich auch ein gemeinsames Vorgehen zur Verbesserung ihrer Lebenssituation und zum Abbau von Vorurteilen. Am 28. Juni wurde in Wien der dritte Romaverein Österreichs gegründet: „ROMANO CENTRO -Forum für Roma und Nichtroma". Die Ziele wurden in Deutsch und Romanes formuliert. Dieser Verein ist verantwortlich für die Veranstaltungsreihe im Amerlinghaus als erste große öffentliche Aktion. Er hat dort auch seinen Vereinssitz, denn dort hat das „Volk ohne Rechte" einen Platz gefunden, allerdings nur vorübergehend.

Der Titel der Veranstaltungsreihe auf Romanes drückt aus, was viele Roma heute noch fühlen müssen: „Manus bi thanesko bi khamesko" -Mensch ohne Ort und ohne Sonne.

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