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Romapower im Vormarsch

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Das Revolutionsjahr 1989 hat den Roma Osteuropas zwar kein besseres Leben beschert. Doch nun können sie ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Und sie tun es auch! Wie Schwammerl nach dem Regen schießen Parteien und Vereine aus dem Boden. Die Roma wollen nicht länger Objekte politischer Launen anderer sein.

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Das Revolutionsjahr 1989 hat den Roma Osteuropas zwar kein besseres Leben beschert. Doch nun können sie ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Und sie tun es auch! Wie Schwammerl nach dem Regen schießen Parteien und Vereine aus dem Boden. Die Roma wollen nicht länger Objekte politischer Launen anderer sein.

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In Rumänien stellen die Roma schätzungsweise zehn Prozent der Bevölkerung. Bei den Wahlen am 20. Mai 1990 kam aber - sehr überraschend - kein einziger Kandidat des Dachverbandes „Demokratischer Bund de*r Roma" (DUR) ins Bukarester Parlament. Ein Sprecher des Bundes mutmaßte, daß viele Roma Angst gehabt hätten, ihre eigene Partei zu wählen.

Unter dem Schirm von DUR drängelt sich eine bunte Palette von Organisationen. Unter ihnen auch sechs Parteien mit recht exotischen Namen: In Sibiu hat die „Partei der Nomaden und Kesselflicker" ihr Hauptquartier, in Tirgu Jiu amtiert die „Partei der Seßhaften und Geiger". In Klausenburg gibt es die „Partei der seidenen Zigeuner". Bedingt durch Stammesund Berufsbindungen ist die politische Szene ziemlich zersplittert. Ein „Rat der Ältesten" soll eine einheitliche Marschrichtung herbeiführen und mahnt ständig die Brüder, „alle Aktionen der Disziplinlosigkeit einzustellen".

Immerhin hat man es geschafft, eigene Zeitungen, wie die „Stimme der Roma" oder „Die Zitadelle", in Umlauf zu bringen.

Aber die Lage der rumänischen Zigeuner ist alles andere als rosig. Dunkle Wolken ziehen herauf. Rumäniens Medien schießen aus allen Rohren gegen die Roma, die als „Bettler und Diebe von Geburt an" porträtiert werden. Nur einzelne Intellektuelle treten zu ihrer Verteidigung an. Im Volksmund wird wohlgefällig Marschall Ion Antonescus „Lösung der Zigeunerfrage" zitiert: Antonescu ließ während des Krieges Zehntausende Roma in die Sümpfe von Transnistria deportieren. Für viele eine tödliche Endstation.

Kaum weniger feindselig und argwöhnisch blicken die Ungarn auf ihre 700.000 romischen Mitbürger. Die soziale Statistik ist triste: Nur 20 Prozent von den 60 Prozent der Romakinder, die die Grundschule abschließen, erbringen durchschnittliche Leistung. Die hohe Arbeitslosigkeit wird durch das Aussterben traditioneller Berufe wie Kesselflik-ker, Hausierer und Musikanten, verschärft. Chronisches Rauchen, Trinken und Unterernährung münden in eine niedrige Lebenserwartung.

Schon in den frühen fünfziger Jahren formierte sich unter der Patronanz der Kommunisten eine Zigeunerpartei, aber ihren suspekten Führern wurde die Gefolgschaft verweigert. Vor zwei Jahren rissen sich die Roma vom staatlichen Gängelband los. Gegenwärtig gibt es sieben Romaparteien, die leider häufig miteinander in Fehde stehen. Am rührigsten gebärdete sich anfangs die „Demokratische Allianz der Zigeuner Ungarns".

Um die soziale Lage der Roma zu verbessern, wollte man nach dem Muster der Kibbutz in Israel in unbe-wirtschafteten Landstrichen Siedlungen errichten. Alles ging gut, bis die Regierung für den Wahlkampf drei Millionen Forint spendete. Einige Parteiführer stopften die Scheine in die eigenen Taschen. Dieser Skandal zeugt(e) permanente Flügelkämpfe.

Im Gegenzug suchten viele Romapolitiker eine Allianz mit den anderen Parteien. Die Sozialdemokraten machten zwar verbal Angebote, ließen aber die Zigeuner als zu wenig imageträchtig wieder fallen. Nur die Freien Demokraten erwiesen sich als verläßliche Partner. Die Roma schenkten ihnen dann auch bei den Wahlen ihr Vertrauen. Nun sitzen sieben Abgeordnete der Roma im Budapester Parlament.

Auch das regierende Demokratische Forum widmet sich in seinem Minderheitenprogramm seitenlang den Roma. Doch die Realität straft Sonntagsreden Lügen. So hat der Innenminister den Generalmajor Andräs Tutos mit der Kontrolle des unruhigen Völkchens beauftragt. „Phralipe", der Verband der Roma-Intellektuellen, protestierte energisch gegen die Bestellung von Turos, da dieser bei den Roma das Image eines boshaften Quälgeistes trägt. „Phralipe" (Brüderlichkeit) (FURCHE 50/1990) wurde im April 1989 gegründet und setzt sich für Arbeitsbeschaffung und den Schutz der Roma gegenüber den Behörden ein.

Vergangenen Sommer wurde in Brünn das erste „Weltkulturfestival der Roma" veranstaltet. Das politische Programm derRoma in derCSFR ist sehr pragmatisch - auf Bildung, Arbeitsbeschaffung und Bekämpfung der Kriminalität konzentriert. Selbsthilfe statt Staatsfürsorge ist hier die Devise. Überdie Zahl der in derCSFR lebenden Roma herrscht viel Verwirrung, doch nach soliden Quellen dürften es nicht mehr als 450.000 Personen sein.

Erste politische Mündigkeit wurde 1969 mit der Gründung des „Bundes der Roma" bewiesen. Doch der Bund, auch wirtschaftlich rege, war den Behörden ein Dorn im Auge und wurde 1973 aufgelöst. Knapp nach der Sanften Revolution formten sich die ersten politischen Vereine. Bei den Wahlen im Juni kandidierten unter dem Schirm von „Romovia" drei verschiedene Parteien, doch sie blieben erfolglos, auch bei den Kommunalwahlen im November.

Den Erfolg sahnte die „Rom-Bürgerinitiative" (ROI) ab. Sie kandidierte mit dem tschechischen „Bürgerforum" (OF) undderslowakischen „Öffentlichkeit gegen Gewalt" (VPN) auf einer gemeinsamen Liste - und konnte so sieben Roma-Abgeordnete in die Parlamente in Prag und Preßburg einbringen.

Der Bruderzwist zwischen Tschechen und Slowaken teilt auch die Roma. Die nationalen Ableger der „Rom-Bürgerinitiative" sind in sich gespalten. Die Politisierung der Roma-Bevölkerung ist auch in der CSFR von Zersplitterung bedroht. So wurde kürzlich die HAR-Partei (Bewegung der engagierten Roma) gegründet, um der tschechischen ROI das Wasser abzugraben.

Obwohl es immer wieder zu rassistischen Ausschreitungen gegen die Roma kommt, halten sich selbst die chauvinistischen Parteien verbal im Zaum. In der Slowakei kann ROI auf lokaler Ebene mit den Vertretern von „Öffentlichkeit gegen Gewalt" gut kooperieren. Doch die Zentrale hält zu den „Zigeunern" Distanz.

Seit neuestem zeigen auch die Christdemokraten (KDH) Interesse zur gemeinsamen Problemlösung. Bei KDH will man die Restaurierung der zurückerhaltenen Klöster und Kirchen romischen Baufirmen überlassen. Viele, sonst im Baugewerbe tätige Roma sind infolge der Rezession arbeitslos.

Vor wenigen Wochen wurde auch „Roma", die erste Monatszeitschrift herausgegeben. „Rom" heißt übrigens „Mensch". Bei ROI plädiert man für die Einführung des Romischen als Unterrichtssprache, um das ethnische Selbstbewußtsein zu stärken.

Was den Roma-Parteien zum Erfolg noch fehlt, ist eine charismatische Führungspersönlichkeit vom Schlage eines Martin Luther King. Die anonyme Masse kann selbst in der Demokratie schwer Furore machen.

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