Ein positives Roma-Ghetto gegen Antiziganismus

Werbung
Werbung
Werbung

Die rechtsextreme "Ungarische Garde" macht die Roma zum Hassobjekt. Das Gandhi-Gymnasium wehrt sich mit der Kraft besserer Argumente.

Eine Blocksiedlung im Osten der südwestungarischen Stadt Pécs. Mittendrin ein roter Ziegelbau. Das Bild eines Mannes mit Gehstock und Umhang ist an der Wand zu sehen: Mahatma Gandhi - er gibt dem Gymnasium den Namen. Gandhi soll den indischen Ursprung der Roma verdeutlichen. Im Unterschied zu anderen Gymnasien werden in der Gandhi-Schule auch die beiden ungarischen Roma-Sprachen Beás und Lovári unterrichtet. "Es ist wichtig, dass die Schüler ihre Kultur, ihre Literatur kennenlernen", sagt der 28-jährige Lehrer Csaba Lakatos. Er unterrichtet Lovári. Früher hat er selbst hier die Schulbank gedrückt, er gehört zu den Absolventen des ersten Abiturjahrgangs.

Sein Schüler, Richard Kalányos, wird demnächst den Abschluss machen. Der 18-Jährige stammt aus einem kleinen Dorf. Dorthin will er aber nicht zurück. "Nach dem Abitur will ich Medizin studieren, hier in Pécs", erklärt er. Sein Berufsziel: Unfallchirurg - für einen Roma nicht selbstverständlich. "Ich will beweisen, dass wir Roma lernen können." Nur ein Prozent der etwa 600.000 ungarischen Roma schafft den Sprung in die Elite der Akademiker. Roma waren die ersten, die nach der Wende ihre Jobs verloren. In den Roma-Familien geht es deshalb darum, möglichst schnell Geld zu verdienen. Zeit für Bildung ist nicht vorgesehen.

Ein Ziel der Schule ist: Die Absolventen sollen in ihrer Gemeinschaft als Vorbilder weiterwirken, den Sinn von Bildung vorleben. Denn die Vorbehalte gegenüber der Schule sind auch unter den Roma groß. "Als ich meinen Eltern sagte, dass ich hier lernen will, hat meine Mutter Nein gesagt", beschreibt Richard Kalányos seine Erfahrungen. "Sie hatte einfach Angst, mich in die Stadt ziehen zu lassen." Mittlerweile ist seine vielköpfige Familie aber stolz auf ihn. Und das Virus Bildung hat auch andere Geschwister angesteckt.

Die meisten der rund 250 Schüler kommen aus bitter armen Familien, wohnen im Internat. Der Erfolg ihres Bildungskonzepts gibt der Schule recht: Die Abbrecherquote sinkt, zwei Drittel der Schüler studieren nach dem Abitur weiter. Zwei Identitäten soll die Schule verbinden, erklärt Schulleiterin Erika Csovcsics: "Den Schülern ein Bewusstsein als Roma und als ungarische Staatsbürger vermitteln." Die 45-jährige Csovcsics ist die Witwe des Schulgründers János Bogdán, der vor zehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben kam. Der Roma-Intellektuelle hatte die Schule unter anderem mit Unterstützung der Budapester Soros-Stiftung vor 15 Jahren ins Leben gerufen. Sie wird mit jährlich 1,5 Millionen Euro vom ungarischen Staat und durch Spendengelder finanziert. Das erregt den Neid der anderen Schulleiter. Um diesen nicht zusätzlich anzuheizen, "bewerben wir uns nicht bei Projektausschreibungen", erklärt Csovcsics die Gratwanderung.

Nazi-Rockbands streuen den Hass

Die rechtskonservative Regierung Orbán (1998-2002) hatte versucht, die Schule zu schließen. Ohne Erfolg. Manche Kritiker sagen: Die Schule sei ein Roma-Ghetto - wenn auch ein positives.

Dem stimmt aber selbst die deutsche Sozialarbeiterin Eszter Scheich zu. Sie ist eine der 80 Schulangestellten aus aller Welt. Die Schüler merkten dadurch: "Es gibt hier Nicht-Roma, die sich für Roma-Belange einsetzen." Schüler Kalányos nickt. "Hier machen die Lehrer keinen Unterschied", sagt er, "wenn einer eine dunklere Hautfarbe hat." Das widerspricht der Grundstimmung im Land. Scheich lässt ein Video laufen, das sie sich gerade aus dem Internet heruntergeladen hat: Harte Gitarren und Hass-Texte, garniert mit Bildern ungarischer Roma.

Die Lieder ungarischer Nazi-Rockbands liefern den Soundtrack zu einer üblen Stimmungsmache gegen Roma. Seit fast zwei Jahren marschiert die rechtsextreme "Ungarische Garde" durch die Roma-Viertel des Landes - trotz Verbots des Trägervereins - und verbreitet Angst und Schrecken. Antiziganismus ist weit verbreitet, Gewalttaten werden mehr, einige Mordfälle sind bis heute ungeklärt. Roma werden als "Sozialschmarotzer" diffamiert. "Deswegen müssen wir über solche Videos mit den Schülern reden", erklärt Scheich, "damit sie wissen, was in der Welt passiert." Kalányos empört sich über die Vorurteile: "Wenn einer mal was Krummes macht, wird das hochgerechnet auf uns alle." Er setzt auf die Macht guter Argumente. Die Schule an sich ist eines. Im Norden Ungarns ist ein zweites Gandhi-Gymnasium geplant.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung