Die Anerkennung lässt auf sich warten

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Als österreichische Volksgruppe haben die Roma gewisse politische Rechte, nur die gesellschaftliche Akzeptanz lässt sich nicht verordnen . Oberwart 1995: Der Anschlag vom 4./5. Februar, bei dem vier Roma ums Leben kamen, brachte eine vergessene Volksgruppe ins Rampenlicht. Das Dossier wirft zehn Jahre danach ein Schlaglicht auf die komplexe, in sich sehr unterschiedliche Situation der Roma in Österreich und geht der Frage nach, was Oberwart 1995 verändert hat (S. 21, 22). Heute gibt es auch einen Seelsorger (S. 24), sogar einen Bischof für die Roma (Interview S. 24). Auch der NS-Massenmord gehört zur kollektiven Erinnerung und Identität der Roma (S.23). Redaktion: Otto Friedrich und Veronika Thiel

Einkaufen gehen zu können, ohne sich zu schämen, weil man sich als Mensch zweiter Klasse fühlt, das wünschen sich die Roma", meint Susanne Baranyai, Sozial- und Berufspädagogin vom "Verein Roma" in Oberwart. Zehn Jahre nach dem Bombenattentat auf die Oberwarter Roma-Siedlung und bereits zwölf Jahre nach der politischen Anerkennung als Volksgruppe, gibt es in der Situation der Roma in Österreich nach wie vor große Defizite zu verzeichnen. Große Defizite, aber auch kleine Fortschritte.

Heterogene Volksgruppe

In Oberwart ist seit dem Attentat viel passiert. Man hat sich nicht damit begnügt, die Fassade fürs Auge zu polieren, und abgesehen von der Renovierung der Häuser in der Siedlung "Am Anger" hat sich Oberwart hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen auch zu einem Vorzeigebeispiel entwickelt, lobt Baranyai. "Man muss aber über Oberwart hinausschauen, es gibt noch sehr viel zu tun."

Eine allgemein gültige Aussage über die Lage der in Österreich lebenden Roma zu treffen, ist auf Grund der kulturellen Heterogenität sowie der unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Situationen (siehe Kasten Seite 22) der Angehörigen dieser Volksgruppe unmöglich. Die in den Medien kursierenden Bilder von prekären Wohnsituationen oder von ein paar bekannten Persönlichkeiten aus Kultur und Politik sind bestenfalls Ausschnitte aus dem Leben einer äußerst facettenreichen Volksgruppe. Unter dem Überbegriff "Roma" verbergen sich viele Untergruppen mit einigen Gemeinsamkeiten und noch mehr Eigenheiten.

So groß die Unterschiede und so abweichend die Auskünfte auch sein mögen, in einem Punkt sind sich alle - Roma-Vereine und öffentliche Stellen - einig: es muss bei der Ausbildung der Kinder und Jugendlichen angesetzt werden. "Menschen ohne Ausbildung sind am schlechtesten dran: wo keine Bildung, da kein Arbeitsplatz. Keine Arbeit bedeutet schlechtes Wohnen und das wiederum schlechte Gesundheit", beschreibt Rudolf Sarközi, Obmann des Kulturvereins österreichischer Roma und Vorsitzender des Volksgruppenbeirates, den Teufelskreis.

Nahziel: Schulabschluss

Die bescheiden wirkenden Zielsetzungen lassen erahnen, wie prekär die Lage hier zum Teil noch sein muss: "Ein Nahziel ist, dass die Kinder ordentlich lesen, schreiben und rechnen lernen", so Renata Erich vom Verein Romano-Centro in Wien.

In Oberwart gebe es schon vereinzelt Absolventen von höheren Schulen, erzählt Baranyai, "aber eigentlich, um realistisch zu bleiben, geht es darum, dass Roma-Kinder ihren Hauptschulabschluss erlangen und dadurch die Möglichkeit bekommen, einen Beruf zu erlernen".

Die Ursachen für die gescheiterten Schullaufbahnen von Roma-Kindern sind vielfältig und nicht für alle im gleichen Maße zutreffend. In seinem Buch "Die Roma von Oberwart" führt Helmut Samer als wichtigste Einflussfaktoren das soziale Umfeld, den sozialen Status der Eltern, deren zum Teil eingeschränkte Möglichkeiten, die Kinder beim Lernen, aber auch finanziell ausreichend zu unterstützen und die oft beengten Wohnverhältnisse an.

Schwierige Bedingungen

Um diesen erschwerenden Rahmenbedingungen entgegenzuwirken, hat man 1990 im "Verein Roma" in Oberwart damit begonnen, eine außerschulische Lernbetreuung einzurichten. Derzeit kommen 35 Kinder regelmäßig nach der Schule ins Vereinslokal und werden dort bei ihren Hausübungen und Vorbereitungen von Sozialpädagogen und muttersprachigen Betreuern unterstützt. Die Erfolge lassen nicht mehr auf sich warten: Die Anzahl der Sonderschüler, der Repetenten und Zurückstufungen geht merklich zurück.

Kulturelle Unterschiede

Ein ähnliches Projekt gibt es auch vom Verein Romano-Centro in Wien, mit dem Unterschied, dass hier Studenten zu den Familien nach Hause kommen, um den Roma-Kindern beim Lernen zu helfen. Da man im Verein Romano-Centro vor allem auch Roma betreut, die erst im Zuge der Arbeitsmigration nach Österreich gekommen sind, liegen hier die Probleme etwas anders, als bei den Burgenland-Roma. "Die Kinder kommen oft aus Familien, denen die Schule egal bis suspekt ist, weil dort nicht die Kultur der Roma vermittelt wird. Man hat Angst, dass die Kinder der Familie entfremdet werden und die Familie ist das Wichtigste für die Roma", so Renata Erich, die betont wie schwierig es sei, Gadsche (Bezeichnung für Nicht-Roma) die Kultur der Roma zu erklären. Es gehe aber nicht darum, dass man den Kindern den Weg zum sozialen Aufstieg versperren wolle, versucht Erich die Haltung mancher Roma-Familien zu erklären: "Man wünscht den Kindern, dass sie bewusste Roma bleiben."

Eine Aufklärung vor allem der Lehrer und Sozialarbeiter über eben diese kulturellen Eigenheiten wäre, so Erich, ungeheuer wichtig. Angesichts der Tatsache, dass die schulischen Schwierigkeiten von Roma-Kindern sich nicht auf die oben genannten sozialen Aspekte reduzieren lassen, wird diese Forderung verständlich. Es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass Konzepte von Bildung, Unterricht und Lernen kulturell geprägt sind und zuweilen stark voneinander abweichen. So müssen zum Beispiel Roma-Kinder, die aus einer Kultur mit mündlichen Überlieferungstraditionen kommen, den Umgang mit Schrift und Büchern erst in der Schule erlernen, wohingegen die meisten ihrer Klassenkameraden diesbezüglich bereits über die nötige Vorbildung verfügen. Roma lernen auch ganz anders, als es in der Schule von ihnen verlangt wird, erklärt Renata Erich: "Sie sind es gar nicht gewöhnt, "abstrakt" - vom konkreten Gebrauch abgelöst - etwas zu lernen. Es gibt ein schönes Beispiel: Man stellt einem Kind eine Rechenaufgabe, es strahlt einen an und sagt: Wieso fragst du mich, du weißt es doch!" Eine wichtige Maßnahme, um die kulturell bedingten Unterschiede früher und effizienter ausgleichen zu können, wäre die Einführung der verpflichtenden Vorschule, meint Erich.

Sehr gute Zusammenarbeit

Bezüglich der Maßnahmen im Bereich Schul- und Ausbildung lautet im Allgemeinen das Fazit von Seiten der Roma so: Im Vergleich zu der Zeit vor der politischen Anerkennung passiere jetzt sehr viel, aber wirklich ausreichend seien die Förderungen und Projekte nicht.

Ausschließlich lobende Worte für die Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt Oberwart und dem Arbeitsmarktservice Burgenland findet Susanne Baranyai: "Zu unserer vollsten Zufriedenheit hat sich hier Wesentliches verändert." Auf die Einstellungspolitik von Betrieben hat das ams allerdings keinen Einfluss. "Selbst gleiche Bildung bedeutet noch nicht gleiche Chance am Arbeitsmarkt", weiß Baranyai. "Die Erfahrung zeigt, dass wenn das Personalbüro von jemandem aus der Umgebung besetzt ist, es bedeutend schwieriger wird, Roma unterzubringen." Von Rassismus will Baranyai aber nicht vorbehaltlos sprechen: "Wenn der Arbeitsmarkt schlecht ist, dann werden im ländlichen Raum immer zuerst Verwandte und Bekannte berücksichtigt." Was den Roma vor allem fehle, sei die politische Lobby. Der Roma-Vertreter Sarközi sieht auch fehlendes Engagement auf Seiten der Roma: "Es wäre soviel zu erreichen, wenn sie selber in Aktion treten würden."

Der Arbeitsmarkt im südlichen Burgenland ist sehr schlecht und davon besonders betroffen ist sind die Roma. Laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts, die im Rahmen des von eu und Bundesregierung kofinanzierten equal-Projekts "Mri Buti - Meine Arbeit" durchgeführt wurde, sind knappe 67 Prozent der Roma im Raum Oberwart arbeitslos. Diese Zahlen schwanken aber, da gerade Roma häufig Überbrückungs- oder Hilfsarbeiten bekommen, aber auch die Ersten sind, die wieder abgebaut werden.

Das oben genannte Beschäftigungsprojekt "Mri Buti - Meine Arbeit", das im Mai 2003 von der Caritas der Diözese Eisenstadt in Zusammenarbeit mit dem "Verein Roma" in Oberwart ins Leben gerufen worden ist, ermöglicht arbeitslosen Roma, stunden- oder tageweise einer Beschäftigung nachzugehen, die sie auch selber angeregt haben: ein Bügelservice in einer Wäscherei, ein Second Hand Shop und Waldarbeit. Dank dieses Projekts können arbeitslose Roma nicht nur durch einen monatlichen Zuverdienst ihre Einkommenssituation verbessern, es wird auch darauf abgezielt, ihnen zu helfen, sich am regulären Arbeitsmarkt zurechtfinden und behaupten zu können. Diesem auch der sozialen Akzeptanz der Roma förderlichen Projekt scheint nun das Aus zu drohen. Die Förderungen von eu und Bund sind gestrichen worden (vgl. auch das Interview mit Bischof Iby, Seite 24). Derzeit sucht man noch nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten, um nicht im April dieses Jahres "Mri Buti" schließen zu müssen.

Mit noch ganz anderen Schwierigkeiten haben Roma zu kämpfen, die keine österreichischen Staatsbürger sind. Die Arbeitsbewilligung, so Renata Erich, verfalle nämlich nach einer gewissen Zeit, wenn keiner regelmäßigen und offiziell registrierten Arbeit nachgegangen wird. "Es gibt aber sehr gute Händler unter diesen Roma, die, wenn sie eine Zeit lang nur handeln, ihre Arbeitsbewilligung verlieren und praktisch keine Chance haben, wieder eine zu bekommen."

Neben Ausbildungs- und Arbeitsmarktpolitik ist der Erhalt von Kultur und Sprache der Roma ein wichtiger Aspekt in der Volksgruppenförderung. Der Tod mancher Dialekte konnte durch die Verschriftlichung im letzten Moment noch abgewendet werden, freut man sich im Bundeskanzleramt. Die Bedeutung dieser Bemühungen wird allerdings sehr unterschiedlich eingeschätzt. Wichtig seien sie schon, aber nicht ausschlaggebend, meint zum Beispiel Baranyai: "Der wirklich schwierige Schritt ist es, die gesellschaftliche Anerkennung zu erreichen, und die steckt noch in den Kinderschuhen." Die gegenseitigen Berührungsängste sind nach wie vor beträchtlich. Als Roma-Familien in Sozialbauten im Stadtkern von Oberwart ziehen wollten, habe es sogar Unterschriftaktionen dagegen gegeben, erzählt Baranyai, doch die Gemeinde habe vorbildlich reagiert. Mit dieser Vorbildhaltung von Politikern und Ämtern werde auch für die restliche Bevölkerung ein wichtiges Zeichen gesetzt, sind sowohl Sarközi als auch Baranyai überzeugt.

Keine Achtung für Roma

Vorbehalte gibt es aber auch auf Seiten der Roma. Hier resultiere das Misstrauen vor allem aus dem Gefühl, dass man ihnen ihre Eigenart wegnehmen wolle, meint Renata Erich. "Viele Gadsche haben die Haltung, wenn die Roma schon hier sind, dann sollen sie sich auch verhalten wie wir. Mit wirklicher Achtung für ihre Eigenheiten tritt ihnen kaum jemand entgegen."

BUCHTIPP:

DIE ROMA VON OBERWART

Von Helmut Samer Edition lex liszt 12, Oberwart 2001

140 Seiten, kart., e 11,63

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